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Leutheuser-Schnarrenberger: Auf dem Weg zur Bundesjustizministerin

Die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger könnte im Herbst das Amt übernehmen, das sie 1995 aufgab: Bundesjustizministerin. Die 57-Jährige ist der Oliver Kahn der Politik.

Nach persönlichen Niederlagen wird in der Politik schon mal geweint. Aber es gibt auch Siege, die zum Heulen sind. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kennt beides. Nach der Landtagswahl 1998 stand die FDP in Bayern kurz vor der Auflösung. Klägliche 1,7 Prozent hatten die Liberalen erzielt, dann kam die gebürtige Westfälin, stellte sich erst der Kampfabstimmung für den Landesvorsitz und gewann bei der nächsten Wahl 0,9 Prozentpunkte dazu. Aber 2,6 Prozent – das war immer noch zum Heulen.

Doch wenn es eine Art Oliver Kahn der Politik gibt, dann ist es die 57-Jährige. Wie der bayrische Torwart-Titan hat sie eine Botschaft verinnerlicht: Es muss weiter gehen, immer weiter.

Und es ging ja auch immer wieder weiter bei Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, trotz Tränen, die sie beispielsweise vergoss, als sie 1995 wegen der Unterstützung ihrer Partei für den „Großen Lauschangriff“ als Bundesjustizministerin zurücktrat. 14 Jahre später sieht es nun so aus, als könnte die Juristin exakt auf diesen Posten zurückkehren. Sollte Schwarz-Gelb im Herbst die große Koalition ablösen, gilt sie in der Partei als gesetzt. Sie selbst sagt zu den Personalspekulationen nichts. Aber wenn man Leutheusser-Schnarrenberger dieser Tage in ihrem Büro Unter den Linden besucht, trifft man eine gutgelaunte Frau, die mit bald 58 Jahren den politischen Elan und die Leidenschaft einer Newcomerin versprüht. Und weil sie ein alter Profi ist in diesem Geschäft, lenkt sie schnell ab vom Postengerede und betont einen wichtigen Grund ihrer momentanen Genugtuung: „Die Bürgerrechte spielen in meiner Partei wieder eine unverzichtbare Rolle. Mehr kann man innerparteilich kaum erreichen.“

Das Blatt hat sich tatsächlich gewendet seit den Tagen, als sie 2003 verzweifelt Wahlkampf gemacht hat in Bayern und die Bürgerrechte in der Bundespartei ganz bestimmt keine besondere Rolle spielten. Die Ergebnisse bei den Bundestagswahlen 2005 waren dann sehr gut in Bayern, und 2008 hat sie die Partei zusammen mit dem bayrischen Spitzenkandidaten Martin Zeil zurück in den Landtag geführt – und in Regierungsverantwortung. Sie hat auf Augenhöhe mit dem politischen Alphatier Horst Seehofer die Koalitionsverhandlungen geführt, und die Bundespartei hat sich endgültig wieder an sie erinnert, an ihre Standhaftigkeit und politische Zähigkeit. Alphatiere hat sie schließlich mehr als genug erlebt, sie fürchtet sie nicht.

In der Partei wissen sie jetzt wieder, was sie an Leutheusser-Schnarrenberger haben: „Sie ist erfahren. Und wer hat von uns schon regiert“, sagt einer. „Sie ist in allen Lagern anerkannt“, sagt ein anderer. „Sie wird als Ratgeberin geschätzt“, findet ein Dritter und zählt ihre Eigenschaften auf: „Sympathisch, klar, immer eine erkennbare Kontur.“

So viel Lob aus einer Partei, die im innerparteilichen Ränkespiel lange Jahre meisterlich agierte, macht stutzig. Aber die Gelobte schweigt. Über ihre Ambitionen muss sie nicht reden, sie stehen schwarz auf weiß im Wahlprogramm- Entwurf der Liberalen, der auf dem kommenden Parteitag in 14 Tagen verabschiedet werden soll. Leutheusser, die nach dem Machtverlust 1998 ihre Partei immer wieder davor gewarnt hatte, sich inhaltlich auf die Wirtschaftspolitik zu verengen und in der Gesellschaftspolitik dem Recht des Stärkeren zu huldigen, hat den Teil über Bürger- und Freiheitsrechte geschrieben. Es ist ein erstaunlich langes und detailliertes Kapitel geworden, das zweitlängste nach dem zur Marktwirtschaft. Umfang und Akribie sind wiederum ein Beleg dafür, dass sie für die Umsetzung ihres folgenden Satzes kämpfen will: „Die Bürgerrechte werden nicht nur ein schönes Etikett sein, sonst ginge ein Identitätsthema der FDP im Wahlkampf verloren.“

Dass das Thema nun trotz der Wirtschaftskrise im öffentlichen Fokus bleibt, hat die Partei aber nicht allein Leutheusser-Schnarrenberger zu verdanken, sondern auch ihren altliberalen Parteifreunden Gerhart Baum und Burkhard Hirsch. Gegen verschiedene Sicherheitsgesetze haben Baum, Hirsch und Leutheusser-Schnarrenberger in unterschiedlicher Besetzung schon drei Mal erfolgreich Verfassungsbeschwerde eingelegt: gegen den großen Lauschangriff, gegen das Luftsicherheitsgesetz und gegen die Online-Durchsuchungsregelungen des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetzes. Eine weitere Verfassungsklage gegen die Vorratsdatenspeicherung steht zur Entscheidung an. Nun hat Baum zusammen mit anderen auch gegen das neue BKA-Gesetz Verfassungsbeschwerde eingelegt. Auch Leutheusser-Schnarrenberger hält Teile des Gesetzes für nicht grundgesetzkonform. Entsprechend hat sie deutliche Passagen ins Wahlprogramm geschrieben, etwa: „Der Gesetzgeber muss endlich aufhören, sich stets nur an der Grenze des noch verfassungsrechtlich Zulässigen zu orientieren. Daher lehnen die Liberalen jegliche Überlegungen hinsichtlich eines Spähangriffes ab.“

Die Verfassungsbeschwerden hat Parteichef Westerwelle interessiert begleitet, aber es hat lange gedauert, bis die Parteispitze dem Thema Bedeutung zugemessen hat. Im Herbst 2008 sagte Gerhart Baum im Tagesspiegel: „Wir sind als Bürgerpartei noch nicht sichtbar.“ Das Sichtbarmachen ist nun Leutheussers Job, und so ist ein etwas schiefer Satz eines Präsidiumsmitglieds über ihre Rolle wohl zutreffend: „Die Konstellation läuft auf sie zu.“ Soll heißen: Westerwelle hat erkannt, wie gewinnbringend das Thema und Leutheusser selbst sein können, um ein hohes zweistelliges Wahlergebnis zu erreichen. Und das ist auch der Grund für das Lob.

Sie selbst ist derzeit auch außerhalb der Partei nachgefragt wie selten zuvor. Dabei zeigt sie, dass sie Angriff kann und ihren potenziellen Koalitionspartner, die Union, nicht schont. Sie sagt: „Die Privatheit der Bürger, der Kern ihrer Freiheit, ist durch die große Koalition immer weiter eingeschränkt worden. Die Botschaft der FDP wird sein, dass der 27. September die Chance für die Bürger ist, für wichtige Korrekturen in der Bürgerrechtspolitik zu stimmen. Denn die Bilanz des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble ist vernichtend.“

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