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Libyen: Offensive libyscher Rebellen

Mit der Operation „Meerjungfrau“ wollen die Rebellen Gaddafi endgültig stürzen. Die Hauptstadt Tripolis ist umkämpft.

Seit 42 Jahren ist er der unumschränkte Herrscher in Libyen. Nun scheint die Ära von Oberst Muammar al Gaddafi tatsächlich zu Ende zu gehen. Die Aufständischen ziehen den Kreis um seinen Regierungssitz in Tripolis immer enger.

Welche Indizien gibt es für einen kurz bevorstehenden Machtwechsel in Libyen?

Die Rebellen feiern bereits das Ende des Gaddafi-Regimes. Am frühen Montagmorgen war Tripolis nach Angaben der Rebellen bis auf wenige Widerstandsnester vollständig in der Hand der Regimegegner. Die Leibgarde von Gaddafi habe die Waffen niedergelegt, berichteten Sprecher der Aufständischen im Sender Al-Dschasira.

Bereits in den vergangenen Tagen hatten die Rebellen wichtige Städte und Orte rings um die Hauptstadt Tripolis eingenommen. Augenzeugen und ausländische Korrespondenten berichteten über Kämpfe in mehreren Stadtvierteln in Tripolis. Am Sonntagabend wurden im Stadtzentrum in der Nähe des Hotels Rixos, wo auch Vertreter des libyschen Regimes untergebracht sind, schwere Gefechte gemeldet. Die Dramatik der Lage machte auch der Auftritt einer Moderatorin des staatlichen libyschen Fernsehens deutlich. Die Frau im blauen Polohemd hielt einen Revolver in der Hand und schrie den Rebellen in der Livesendung entgegen: „Mit dieser Waffe werde ich schießen oder heute sterben. Ihr werdet weder den Sender Libija noch Dschamahirija noch Schababija übernehmen, weil selbst Unbewaffnete sich als Schutzschild aufstellen werden, um die Kollegen des Fernsehens zu schützen. Wir sind bereit, als Märtyrer zu sterben.“

Auch die Flucht weiterer Regimevertreter ist ein Indiz dafür, dass das Ende Gaddafis kurz bevorstehen könnte. Am Sonntag bestätigte Italiens Justizminister Ignazio La Russa, dass der ehemalige Premierminister und Vertraute Gaddafis, Abdessalem Dschalloud, in Italien Zuflucht gesucht hat. Und die tunesische Übergangsregierung, die bisher im Hinblick auf das Nachbarland auf politische Neutralität geachtet hat, erkannte am Sonntag die Rebellenvertretung in Bengasi als legitime Vertretung des libyschen Volkes an.

Wo ist Gaddafi?

Gerüchte besagten, er habe sich in Richtung algerische Grenze aufgemacht, um im Nachbarland Asyl zu suchen. Aber Gaddafi versicherte am Sonntagabend in einer Audio-Botschaft, er sei noch in Tripolis – zu sehen war er freilich nicht. Auch der Führer der Rebellen in Bengasi erklärte, er vermute den libyschen Revolutionsführer noch immer in Tripolis. Mustafa Abdel Dschalil sagte Reportern am Sonnabend, er gehe davon aus, dass Gaddafi und sein innerer Zirkel sich in Tripolis auf ihr Ende vorbereiteten. „Es wird katastrophal werden“, sagte er voraus. Er würde es begrüßen, wenn Gaddafi das Land verließe, aber „ich erwarte das nicht von ihm“.

Welche Rolle spielt die Nato?

Glaubt man den Rebellen, dann koordiniert sie ihre Aktionen mit den Aufständischen und ermöglicht dadurch erst die militärischen Erfolge der insgesamt schlecht ausgerüsteten und wenig trainierten Kämpfer. Die „Operation Meerjungfrau“, die Samstagabend in Tripolis angelaufen sei, sei eine gemeinsame Operation von Nato und Kämpfern der Übergangsregierung in Bengasi, sagte deren Sprecher Ahmed Dschibril am Sonntag.

Die Nato dagegen hat immer wieder verneint, mit den Rebellen zu kooperieren oder Partei zu ergreifen. Formell hat die Nato nur ein Mandat, die Zivilbevölkerung zu schützen. Doch im Laufe der Monate wurde deutlich, dass sie ihr Mandat erweitert hat. So rückten die Rebellen in der letzten Woche erst in die strategisch wichtige Stadt Sawija, westlich von Tripolis, ein, nachdem die Nato tagelang Ziele um die Stadt herum bombardiert hatte. Im Mai brachte ein kanadisches Schiff, das die Seeblockade Libyens unterstützt, ein Rebellenboot auf, das Waffen und Munition von Bengasi nach Misrata brachte. Die Nato ließ das Schiff passieren – trotz Seeblockade. Am Sonntag erklärten die Rebellen, dass ihre Kämpfer auf dem Seeweg von Misrata aus in Tripolis gelandet seien. Auch hier hat die Nato die Seeblockade demnach nicht durchgesetzt. Und die jüngsten Tagesberichte des Nato-Stützpunktes in Neapel, der den Libyeneinsatz koordiniert, zeigen deutlich, dass in und um Tripolis mehr Ziele beschossen wurden als früher. Am 21. August waren es 22 Ziele, am Vortag 14. Am 31. Juli dagegen war es ein einziges Ziel, am 30. Mai waren es zwei. Damit wird deutlich, dass die Nato den Rebellen die Tür öffnet für ihre Vorstöße. Der Analyst des konservativen US-Think Tanks Jamestown Foundation, der Journalist Derek Flood, der kürzlich mehrere Wochen in Libyen war, sagte gegenüber CNN, er habe erlebt, dass die Rebellen nur noch angriffen, wenn die Nato vorher die Ziele „weichgebombt“ habe.

Der Sprecher des Nato-Einsatzes in Libyen, der kanadische Oberst Roland Lavoie, erklärte zu den massiven Nato-Angriffen auf Tripolis am Sonntag: „Wir reduzieren die militärische Stärke der Pro-Gaddafi-Truppen. Das ist sicher. Die Opposition hat das zu ihrem Vorteil genutzt.“ Dies hat der Sprecher der Regierung Gaddafis, Mussa Ibrahim, am Sonntag auf einer Pressekonferenz in Tripolis geschickt genutzt, um die Rebellen als Handlanger der Nato darzustellen, ohne deren Hilfe sie nicht hätten vorstoßen können. In perfektem Englisch erklärte er, der Westen falle in alte Muster aus der Kolonialzeit zurück und verfolge mit Hilfe der Nato seine eigene Agenda in Libyen. Er bot einen Waffenstillstand an und forderte, den Plan der Afrikanischen Union zur Lösung der Krise wieder aufzugreifen. Diese hatte einen Waffenstillstand und Verhandlungen gefordert, von denen allerdings Gaddafi selbst ausgeschlossen sein sollte.

Auch die deutsche Spezialeinheit GSG-9 ist nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ derzeit in Libyen im Einsatz. Die Beamten hätten die Sicherheitsberatung des deutschen Verbindungsbüros in der Rebellenhochburg Bengasi übernommen.

Wie könnte es in Libyen nun weitergehen?

Entscheidend für die Versöhnung wird sein, ob es zu Vergeltungsaktionen und Massakern in Tripolis und den zuletzt eroberten Städten kommt. Da Gaddafis „Volksrepublik“ eigentlich über keine funktionierenden politischen Institutionen wie ein Parlament oder ein Verfassungsgericht verfügt, müssen diese anders als in Tunesien oder Ägypten erst aufgebaut werden. Angesichts der fehlenden Institutionen wird wahrscheinlich den Stämmen bei der Organisation Libyens in der Post-Gaddafi-Ära eine wichtige Rolle zufallen. Eine große Herausforderung wird sein, den historischen Riss zwischen der Bevölkerung im Westen und im Osten des Landes zu kitten, der bis ins 20. Jahrhundert zurückreicht.

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