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Politik: Leyen kämpft

Aber wenig Hilfe aus der Partei für ihre Rentenidee.

Von Robert Birnbaum

Berlin – Volker Kauder hat seine amtliche Miene aufgesetzt, nur das Zucken der linken Augenbraue verrät, dass hier gerade etwas Ungewöhnliches passiert. Der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion sei übereingekommen, berichtet der Fraktionschef, für die von der Sozialministerin aufgeworfenen Fragen drohender Altersarmut unter Rentnern eine „systemische Gesamtlösung“ zu suchen. „Es wird zu prüfen sein“, fügt Kauder hinzu, „ob die bisherigen Vorschläge ausreichend sein können für die doch sehr grundsätzlichen Fragen, die hier aufgeworfen werden.“ Man wird das wohl eine Misstrauenserklärung nennen müssen.

Ursula von der Leyen ist schon öfter in den eigenen Reihen aufgelaufen. Derart offen gegen die Wand krachen lassen hat die Union ihre Arbeits- und Sozialministerin noch nie. Kauders Resümee am Freitag spiegelt aber die Diskussionslage in der zweitägigen Vorstandsklausur. Von der Leyens Idee einer Zuschussrente fand dort keinerlei Unterstützung, erst recht nicht, nachdem Kanzlerin Angela Merkel ihre Zweifel klargemacht hatte: Das Thema sei wichtig, doch müsse man diese Debatte „mit Behutsamkeit führen“.

Das hat von der Leyen nun wirklich nicht getan. Sie hat im Gegenteil versucht, ihr Projekt mit Schreckensmeldungen durchzupeitschen: Wer demnächst nach 35 Beitragsjahren in Rente gehe, so ihr zentrales Beispiel, müsse mehr als 2500 Euro verdienen, um gerade mal über die Grundsicherung zu kommen. „Nicht realistisch“, nennen Kauder und CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt dieses Zahlenspiel. „Ich zweifle nicht an den Berechnungen selbst“, sagt Hasselfeldt. „Aber die Grundlagen müssen realistisch sein. Realistisch ist nicht 35 Jahre Beitragszeit.“ Auch Kauder betont, wer bis 67 arbeiten müsse, werde eher 45 Jahre in die Rentenkasse einzahlen. Die Lage, fragt eine Journalistin, sei also besser als die Ministerin sie dargestellt habe? „So ist es“, sagt Hasselfeldt.

Spätestens jetzt ist es eine offene Misstrauenserklärung. Zumal Kauder den Rat verteilt, „die gesetzliche Rentenversicherung nicht schlechtzureden“, und sich dagegen verwahrt, die Grundsicherung mit Armut gleichzusetzen. Einen Zeitplan vorschreiben lassen will er sich auch nicht. Bis Ende Oktober, fordert von der Leyen seit Tagen, erwarte sie eine Entscheidung. „Da geht es jetzt nicht um einen 100-Meter-Lauf“, kontert Kauder. So rasch wie möglich, aber ohne Zeitdruck werde man eine Gesamtlösung finden: „Wir sind die Problemlöser und nicht die Problembeschreiber.“

Von der Leyen hat in der Klausur ihr Vorhaben verteidigt, ohne dass ihr jemand beigesprungen wäre. Doch noch während Kauder und Hasselfeldt sie abwatschen, geht via Spiegel Online ihr nächstes Interview in die Welt hinaus. „Ich fühle mich nicht einsam“, versichert sie. Politische Auseinandersetzungen müssten geführt werden, erst recht wenn es um eine „grundlegende Gerechtigkeitsfrage“ gehe: „Diesen Kampf stehe ich auch durch.“ Das Problem erfordere eine baldige Lösung: „Bis Ende Oktober erwarte ich Richtungsentscheidungen!“ Man muss den Satz zweimal lesen, um das Beidrehen zu bemerken. „Richtungsentscheidungen“ ist etwas anderes als „Entscheidungen“. Robert Birnbaum

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