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Politik: Letzte Chance

Von Ruth Ciesinger

Wenn der Hunger in Afrika tausende Kinder tötet, ein Tsunami die Küsten vieler Länder verwüstet, richten sich die Blicke auf das weltumspannende Netzwerk der Vereinten Nationen. Es sammelt von den wohlhabenden Staaten Hilfe ein und bringt sie denen, die sie am dringendsten brauchen. Zerfrisst ein Bürgerkrieg ein Land, oder breitet sich der internationale Terror aus, sind es die UN, die den Frieden wahren sollen. Damit die Organisation diesen Zielen nah oder zumindest näher kommen kann, ist eine Reform der UN und vor allem ihres wichtigsten Gremiums, des Weltsicherheitsrats, unumgänglich.

Um diese Reform wird seit Wochen gerungen, immer wieder wurde sie hinausgeschoben. Doch wenn an diesem Montag die Außenminister der G4 – Deutschland, Japan, Brasilien und Indien – in London ihre afrikanischen Kollegen treffen, ist das wohl die letzte Chance für einen gemeinsamen Resolutionsentwurf zur Erweiterung des Sicherheitsrats. Für die Abstimmung in der Generalversammlung ist nur noch wenige Tage Zeit, Ende dieser Woche soll das UNPlenum bereits das Abschlussdokument für den Reformgipfel im Herbst diskutieren. Fällt davor kein Beschluss, ist die Ratsreform – und damit Deutschlands Sitz im Sicherheitsrat – auf lange Zeit kein Thema mehr.

Die Langwierigkeit der immer wieder neu anberaumten Gespräche ist noch kein Indiz für ein Scheitern. Die Struktur der UN selbst macht ihnen jegliche Veränderung so schwierig: 191 Staaten bilden die Vereinten Nationen, das schließt Konsensentscheidungen so gut wie aus. Ein Einzelkämpfer erreicht ohnehin nichts, schon die schiere Zahl an Gesprächspartnern wäre kaum zu bewältigen. Deshalb haben die G4 gut daran getan, ihre Ziele als Gruppe zu verfolgen, auch wenn sich die Deutschen so den Widerstand Pakistans und Südkoreas zugezogen haben, der eigentlich gegen die Ambitionen von Indien und Japan gerichtet war.

Eine entsprechende Mehrheit von Staaten auf die eigene Seite zu ziehen, ist aber nicht genug. Denn schließlich geht es nicht allein um mehr Mitsprache, sondern um politische Alternativen für eine Organisation, die in manchen Fällen durchaus grandios gescheitert ist. Das mächtigste und wichtigste Mitglied, die USA, zieht daraus Konsequenzen. Bei der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen versucht Washington bereits, sich an den UN vorbei mittels eines exklusiven Klubs von Staaten des Problems anzunehmen. Dass die großen Spieler solche grundsätzlichen Zweifel an der Funktionsfähigkeit der Organisation haben, muss bedacht sein, wie auch immer der Prozess der Ratsreform sich entwickelt. Deren Befürchtung lautet, dass der Rat nach einer Erweiterung noch weniger funktionstüchtig ist als heute.

Bliebe jedoch alles beim Alten, spiegelte der Rat mit seinen fünf ständigen Mitgliedern weiter die Nachkriegsweltordnung wider und behandelte ganze Kontinente als Mitglieder zweiter Klasse. Das hätte ähnlich fatale Folgen für dessen Autorität. Wer aber mehr Repräsentanz fordert, der muss in Kauf nehmen, dass bei mehr Mitgliedern nicht nur Demokratien westlicher Lesart in den Rat kommen.

Das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz in dem Gremium ist dennoch sinnvoll und gerechtfertigt. Dabei spielen die Argumente, die heute auf der Hand liegen, nur vordergründig die wichtigste Rolle: dass Deutschland der drittgrößte Nettozahler ist und sich aktiv an Friedenseinsätzen beteiligt. Das eine kann sich aufgrund schwindender Wirtschaftskraft ändern, beim anderen gilt, dass auch Pakistan viele UN-Einsätze mit Soldaten unterstützt. Schwerer wiegt, dass die Ziele der UN, etwa das multilaterale Handeln, eben auch Ziele einer deutschen Außenpolitik sind und bleiben sollen. Und dass es wichtig ist, Staaten wie Deutschland mit gefestigten Demokratien und stabilen politischen Verhältnissen eine wichtige Rolle in dem erweiterten Sicherheitsrat spielen zu lassen.

Deshalb muss auch eine neue Bundesregierung an diesem Ziel festhalten. Egal, ob die Resolution jetzt durchfällt oder es darum geht, den weiteren Reformprozess, der sich noch hinziehen kann, zu stützen.

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