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Politik: Letzte Chance für die Vernunft

KOMMT DER KRIEG?

Von Malte Lehming

Die Faust ballt sich in der Tasche. Aus dem Mund zischen Ausdrücke der Wut. Das Wort „Erpressung“ ist zu hören. Jetzt also hat die USRegierung zum „Showdown“ geblasen, zur letzten Kraftprobe im UN-Sicherheitsrat. In dieser Woche will sie über den Text einer zweiten Irak-Resolution abstimmen lassen. Es ist eine Kriegsresolution. Daran zweifelt keiner. Gleichzeitig hat Washington angekündigt, dass das Ergebnis der Abstimmung belanglos ist. „Wenn es um unsere Sicherheit geht, brauchen wir von niemandem eine Erlaubnis“, hat George W. Bush gedonnert. Diese Drohung bringt das Friedenslager in die Bredouille. Entweder es schwenkt um und nickt die amerikanischen Pläne zähneknirschend ab, oder es bleibt seinen Überzeugungen treu, forciert das transatlantische Zerwürfnis und lädiert das Ansehen des Sicherheitsrates, ohne den Krieg verhindert zu haben. Ein diplomatisches Mega-Debakel bahnt sich an.

Frechheit siegt: Diesem Glauben huldigen offenbar die US-Falken. Dabei verbirgt sich hinter deren Kraftmeierei viel Unsicherheit. Von ihrer Sache haben sie die Welt nicht überzeugt. Der Widerstand gegen einen Krieg wächst. Die UN-Inspekteure vermitteln den Eindruck, erfolgreich zu sein. Andererseits haben sich die USA durch ihren Truppenaufmarsch unter Zugzwang gesetzt. „Man kann nicht 250000 Soldaten in der Wüste herumstehen lassen wie Komparsen in einer Aida-Inszenierung“, moniert ein Regierungsberater. Aber einfach wieder abziehen, nach all der Entschlossenheits-Rhetorik? Falls Saddam Hussein bis Ende des Jahres nicht gestürzt wird, braucht sich Bush gar nicht erst um eine Wiederwahl zu bemühen, warnen die Republikaner. Das mag richtig sein. Nach außen indes wird durch solches Kalkül das Gefühl der Fatalität verstärkt. Die Angst vor einem Ansehensverlust ist der wohl dürftigste aller Kriegsgründe.

Nun also sitzen alle in der Zwickmühle, Tauben wie Falken. Dabei weiß die US-Regierung, dass ihre Flucht in die diplomatische Offensive riskant ist. Ihre Drohung klingt fast zu pampig, um glaubwürdig zu sein. Sicher, es hat Kriege ohne UN-Mandat gegeben. Das prominenteste Beispiel ist der Kosovo. Aber einen Krieg gegen den ausdrücklichen Willen des UN-Sicherheitsrates zu beginnen, wäre ohne Vorbild. Der amerikanische Einwand, eine Invasion sei völkerrechtlich schon durch die bestehenden UN-Resolutionen gedeckt, sticht nicht. Wer eine zweite Resolution so massiv anstrebt wie Washington, hält sie implizit auch für erforderlich. Wir wollen dringend etwas, was wir überhaupt nicht brauchen: In dieser Begründungsverrenkung drückt sich das Dilemma der US-Position ganz augenfällig aus.

Der Optimist sieht noch Licht am Ende des Tunnels. Der Pessimist sieht das Licht auch, ihm schwant aber, dass es das Licht des entgegenrasenden Zuges ist. Wie viel Hoffnung gibt es? Keine mehr, falls im Streit um den Irak die Prinzipien höher gehalten werden als die Vernunft. Amerika muss wieder zur Flexibilität zurückfinden. Der Resolutionstext mit dem einwöchigen Ultimatum darf nicht das letzte Wort sein. Eine Mehrheit der Amerikaner unterstützt die Irak-Politik von Bush. Fast sechzig Prozent befürworten einen Krieg auch ohne UN-Mandat. Dieser Rückhalt sollte den Präsidenten zu weiteren Verhandlungen ermutigen. Je zerbrechlicher seine „Koalition der Willigen“, desto unbehaglicher ist den meisten Amerikanern zumute.

Das „Tauben-Trio“ jedoch – Russland, Frankreich, Deutschland – muss sich als Erstes bewegen. „Die Inspektionen können nicht unendlich weitergehen“, steht in deren jüngstem Memorandum. Ein stures Nein zu jeder Art von Fristsetzung ist also wenig konstruktiv. Doch Zugeständnisse fallen schwer. Denn im alt-europäischen Widerstand gegen die Bush-Regierung schwingt Trotz mit. Man will es diesem ungebildeten, todesstrafewütigen Texaner, der sich von Kyoto bis zum Internationalen Strafgerichtshof über alle Verträge hinwegsetzt, zeigen, das arrogante Imperium eindämmen.

Solche Gefühle sind verständlich, aber sie ungebremst auszuleben verschlimmert die Lage. Der Klügere gibt nach: Manchmal stimmt dieser Vorsatz traurig, manchmal wütend. Ganz gleich, wie der Streit endet: Die Faust in der Tasche bleibt geballt.

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