zum Hauptinhalt
Gaddafis "Volksrepublik" ist zwar das reichste nordafrikanische Land, doch vom Reichtum fallen für die große Mehrheit der 6,5 Millionen Libyer nur ein paar Krümel ab.

© dpa

Libyen: Auch im Staat Gaddafis gärt es schon

Libyens Diktator reagiert mit einem Milliardenprogramm auf den wachsenden Unmut im Volk. Doch nur Bruchstücke dieser Unruhen dringen an die Öffentlichkeit, weil Gaddafis Presse- und Internetzensur die härteste ganz Nordafrikas ist.

Libyens „Revolutionsführer“ Muammar al-Gaddafi sieht in diesen Tagen noch etwas zerknitterter als sonst aus: Die Despotendämmerung vor seiner Haustür provozierte beim Anführer der „libyschen Revolution“ ein Wechselbad der Gefühle. Zunächst verteidigte der für seine schrägen Auftritte berühmte Oberst, der vor 42 Jahren durch einen Putsch an die Macht kam, Tunesiens gestürzten Tyrannen Zine el-Abidine Ben Ali: „Es gab keinen besseren als Zine, um Tunesien zu regieren.“ Als die Libyer zu murren begannen, weil es ihnen auch nicht besser geht als den Tunesiern, vollzog Gaddafi eine Kehrtwendung: „Ich bin auf der Seite des tunesischen Volkes.“ Zugleich versuchte der dienstälteste Diktator der Welt, durch soziale Wohltaten den wachsenden Unmut in seinem Volk zu dämpfen: Gaddafi ordnete über Nacht an, sämtliche Steuern und Zölle auf Lebensmittel in seinem Wüstenland zu eliminieren, um einer Hungerrevolte zuvorzukommen.

Gaddafis „Volksrepublik“ ist zwar dank ihrer Erdöl- und Gasfelder das reichste nordafrikanische Land – gemessen am Bruttoinlandsprodukt wenigstens: 95 Prozent der Exporterlöse stammen aus dem Geschäft mit dem schwarzen Gold. Westliche Konzerne und Regierungschefs putzen Klinken in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Doch von dem Reichtum fallen für die große Mehrheit der 6,5 Millionen Libyer nur ein paar Krümel ab. In den letzten Monaten hatte sich der Volkszorn über steigende Preise für Grundnahrungsmittel und eklatanten Wohnungsmangel gleich in mehreren Demonstrationen entladen, in dem Küstenort Al Bayda etwa und der Großstadt Benghazi. Es wurde über Zusammenstöße mit der Polizei berichtet und über die massenhafte Besetzung von nicht fertiggestellten Wohnungsblöcken. Seit Jahren hört man immer wieder von der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten.

Nur Bruchstücke dieser Unruhen dringen an die Öffentlichkeit, weil Gaddafis Presse- und Internetzensur die härteste ganz Nordafrikas ist. Ganz offiziell aber wurde dieser Tage verkündet, dass der selbsternannte „König der Könige“ rund 17 Milliarden Euro für einen regionalen Entwicklungsplan gebilligt habe, mit dem vor allem Behausungen gebaut werden sollen – ein Indiz, dass es bei der Wohnungsversorgung brennt. Die Arbeitslosigkeit, vor allem unter den Jungen, wird auf mehr als 30 Prozent geschätzt.

Misswirtschaft, Korruption und jahrelange westliche Sanktionen sorgten dafür, dass Libyens Infrastruktur bis heute vielerorts erbärmlich ist. Lange war das Land als „Schurkenstaat“ international geächtet. Nach UN-Sanktionen und politischer Isolierung setzte zur Jahrtausendwende ein Sinneswandel Gaddafis ein: Er zahlte millionenschwere Entschädigungen für libysche Terrortaten, beendete die Produktion von Massenvernichtungswaffen. 2003 hoben UN, USA und EU die Sanktionen auf. Seitdem entwickelte sich Libyen für den Westen zum „wichtigen Partnerstaat“. Dem Volk hat dies bislang aber wenig Freiheit und soziales Auskommen gebracht, auch eine organisierte Opposition gibt es im Land nicht. „Gaddafi öffnet sich nach außen, aber nach innen nicht“, beklagen Bürgerrechtler: „Wir Libyer“, schreibt der im Londoner Exil lebende Schriftsteller Hisham Matar, „sehnen uns genauso nach einer gerechten und verantwortlichen Regierung wie unsere tunesischen Brüder und Schwestern.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false