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Politik: Letztes Geleit: Dem Himmel ganz nah

Die junge Frau mit den langen Haaren läuft aufgeregt hin und her. Sie spricht mal diesen, mal jenen der grauhaarigen Herren in schwarzen Anzügen an, die sich in der Seitenkapelle des Fuldaer Domes zu schaffen machen.

Die junge Frau mit den langen Haaren läuft aufgeregt hin und her. Sie spricht mal diesen, mal jenen der grauhaarigen Herren in schwarzen Anzügen an, die sich in der Seitenkapelle des Fuldaer Domes zu schaffen machen. In der linken Hand hält sie fünf lachsfarbene Rosen, in der rechten eine mit roter Schleife umwickelte Papierrolle. Niemand der Helfer will ihre Gaben annehmen. Hastig schaufeln sie mit vollen Händen Blumen, Rosenkränze, Dankschreiben und Fotos von der mit Brettern abgedeckten Bischofsgruft in einen silbernen Aluminium-Container.

Eine "Laudatio" für Erzbischof Dyba aus neun Strophen hat Gabi Kaudel aus Gelnhausen mit säuberlichen Buchstaben auf die Rolle geschrieben, die sie wie eine mittelalterliche Urkunde an den Rändern ausgefranst hat. Die 34-jährige Reprofotografin kennt den Verstorbenen seit dessen Amtsantritt in Fulda 1983. "Ich bin noch wie gelähmt, ich kann es gar nicht glauben", sagt sie. Zu Hause hütet sie einen dicken Aktenordner, in dem sie alles über Johannes Dyba gesammelt hat - Zeitungsausschnitte, Fotos und Abschriften von Predigten. Grundehrlich sei der Bischof gewesen, sagt sie, und nicht nachtragend. Auch sie habe manchmal mit ihm gestritten, ihn angerufen und zum Beispiel über Messdienerinnen diskutiert. "Auf seine Freundschaft konnte man zählen." Auf andere Meinungen habe er nie mit Zorn reagiert, sagt sie und verstaut die Rolle in ihrem Rucksack. Sie will versuchen, sie nach dem Requiem einem der Verwandten des Erzbischofs in die Hand zu drücken.

Auf dem Vorplatz der Barock-Kathedrale wehen derweil die auf Halbmast aufgezogenen gelb-weißen Kirchenfahnen im seichten Wind. Das Sonnenlicht spiegelt sich auf den blank geputzten Helmen der Soldaten - eine ganze Bundeswehrkompanie ist zu Ehren ihres Militärbischofs angetreten. Stumm schauen die dicht gedrängt stehenden Trauergäste zu, wie sich der Zug mit dem Sarg von der auf einer Anhöhe gelegenen Michaeliskirche herunterschlängelt. Drei Tage war Dybas Leichnam dort aufgebahrt - in einem der ältesten Sakralbauten auf deutschem Boden. Zehntausende Menschen sind seit Dienstag an dem Sarg vorbeidefiliert, haben gebetet, den Toten beweint und sich in das Kondolenzbuch eingetragen.

Der Bischof joggte im Schlosspark

Selbst die schärfsten Gegner Dybas unter den deutschen Bischöfen sind am Tag seiner Beerdigung nach Fulda gekommen und verharren nun an dem Sarg, während das Heeresmusikkorps die Melodie "Was Gott tut, das ist wohlgetan" intoniert. Nicht Apostel und Propheten, sondern Pharisäer und Schriftgelehrte hatte Dyba seine Mitbischöfe noch unlängst tituliert, weil sie der Anordnung Roms zum Ausstieg aus der Schwangerenberatung Widerstand leisteten: Karl Lehmann, der aus Spanien herbeigeeilte Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, den Dyba bis zum Rand des Menschenmöglichen provoziert hat; der Limburger Franz Kamphaus, der Münsteraner Reinhard Lettmann und auch der Osnabrücker Franz-Josef Bode, der einzige deutsche Ortsbischof, der nach dem Krieg geboren ist. Erst der Tod hat den bitteren Streit der letzten beiden Jahre beendet.

"Johannes Dyba hasste ein verwaschenes Christ-Sein", sagt Lehmann bei seiner Ansprache. Trotz der Konflikte mit ihm seien aber auch viele Gemeinsamkeiten geblieben, so dass die "Unterschiede, die nicht zu leugnen sind, keinen letzten Stellenwert bekommen haben". Viele, auch außerhalb der Kirche, habe der plötzliche einsame Tod Dybas geschockt und sie an das Bibelwort erinnert, "dass der Herr kommt wie ein Dieb in der Nacht".

Auch in der kleinen katholischen Rhönstadt können sich die meisten immer noch nicht an diesen Gedanken gewöhnen. Gesünder und vitaler als viele seiner Altersgenossen hatte der 70-Jährige gewirkt. Die meisten der 63 000 Fuldaer kannten ihn zumindest von Angesicht, hatten ihn beim Jogging im Schlosspark oder in der Stadt gesehen. Auch im Ruhestand, in den er in fünf Jahren treten wollte, werde er auf jedem Fall in Fulda wohnen bleiben, hatte Dyba an seinem letzten Geburtstag angekündigt. "Denn in Fulda ist man dem Himmel am nächsten."

Am Schriftenstand des Doms liegt noch die neueste Nummer des "Bonifatiusboten" aus, in der Dyba für seine Äußerungen zur Homosexualität trotzig das Recht auf freie Meinungsäußerung reklamiert und ihm ein CDU-Provinzpolitiker mit der Bemerkung zur Seite springt, der Erzbischof habe mit dem Begriff "Lustknaben" nur die Bibel zitiert. Vorne im voll besetzten Kirchenschiff, das auf den Fundamenten des im achten Jahrhundert vom heiligen Bonifatius gegründeten Klosters Fulda steht, hat in der ersten Bank der hessische Ministerpräsident Roland Koch Platz genommen. Zwei Reihen hinter ihm sitzt Alfred Dregger. Nur von den Wiesbadener FDP-Koalitionären ist niemand erschienen. Offenbar klingt ihnen noch das Wort des bisherigen Hausherrn in den Ohren, die FDP sei Fliegendreck auf Fuldaer Porzellan, der bei der nächsten Wahl weggewischt gehört.

Lobende Worte für den verstorbenen Fuldaer Oberhirten gab es dagegen reichlich aus Rom. Papst Johannes Paul II. würdigte ihn als "konturenreiche Persönlichkeit" und "kraftvollen Hirten". Kurienkardinal Joseph Ratzinger nannte ihn "eine herausragende Bischofsgestalt". In seinem Glauben seien sein Humor, sein Charme und seine Heiterkeit begründet gewesen, aber auch der Mut, sich "dem Zeitgeist zu widersetzen".

"Gerade deswegen haben wir ihn sehr verehrt", sagt die Grundschullehrerin Elisabeth Lange, die zur Bischofspfarrei gehört. Er habe es gewagt, Unangenehmes auszusprechen und klare Worte gegen die Abtreibung zu sagen. Ihr Mann und ihre Eltern dächten genauso, sagt die Mutter zweier Kinder. Nur in ihrem Kollegium stehe sie mit dieser Meinung eher alleine. Eine ältere Frau nickt zustimmend: Mutig sei er gewesen und geradeheraus, er habe sein Bestes gegeben.

An der Beisetzung nach dem Trauergottesdienst nehmen dann in der kleinen Johanneskapelle nur noch Verwandte, die Zelebranten und das Domkapitel teil. Wenige Wochen zuvor hatte der Erzbischof den Ort, an dem er einmal beerdigt sein würde, noch einem Fernsehteam gezeigt. Das sei der "Platz, wo ich mal ausruhen darf", sagte Dyba in dem Porträt, das kurz nach seinem Tod ausgestrahlt wurde. Das zu wissen, sei doch ein "gutes Gefühl".

Zwei seiner Angehörigen spielen vor dem klobigen, mit Goldranken verzierten Barockaltar die Lieblingsmelodie des Verstorbenen, das "Sanctus" von Franz Schubert. Dann wird der Sarg in die vorbereitete Gruft neben Dybas Vorvorgänger, Bischof Adolf Bolte, gesenkt. Vom Rand des Domplatzes, aus der Ferne, schaut ein junger Mann dem Geschehen zu, das auf eine riesige Videoleinwand übertragen wird. Er ist aus der katholischen Kirche ausgetreten und nach eigenem Bekunden homosexuell. "Ich wünsche niemandem den Tod", sagt er, "aber dem Dyba weine ich keine Träne nach." Einige Meter weiter verstaut die Rentnerin Magdalena Bug ihren Regenschirm in der Handtasche und rüstet sich für den Heimweg. "Er hat doch einen schönen Tod gehabt", sagt sie. "Jetzt ist er da, wo er immer sein wollte."

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