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Auf dem Sockel. Das Lenin-Denkmal vor dem Präsidentenpalast in Tiraspol. Foto: dpa

© picture alliance / dpa-tmn

Politik: Lenins letztes Reservat

Das kleine Transnistrien soll zum Testfall für Konfliktlösung werden

Isoliert ist anders. Jede halbe Stunde verkehrt ein Minibus zwischen Chisinau und Tiraspol. Ersteres ist die Hauptstadt der international anerkannten Republik Moldau, Tiraspol der Sitz der transnistrischen Separatisten. Alleen säumen den Weg Richtung Osten, dann steigt die Hauptstraße ein letztes Mal leicht an. Auf der unscheinbaren Kuppe vor der Abfahrt ins Dniestr-Tal wird der Bus jäh von Drahtverhauen und Betonsperren gestoppt. Bewaffnete Grenzbeamte in Fantasieuniformen dirigieren die Reisenden in ein frisch erstelltes Büro. Das Visum für die selbst ernannte Transnistrische Moldaurepublik (PMR) kann sofort beantragt werden und ist spottbillig.

Als letztes Freilichtmuseum der Sowjetunion oder Schmugglerzentrale Europas wird der schmale Landstrich an der Grenze zur Ukraine abwechselnd beschrieben. Die Wirklichkeit ist komplexer. Transnistrien hatte sich 1990 für unabhängig erklärt, weil die dortige Nomenklatura eine Wiedereingliederung mit Rumänien befürchtete, zwei Jahre später folgte ein blutiger Bürgerkrieg. Die darauf folgenden Verhandlungen zwischen Chisinau und Tiraspol kommen seit 18 Jahren kaum vom Fleck. Von Russland angeführte Friedenstruppen sichern die Waffenstillstandslinie sowie auch gleich das imperiale Interesse Moskaus. Trotz internationaler Verpflichtungen hat Russland seine 14. Armee mit rund 1000 Soldaten und 25 000 Tonnen Waffenmaterial noch nicht abgezogen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Dmitri Medwedew hatten sich im vergangenen Jahr darauf verständigt, sich verstärkt um eine Lösung des Konflikts zu bemühen – aus deutscher Sicht könnte das ein Testfall für die Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland bei der Lösung von Konflikten werden.

Die früheren Metallgatter an der „Staatsgrenze“ sind einem überdachten Grenzübergang gewichen. Einzig das auf dem Dach prangende Staatswappen, ein Ährenkranz mit rotem Stern und Hammer und Sichel, mutet etwas seltsam an. Dennoch, im Bus von der Grenzstadt Bender in die nahe „Hauptstadt“ Tiraspol herrscht ausgelassene Stimmung unter den vielen jungen Leuten. Die Jugendlichen haben die gleichen Elektronik-Gadgets, mit denen auch ihre Altersgenossen in Moldau und der Ukraine angeben.

Vor dem Präsidentenpalast steht immer noch ein roter Marmor-Lenin. Passanten eilen schnell an ihm vorbei. Fotografieren ist streng verboten. Der Herr des Hauses, Igor Smirnow, regiert das Land seit zwanzig Jahren mit eiserner Faust. Ein anderer Wind weht in der Transnistrischen Industrie- und Handelskammer in einem schlichten Bürohaus beim Bahnhof. Juri Ganin empfängt unter einer Pokal-Auslage für transnistrische TopProdukte. Zement, Schuhe, Cognac und Tulpen gehören dazu. Nach einer langen Phase der Vorsicht will die PMR nun weitere Staatsbetriebe privatisieren.

Das von keinem Staat der Welt anerkannte Land hat zwar neben eigenen Pässen auch eine eigene Währung, den Transnistrischen Rubel, doch international ist es nicht kreditfähig. An der „Straße des 25. Oktober“, der Tiraspoler Einkaufsmeile, werden den Passanten jedoch Wohnungs- und Konsumkredite angeboten. Banken, eine Adidas-Niederlassung und Elektronikgeschäfte säumen die Straße. Sogar einen Geldautomaten gibt es.

Dass sich in den letzten paar Jahren auch in Tiraspol viel getan hat, bestätigt Sergej, ein einheimischer Intellektueller, der angesichts des allgegenwärtigen Geheimdienstes anonym bleiben möchte. „Wer es sich leisten kann, hat heute einen Internetanschluss zu Hause“, sagt er. Und fügt trotzig hinzu: „Wir kennen die Welt.“ Sergej will dennoch bleiben. Das Weite gesucht haben seit der Unabhängigkeit über 200 000 Transnistrier. Die Bevölkerung in dem 4163 Quadratkilometer- Landstrich ist dadurch auf eine halbe Million geschrumpft. Bis zu 40 Prozent davon arbeiten dank Zweitpässen zeitweise in Russland, der Ukraine aber auch der EU. „Sie mögen es nicht zugeben, doch fast alle wollen einen rumänischen oder bulgarischen Pass“, sagt Elena Bobowka. Die Soziologin aus Tiraspol hat bei Volksbefragungen festgestellt, dass die mangelnde internationale Anerkennung für die Transnistrier unwichtig geworden ist. Der geringe Lebensstandard, das korrupte Gesundheitssystem und Arbeitslosigkeit beschäftigen Smirnows Untertanen.

Zwar spielt der lokale „FC Sheriff Tiraspol“ in der moldauischen Ersten Liga mit, doch telefonieren kann man nicht auf die andere Seite des Dniestr. Wer es dennoch tun will, muss einen teuren Umweg über andere Länder wählen. Auch Güter- und Personenzüge verkehren nicht mehr zwischen den beiden Landesteilen. Die letzten Minibusse nach Chisinau verlassen Tiraspol in den frühen Abendstunden. Danach fahren nur noch ein paar mutige Taxifahrer von einer Hauptstadt zur anderen.

Merkel und Medwedew könnten mit ihren Initiativen für den Transnistrien-Konflikt die Lage vor Ort ändern, meint Sergej zum Abschied. Er kritisiert ein gewisses Demokratiedefizit unter Smirnow, ist aber dennoch Patriot geblieben: „Egal, was Moskau entscheidet, wir Transnistrier geben die russischen Waffenlager nicht mehr her!“

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