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Entzweit: Ministerpräsident Hariri (r.) und Hisbollah-Anführer Nasrallah.

© AFP

Libanon: Die Hisbollah geht in die Offensive

Nach dem Sturz der Regierung im Libanon will die Schiiten-Bewegung einen eigenen Gefolgsmann zum Ministerpräsidenten küren.

Berlin – Das internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes am ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri spaltet den Libanon und hat nun erneut die Regierung zerbrechen lassen. Am Mittwochabend legten die zehn Minister der islamistischen Schiiten-Bewegung Hisbollah sowie ein weiteres Kabinettsmitglied ihre Ämter nieder. Damit ging die Hisbollah in die Offensive: Sie will nun einen eigenen Gefolgsmann zum Ministerpräsidenten küren, „der sich im Kampf gegen Israel und seine Verbündeten hervorgetan hat“, verkündete der Abgeordnete Mohamed Raad am Donnerstag. Bis dahin soll der bisherige Ministerpräsident Saad Hariri, der Sohn des Ermordeten, kommissarisch die Geschäfte weiterführen. Dies erklärte Präsident Michel Suleiman am Donnerstag.

Doch regiert hat Hariri schon seit Monaten nicht mehr, weil er keine Kabinettssitzung einberief. Damit wollte er verhindern, dass er – wie von der Hisbollah gefordert – sich von der Untersuchung des Mordes an seinem Vater distanziert oder zumindest Zweifel an deren Seriosität sät. Denn anders als zu Beginn der Untersuchung scheint nun die Hisbollah im Visier der Ermittler zu stehen. Doch Hariri, der gerade zu Besuch in Washington weilt, blieb bisher hart. Mit dem Rücktritt von elf der insgesamt 30 Minister eskaliert jetzt der Streit um die internationale Untersuchung, deren politisch hochsensible Ergebnisse eigentlich schon am Jahresende erwartet worden waren. Hariri war am 14. Februar 2005 durch die Explosion einer Autobombe zusammen mit 22 weiteren Menschen im Zentrum von Beirut getötet worden.

Seit Monaten hatten Syrien und Saudi-Arabien versucht, zwischen den Parteien zu vermitteln. Erst vor wenigen Tagen hatte Hariri diese Vermittlungstätigkeit öffentlich gemacht und damit die Hoffnungen geschürt, der Eklat werde ausbleiben. Die Regierung der Nationalen Einheit unter seiner Führung war erst vor gut einem Jahr, im November 2009, gebildet worden. Vorausgegangen waren fünfmonatige, zähe Verhandlungen. Damals war es um die Verteilung der Kabinettssitze und ein Vetorecht für die Hisbollah und ihre Verbündeten gegangen, das sie schließlich trotz ihres Minoritätsstatus erhalten haben.

Der Streit geht um das Sondertribunal der Vereinten Nationen, das der Sicherheitsrat 2007 im niederländischen Den Haag einrichtete. Es ist die erste internationale Rechtsprechungsinstanz, die sich mit terroristischen Verbrechen beschäftigt. Saad Hariri hatte dies damals gegen den Willen der Hisbollah unterstützt. Er machte zunächst Syrien für den Mord an seinem Vater verantwortlich. Auch der erste Ermittler, der Berliner Staatsanwalt Detlef Mehlis, schien Syrien im Visier zu haben. Inzwischen wird vermutet, dass eher Anklage gegen Hisbollah-Mitglieder erhoben werden wird. Der Chef der Bewegung, Hassan Nasrallah, hatte im Oktober eingeräumt, dass gegen Mitglieder seiner Organisation ermittelt wird, und zum Boykott des Tribunals aufgerufen. Seine Arbeit war im Libanon immer umstritten. Ermittler des Gerichts wurden bei Untersuchungen vor Ort immer wieder behindert und teils sogar gewaltsam angegriffen.

Mit dem Sturz der Regierung könnte die Hisbollah versuchen, Hariri doch dazu zu bringen, sich von dem Tribunal zu distanzieren. Das kann Hariri aber nicht tun, weil es international nicht akzeptabel wäre. Hariri braucht aber die Unterstützung des Westens und der USA. Die Hisbollah dagegen wird von Syrien und dem Iran unterstützt. Selbst wenn die Hisbollah im Parlament einen ihr genehmen Kandidaten als Ministerpräsidenten durchboxen kann, wird dies den Libanon weiter lähmen. Denn gegen den Willen der mächtigen sunnitischen Politiker wird ein solcher Kandidat sich in einem Land, das auf politischem Proporz basiert, kaum durchsetzen. Wenn das UN-Tribunal in dieser Phase seine Anklagen erheben sollte, könnte dies das fragile System völlig aus der Balance bringen.

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