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Der Chef der Liberalen, Justin Trudeau, hält seine Siegesrede nach der Parlamentswahl in Kanada. Der Slogan: "Wahrer Wandel jetzt!"

© REUTERS

Update

Liberaler Wahlsieg in Kanada: Justin Trudeau löst konservativen Stephen Harper ab

Trudeau wird neuer Regierungschef in Kanada. Für die Konservativen um den bisherigen Premier Harper endete die Parlamentswahl mit einer herben Niederlage.

Bei den Parlamentswahlen in Kanada sind die Konservativen von Premierminister Stephen Harper abgewählt worden. Die oppositionellen Liberalen von Justin Trudeau erzielten ersten Prognosen zufolge mit über 170 der 338 Sitze die absolute Mehrheit im Parlament, wie mehrere Fernsehsender übereinstimmend berichteten. Der 43-jährige Trudeau, ein Sohn des früheren Premierministers Pierre Trudeau, dürfte Harper damit nach neun Jahren an der Macht ablösen.

Es ist Zeit für Veränderungen in diesem Land, echte Veränderungen“, sagte Trudeau in der Nacht zum Dienstag vor Anhängern in der ostkanadischen Metropole Montréal. „Ich werde der Premierminister aller Kanadier sein.“ Trudeau bedankte sich bei seinen Wählern und dankte auch dem bisherigen konservativen Regierungschef Harper für dessen Arbeit. „Konservative sind nicht unsere Feinde, sondern unsere Nachbarn.“ Die Liberalen hätten die Wahl gewonnen, weil sie zugehört hätten, sagte Trudeau weiter. „Wir haben Angst mit Hoffnung geschlagen, Zynismus mit harter Arbeit und Negativität mit einer positiven Vision, die alle Kanadier zusammenbringt.“

Herbe Verluste

Ersten Ergebnissen zufolge holten die Liberalen alle 32 Parlamentssitze in den vier Atlantikprovinzen Neufundland und Labrador, Nova Scotia, New Brunswick und Prince Edward Island an der kanadischen Ostküste, wie es in den Fernsehberichten hieß. Auch in den wichtigen Provinzen Ontario und Québec schnitten die Liberalen demnach gut ab. Harpers konservative Tories fuhren dagegen große Verluste ein und kommen im Abgeordnetenhaus nur noch auf rund hundert Sitze. Harper hat seine Niederlage eingestanden und ist als Vorsitzender der Konservativen Partei zurückgetreten.

Der Chef der Liberalen, Justin Trudeau, gemeinsam mit Ehefrau und Kindern beim Abgeben seiner Stimme.
Der Chef der Liberalen, Justin Trudeau, gemeinsam mit Ehefrau und Kindern beim Abgeben seiner Stimme.

© REUTERS/ Chris Wattie

Die Liberalen hatten bereits in den letzten Umfragen vor der Wahl in Führung gelegen, nachdem es zuvor lange nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen ausgesehen hatte. Trudeau hatte am letzten Wahlkampftag "nicht nur einen Regierungswechsel, sondern eine bessere Regierung" versprochen. Er hatte im Wahlkampf vor allem die Mittelklasse umworben und im Falle eines Wahlsiegs angekündigt, die Steuern für Reiche zu erhöhen und viel Geld in die Infrastruktur zu stecken, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Liberaler Kandidat fordert öffentliche Investitionen

Hauptthema des Wahlkampfs war die Wirtschaft. Wie seine Vorgänger achtete Harper darauf, dass das rohstoffreiche Land wirtschaftlich sowohl von den viel größeren USA als auch der Europäischen Union profitierte. Doch spätestens seit der Ölpreis 2014 massiv sank, schwächelt die Exportwirtschaft. Und die angekündigte, aufwendige Ausbeutung der Gasvorkommen in der Arktis lohnt sich kaum noch.

Zuletzt wurde Harper von der Opposition wegen seiner Flüchtlingspolitik angegriffen. In Großstädten wie Toronto ist oft die Hälfte der Bewohner nicht im multikulturellen, mehrsprachigen Kanada geboren worden. Trotzdem hat Harper nur einige tausend Syrer aufgenommen. Außerdem wollte er das Tragen von Gesichtsschleiern bei Einbürgerungszeremonien verbieten, was ihn Stimmen unter den – vergleichsweise wenigen – Muslimen kosten dürfte, die ihn bislang unterstützt hatten.

Strategisches Wählen wegen Mehrheitswahlrechts

Rund 26 der 35 Millionen Kanadier waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Konservative und Liberale wechseln sich seit Jahrzehnten in der Regierung in Ottawa ab. Sie lassen sich mit Republikanern und Demokraten in den USA, in vielen Aspekten auch mit SPD und CDU vergleichen. Wie in den USA wird in Kanada nach Mehrheitswahlrecht abgestimmt. Das bedeutet, nur die Partei gewinnt einen Parlamentssitz, die im jeweiligen Wahlkreis die Mehrheit der Stimmen erhält – theoretisch könnte eine Partei also in zig Wahlkreisen 49 Prozent bekommen und dennoch nie im Parlament landen.

Der Sieg der Liberalen zeige auch die Wirksamkeit strategischer Wahlentscheidungen, sagte Phil Triadafilopoulos, Politikwissenschaftler an der University of Toronto: Viele Kanadier hätten angekündigt, ihre Stimme etwa nicht der linken NDP zu geben, um in ihrem Wahlkreis den Sieg des aussichtsreicheren Kandidaten der Liberalen nicht zu gefährden.

Stephen Harper, der kanadische Premier, könnte sein Amt in diesen Tagen verlieren.
Stephen Harper, der kanadische Premier, könnte sein Amt in diesen Tagen verlieren.

© Jeffrey Arguedas

Anders als in den USA ist Kanada parteipolitisch vielfältig: Der linken NDP werden in dieser Wahl rund 20 Prozent prognostiziert, dem Bloc Québécois, den Separatisten aus der französischsprachigen Provinz Québec, zehn Prozent, und womöglich zieht die Chefin der Grünen wieder ins Parlament ein: Elizabeth May hat 2011 ihren Wahlkreis bei Vancouver, an der traditionell ökologisch orientierten Westküste, gewonnen.

Selbst die Konservativen dürfen in Kanada nicht zu sehr dem großen Nachbarn schmeicheln, ohne Stimmen zu riskieren. Und so blieb auch Harper beim Streit um die Einfuhr günstigen kanadischen Holzes in die USA hart. Rund 90 Prozent der Kanadier leben in der Nähe der 5000 Kilometer langen Grenze mit den USA, der Einfluss des südlichen Nachbarn war immer groß. Die meisten Fernsehprogramme stammen aus den Vereinigten Staaten. Von keinem Markt ist Kanada so abhängig wie vom US-amerikanischen. Aber die USA sind viel weniger auf Kanada angewiesen. Formal ist Kanada übrigens erst 1982 vollständig von der einstigen Kolonialmacht Großbritannien unabhängig geworden. (mit AFP)

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