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Eine Demonstration in Benghazi gegen die Regierung in Tripolis.

© Abdullah DOMA / AFP

Update

Libyen-Konferenz in Berlin: Wie das Bürgerkriegsland befriedet werden soll

Putin kommt, Macron, Erdogan und Johnson auch, Trump schickt Außenminister Pompeo. Am Sonntag geht es um Frieden in Libyen - und um Interessen in der Region.

Es ist die wichtigste Friedenskonferenz in Deutschland seit der Petersberger Afghanistan-Konferenzen vor fast zwei Jahrzehnten – und zugleich ein internationaler Gipfel der Staats- und Regierungschefs: Zur Libyen-Konferenz an diesem Sonntag in Berlin werden US-Außenminister Mike Pompeo, Russlands Präsident Wladimir Putin, der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Boris Johnson sowie Vertreter weiterer Staaten erwartet. Sie wollen über Wege zum Frieden für das Bürgerkriegsland Libyen beraten.

Libyens Regierung fordert internationale Schutztruppe

Ab etwa 13.30 Uhr geht es am Sonntag im Kanzleramt darum, einen Stellvertreterkrieg wie in Syrien zu unterbinden und ein Land zu stabilisieren, das seit einem Jahrzehnt immer weiter im Chaos versinkt. Aus europäischer Sicht geht es aber auch darum, den Zuzug von Flüchtlingen aus Afrika zu begrenzen und islamistischen Terroristen einen neuen Rückzugsraum in unmittelbarer Nachbarschaft zu verbauen.

Der Chef der international anerkannten Regierung Libyens, Fajes al Sarradsch, forderte kurz vor der Berliner Libyen-Konferenz eine internationale Schutztruppe für sein Land. Wenn General Chalifa Haftar seine Offensive nicht einstelle, müsse "die internationale Gemeinschaft aktiv werden und zwar auch mit einer internationalen Truppe zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung", sagte al-Sarradsch der "Welt am Sonntag".

"Eine solche Schutztruppe muss unter dem Dach der Vereinten Nationen agieren", forderte al-Sarradsch. Fachleute müssten beraten, wer daran teilnehme, "etwa die EU oder die Afrikanische Union oder die Arabische Liga". Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte zuletzt eine Schutztruppe der EU für Libyen vorgeschlagen. Das Land gilt als wichtigstes Transitland für Migranten, die über das zentrale Mittelmeer in die EU gelangen wollen.

Kurz vor der Konferenz hatte der UN-Sondergesandte für das Bürgerkriegsland, Ghassan Salamé, am Samstag einen Abzug ausländischer Kämpfer gefordert. „Wir haben einen Sicherheitsplan vorgelegt, der den Abzug aller ausländischen Kämpfer vorsieht, gleich welcher Nationalität“, sagte Salamé in einem Interview, das die arabische Zeitung „Al-Sharq al-Awsat“ veröffentlichte. Er wolle ein Ende der ausländischen Einmischung in den Konflikt. Anhänger des abtrünnigen Generals Haftar blockierten wichtige Häfen für die Ölproduktion in dem Land und riefen damit international Kritik hervor.

Warum engagiert sich Deutschland?

Italien unterstützt in Libyen die Regierung von Ministerpräsident Fajis al Sarradsch, Frankreich protegiert dagegen dessen Widersacher Chalifa Haftar. Damit fallen zwei wichtige europäische Länder als Vermittler in dem Konflikt ebenso aus wie die Europäische Union.

Deutschland hat sich dagegen in den vergangenen Jahren nicht in den innerlibyschen Machtkampf eingemischt und auch nicht an der internationalen Militärinvention 2011 beteiligt, die zum Sturz von Diktator Muammar al Gaddafi führte. Damit kann die Bundesregierung als Vermittler auftreten.

Ganz uneigennützig ist das deutsche Engagement aber nicht. Über Libyen verläuft eine der wichtigsten Routen von Flüchtlingen, die nach Europa wollen. Sollte das Land weiter in Bürgerkrieg und Chaos versinken, wären Absprachen mit der Führung in Tripolis zur Rücknahme von Migranten nicht möglich. Auch aus Libyen selbst würden sich mehr Menschen auf die Flucht begeben.

Was will die Bundesregierung erreichen?

Deutschland unterstützt seit September 2019 die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen. Der UN-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé, hat einen dreistufigen Friedensplan entwickelt. Zunächst muss es demnach einen Waffenstillstand zwischen der Einheitsregierung und Haftars Milizen geben.

Angela Merkel ist als Krisenmanagerin gefragt.
Angela Merkel ist als Krisenmanagerin gefragt.

© Michael Kappeler/dpa

Zweitens sollen sich die Staaten, die in den Konflikt involviert sind, darauf verständigen, gemeinsam auf ein Ende der Kämpfe hinzuwirken und das Waffenembargo einzuhalten. Dann kann es schließlich auch einen innerlibyschen Friedensprozess geben.

Die Bundesregierung unterstützt den UN-Gesandten vor allem bei der Umsetzung des zweiten Punkts – sie muss also diejenigen Staaten, die in Libyen einen Stellvertreterkrieg führen, dazu bewegen, sich weniger stark in den Konflikt einzumischen.

Kann Merkel den Konflikt entschärfen?

Ein Erfolg bei der Libyen-Konferenz wäre für die Kanzlerin von großer Bedeutung, weil sie dadurch ihren in letzter Zeit etwas ramponierten Ruf als Krisenmanagerin festigen könnte. In dieser Funktion ist Merkel seit dem Beginn ihrer vierten und letzten Amtszeit international praktisch kaum noch in Erscheinung getreten.

Dabei hatte sie früher nicht nur nächtelang in EU-Krisensitzungen verhandelt, sondern 2014 und 2015 auch die Minsker Abkommen durchgesetzt, die den Ukraine-Krieg zwar nicht beendeten, aber immerhin eindämmten. Für eine Rückkehr auf die internationale Bühne als Vermittlerin hat sich die Kanzlerin einen denkbar schwierigen Konflikt ausgesucht.

Ohne ihn wird es für Libyen keine Lösung geben - Wladimir Putin.
Ohne ihn wird es für Libyen keine Lösung geben - Wladimir Putin.

© Dmitry Astakhov/Sputnik/Reuters

Ursprünglich war es nicht die Aufgabe der Deutschen, zwischen Sarradsch und Haftar zu vermitteln. Nun reisen aber beide nach Berlin. Sowohl Italiens Premier Conte als auch Putin sind in den vergangenen Wochen daran gescheitert, eine Verständigung zwischen den beiden zu erreichen.

Sarradsch verweigerte ein Gespräch mit Italiens Premier, weil dieser Haftar zuerst empfangen hatte. Und der abtrünnige General reiste am Montag aus Moskau ab, ohne den vereinbarten Waffenstillstand zu unterzeichnen –und brüskierte damit seine Gastgeber.

Was will General Haftar erreichen?

Vor allem zweierlei: mehr Macht und die Kontrolle über das ganze Land. Davon ist er nicht mehr allzu weit entfernt. Seine Streitkräfte beherrschen einen großen Teil des Ostens und Süden Libyens und schicken sich sogar an, die Hauptstadt Tripolis einzunehmen.

Der General kennt Libyen wie kaum ein anderer. Im Laufe seiner Karriere hat er gelernt, Fronten und Partner zu wechseln – je nachdem, wie es ihm nützlich erschien. Ausgebildet in der Sowjetunion war der Berufsoffizier am Sturz von König Idris 1969 beteiligt und diente dann Gaddafi.

Aber als Haftar im Krieg gegen den Tschad (1978-1987) in Gefangenschaft geriet, ließ der Diktator ihn fallen. Unter mysteriösen Umständen wurde Haftar von den USA befreit, verbrachte dort zwei Jahrzehnte im Exil – er soll eng mit der CIA zusammengearbeitet haben – und kehrte 2011 nach Libyen zurück, um sich am Aufstand gegen Gaddafi zu beteiligen.

General Chalifa Haftar will ganz Libyen unter seine Kontrolle bringen.
General Chalifa Haftar will ganz Libyen unter seine Kontrolle bringen.

© Costas Baltas/Reuters

Doch mit dem damals installierten nationalen Übergangsrat gab es kein Einvernehmen. Das Gremium fürchtete, er wolle eine Militärdiktatur errichten. Der schlug sich daraufhin auf die Seite eines Gegenparlaments im Osten des Landes und startete 2014 seine „Operation Würde“.

Haftar verkauft diesen Feldzug als Einsatz gegen militante Islamisten. Beim Vormarsch kommt ihm zugute, dass er Staaten wie Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate zu seinen Verbündeten zählt. Und noch etwas stärkt ihm den Rücken: Er hat inzwischen Zugriff auf einen großen Teil der libyschen Ölquellen.

Kann ihm Sarradsch Paroli bieten?

Das ist mehr als fraglich. Ohne das Wohlwollen der USA, der UN, Deutschlands und Italiens wäre seine Regierung kaum überlebensfähig. Diesen Schutzpatronen verdankt der 59-Jährige das Amt des Ministerpräsidenten. Aber Sarradsch fehlt eine Hausmacht.

Seiner Einheitsregierung wird zudem vorgeworfen, mit kriminellen Schleusern Geschäfte zu machen. Die ihm nachgesagte Nähe zu den islamistischen Muslimbrüdern trägt ebenfalls nicht gerade zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Nun hat sich jedoch mit der Türkei ein mächtiger Verbündeter in den Bürgerkrieg eingemischt. Erdogan hat sogar bereits einige Soldaten nach Libyen geschickt – sie sollen Sarradschs Regierung retten und Ankaras Einfluss sichern.

Warum gibt es vor dem Treffen Streit?

Noch bevor die Teilnehmer angereist waren, gab es Streit um die Gästeliste. Sowohl Griechenland als auch zunächst Tunesien rügten, dass sie nicht nach Berlin eingeladen wurden. Athen sieht das türkische Engagement in Libyen mit Sorge, besonders, weil Ankara mit Sarradsch eine Vereinbarung hat, in der beide Länder rohstoffreiche Seegebiete im Mittelmeer untereinander aufteilen.

Tunesien wurde zwar doch eingeladen, bleibt jetzt aber trotzdem der Konferenz fern - weil man sehr "spät" eingeladen worden sei. Demnach sei die Einladung aus dem Bundeskanzleramt erst am Freitag in Tunis eingegangen. Tunesien ist ein Nachbarstaat Libyens, die beiden nordafrikanischen Länder haben eine 450 Kilometer lange gemeinsame Grenze.

Kampf um Tripolis. Die Truppen von General Haftar versuchen, die Hauptstadt einzunehmen.
Kampf um Tripolis. Die Truppen von General Haftar versuchen, die Hauptstadt einzunehmen.

© Amru Salahuddien/XinHua/dpa

Einige dieser Gebiete gehören aber zu Griechenland. Die Bundesregierung verweist darauf, dass die EU das Abkommen bereits kritisiert hat – und dass es bei der Libyen-Konferenz nicht um solche Fragen gehe. Die griechische Regierung empfing dennoch kurz vor der Konferenz demonstrativ General Haftar.

Wie groß sind die Chancen, dass es bei der Konferenz zu einem Durchbruch kommt?

Seit September gab es in Berlin fünf Treffen ranghoher Diplomaten aus den beteiligten Ländern. Merkel entschied sich erst dafür, die Staats- und Regierungschefs an einen Tisch zu bitten, als die Verhandlungsführer im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt signalisierten, dass eine Einigung in greifbarer Nähe ist.

Denn in den Vorgesprächen waren Grundzüge einer „Berliner Erklärung“ entstanden, die beim Gipfel nach Klärung der letzten offenen Fragen verabschiedet werden soll. Doch erst als sich Merkel bei Putin in Moskau die Zusage abgeholt hatte, dass auch er die Konferenz unterstützt, lud die Kanzlerin offiziell zum Gipfel.

Weil nicht nur die libyschen Akteure, sondern auch einige der anwesenden Staatschefs als wenig berechenbar gelten, dämpfte die Bundesregierung sicherheitshalber die Erwartungen. Die Konferenz sei nicht der Schlusspunkt, sondern erst der Anfang eines Friedensprozesses. Merkels Sprecher Steffen Seibert betonte: „Die Probleme Libyens können nicht an einem Tag und nicht in einer Konferenz gelöst werden.“ (mit AFP)

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