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Politik: Liebe Leserinnen, liebe Leser,

IN EIGENER SACHE am 20. April 2003 informierten wir Sie erstmals „in eigener Sache" über Hintergründe und Ziel des von uns initiierten Ministererlaubnisverfahrens Tagesspiegel / Berliner Zeitung.

IN EIGENER SACHE

am 20. April 2003 informierten wir Sie erstmals „in eigener Sache" über Hintergründe und Ziel des von uns initiierten Ministererlaubnisverfahrens Tagesspiegel / Berliner Zeitung. Der heutige Bericht soll die Komplexität des Verfahrens aufzeigen und Sie – wie zugesagt – über die jüngste Entwicklung in dieser öffentlich viel beachteten Angelegenheit informieren.

1. Der Berliner Medienmarkt

Die Verlagsgruppe von Holtzbrinck, die in Berlin den Tagesspiegel herausgibt, will mit dem Erwerb der Berliner Zeitung wichtige, die Redaktionen nicht tangierende Synergien zwischen beiden Blättern als Grundlage für eine nachhaltige Sanierung des Tagesspiegels und für eine dauerhafte Stabilisierung beider Zeitungen erschließen. Damit soll die für die deutsche Hauptstadt wichtige Medien und Meinungsvielfalt langfristig gesichert werden.

Die Verlagsgruppe von Holtzbrinck, die seit Jahrzehnten über breites Zeitungs-Know-how und anerkannte Erfahrung bei der Sanierung von Zeitungen verfügt, ist überzeugt davon, dass die Verlustsituation des Tagesspiegels weder auf übliche Konjunkturschwankungen noch auf Managementfehler zurückzuführen ist, sondern ausschließlich auf den historisch bedingten strukturellen Besonderheiten des Berliner Medienmarktes beruht. Wie in keiner anderen deutschen Region weist dieser Markt seit der Wiedervereinigung eine große Anzahl von Print- und elektronischen Medien für die unterschiedlichsten Zielgruppen auf, ein Vorteil für die künftige politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Berlins.

Zugleich verfügt der Berliner Markt aber nur über eine weit unterdurchschnittliche Kaufkraft mit der Folge, dass die Anzeigen- und Vertriebspreise für Qualitätszeitungen in Berlin weit unter dem Bundesdurchschnitt liegen und dass trotz des breiten Medienangebotes nur eine geringe Haushaltsabdeckung mit Zeitungen und eine schwache Werbenachfrage der Haushalte existiert. Um die Medienvielfalt zu erhalten, müssen daher Zeitungsverlage in Berlin nicht nur hoch professionell geführt, sondern darüber hinaus in die Lage versetzt werden, vorhandene lokale Synergien mit anderen Printmedien erschließen zu können, so wie es dem Marktführer Axel Springer AG (AS AG) traditionell möglich ist.

2. Das Bundeskartellamt

Das Bundeskartellamt hat dennoch der Verlagsgruppe den Kauf der Berliner Zeitung ebenso untersagt wie die gemeinsame Nutzung von Existenz sichernden Synergien zwischen Tagesspiegel und anderen Berliner Zeitungen. Die Kartellamtsentscheidung ist schwer nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass die AS AG – wie erwähnt – solche Synergien seit Jahrzehnten nutzen kann und auch bei einem positiven Entscheid zugunsten der Verlagsgruppe unangefochten Marktführer bei den Berliner Printmedien sowohl auf dem Leser- als auch auf dem Anzeigenmarkt bleiben würde.

3. Die Ministererlaubnis

Eine Ministererlaubnis kann erteilt werden, wenn das Gemeinwohlinteresse die vom Bundeskartellamt befürchtete Wettbewerbseinschränkung überwiegt. Im Falle Tagesspiegel/Berliner Zeitung beziehen sich Gemeinwohlvorteil, d. h. Existenzsicherung des Tagesspiegel, und die vermeintliche Wettbewerbsbeschränkung jeweils auf den Berliner Medienmarkt. Zur Existenzsicherung des Tagesspiegels als eigenständige und unabhängige Qualitätstageszeitung hat sich die Verlagsgruppe nach der Kartellamtsuntersagung Ende 2002 zu dem selten beschrittenen Weg auf Antrag einer Ministererlaubnis durchgerungen, bewusst in Kauf nehmend, dass die bedrohliche wirtschaftliche Situation des Tagesspiegels und weitere Verlagsinterna öffentlich werden, und dass dadurch das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern und Kunden einer schweren Belastungsprobe unterzogen wird.

Der Antrag auf Ministererlaubnis ist ein ordentlicher Rechtsweg, mit dem sich die Verlagsgruppe nicht – wie einige Journalisten befürchten – in (partei-) politische Abhängigkeit begibt. Die dezentral organisierte Verlagsgruppe, die so unterschiedliche Zeitungen wie Die Zeit, das Handelsblatt und den Tagesspiegel herausgibt und zu der so liberale Verlage wie S. Fischer, Rowohlt und Kiepenheuer & Witsch gehören, hat immer die Überparteilichkeit und redaktionelle Unabhängigkeit ihrer Medien garantiert. Auch sucht die Verlagsgruppe, die sich zur sozialen Marktwirtschaft bekennt, nicht nach öffentlichen Förderungen oder Subventionen für den Tagesspiegel, sondern lediglich nach Erlaubnis vorhandener Ressourcennutzung, wie sie dem Hauptwettbewerber möglich ist.

Im Gegensatz zu den Unterstellungen von Springer-Journalisten, die das Ministererlaubnisverfahren als „Farce“ und „Medienposse“ zu diffamieren versuchen, hatte die Verlagsgruppe weder, wie es heißt, „von Anfang an auf eine Ministererlaubnis spekuliert“, noch „angeblich schon vor der Bundestagswahl entsprechende Absprachen mit dem SPD-Medienzampano Wolfgang Clement getroffen“. (Woher hätte die Verlagsgruppe wissen können, dass Herr Clement nach der Bundestagswahl 2002 Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit werden würde?)

4. Kernpunkte des Ministererlaubnisverfahrens

a) Die Verlagsgruppe hat dem Bundeswirtschaftsminister für den Fall einer Ministererlaubnis eine langfristige Bestandsgarantie für den Tagesspiegel als selbstständige und publizistisch unabhängige Zeitung zugesagt. Die Verlagsgruppe, zu deren Unternehmenskultur publizistische Unabhängigkeit gehört, hat sich verpflichtet, den Tagesspiegel mindestens 20 Jahre als Vollzeitung weiterzuführen, d. h. unter Aufrechterhaltung voller redaktioneller Selbstständigkeit, die durch ein Stiftungsmodell garantiert wird. Synergien mit der Berliner Zeitung würden sich dementsprechend nur auf Verwaltung und Technik, Vertrieb und Anzeigen beziehen. Bei Verletzung der oben genannten Verpflichtungen, wie Reduzierung der redaktionellen Selbstständigkeit, Verkauf des Blattes u. ä., würde die Verlagsgruppe gegebenenfalls den Gesamtverlust ihres Engagements in Kauf nehmen müssen.

b) Des Weiteren hat der Bundeswirtschaftsminister von der Verlagsgruppe einen Effizienznachweis für den Tagesspiegel in doppelter Weise gefordert: erstens den Nachweis durch Experten und Benchmarking, dass das Unternehmen professionell und gut geführt wird, und zweitens den Nachweis, dass kein anderer Verleger/Unternehmer eine für den dauerhaften Bestand des Tagesspiegels bessere Alternative zum Verlagsgruppen-Konzept offerieren kann.

Die Verlagsgruppe ist hinsichtlich des ersten Effizienznachweises davon überzeugt, dass die dem Bundeswirtschaftsministerium unterbreiteten Zahlen und Vergleichsdaten sowie ein KPMG-Gutachten klar belegen, dass Verlag und Redaktion des Tagesspiegels trotz der dauerhaften Verluste höchste Leistung und Qualität erbringen. Der Tagesspiegel ist die einzige Zeitung in Berlin, die seit Jahren regelmäßig Leser hinzugewinnt.

Für den zweiten, später verfügten Nachweis, die Frage nach einem potenziellen Käufer, der im Wesentlichen in die Verlagsgruppen-Verpflichtungen (Bestandsgarantie für den Tagesspiegel, Erhalt voller redaktioneller Selbstständigkeit, Akzeptanz einer adäquaten Vertragsstrafe) einzutreten bereit ist, hat die Verlagsgruppe in Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium die Investmentbank Sal. Oppenheim, zu der die Verlagsgruppe keine Geschäftsverbindung hat, mit der Suche und Analyse beauftragt.

5. Die Sal.-Oppenheim-Recherche

Über Veröffentlichungen in der Financial Times und im Handelsblatt, aber auch durch direkte Ansprachen hatten alle Interessenten Gelegenheit, für den Tagesspiegel ein indikatives Angebot in einem marktüblichen Verfahren abzugeben. Die Ausschreibung Oppenheims, die keine Verkaufsverpflichtung für die Verlagsgruppe darstellt, hat deutlich die vom Bundeswirtschaftsministerium geforderte langfristige Bestandsgarantie für den Tagesspiegel herausgestellt: „Bedingung (…), dass der Erwerber eine Gewähr dafür bieten (muss), dass der Tagesspiegel dauerhaft als eigenständige Abonnement-Zeitung in Berlin erhalten wird, ohne dass er zu einer Lokalausgabe einer anderweitig in Berlin vertriebenen Zeitung wird." Ferner hat Sal. Oppenheim alle Interessenten zur Termineinhaltung bei der Abgabe ihrer Offerten aufgefordert, um Chancengleichheit zu wahren. Verspätete Offerten oder über die Presse lancierte Nachbesserungen konnten nach der Ausschlussfrist nicht mehr berücksichtigt werden.

Bei der Bewertung der später von Sal. Oppenheim durchgeführten Recherche müssen alle Angebote unter den oben erwähnten Bedingungen gesehen und gewertet werden. Die Vertragsstrafe bei Nichteinhaltung der Garantien muss gerade hinsichtlich der Bestandsgarantie eine adäquate hohe Hürde für den Interessenten darstelen und auch den potenziellen Schaden für die Verlagsgruppe, die mit der Berliner Zeitung Wettbewerber bliebe, berücksichtigen. Schlussendlich gilt es, das jeweils vorgelegte Sanierungskonzept auf seine Realisierung zu prüfen.

Da sich keines der großen deutschen oder ausländischen Zeitungshäuser und auch keine Investmentbank dazu durchringen konnten, ein Angebot abzugeben, das die vom Ministerium geforderten Bedingungen erfüllte, insbesondere die langfristige Bestandsgarantie für den Tagesspiegel, konnte am Ende nur mit zwei Beteiligten ein Detaillierungsgespräch geführt werden. Ein Interessent zog danach sein indikatives Angebot zurück, so dass nur noch das Angebot aus dem Hause Bauer zur Bewertung im Raum stand.

6. Das Bauer-Interesse

Die Verlagsgruppe Bauer hat erst kurz vor der ursprünglich für Mitte Mai vorgesehenen Ministerentscheidung in einem Fax am 09.05.2003 an den Bundeswirtschaftsminister wahrheitswidrig behauptet, sie habe bei der Verlagsgruppe Interesse am Erwerb des Tagesspiegels angemeldet; weder bei der Verlagsgruppe noch bei deren Anwälten war eine entsprechende Offerte eingegangen. Ziel dieses Manövers konnte daher nur gewesen sein, die Ministererlaubnis zu verhindern.

Bei der Bewertung des später von Bauer an Sal. Oppenheim unterbreiteten Angebotes fallen vier Dinge auf:

a) Zur wichtigen Verhandlung am 13.06.2003 (Detaillierungsgespräch) hat Bauer Personen entsandt, die nicht entscheidungsbefugt waren. Entsprechend blieben alle Aussagen vage und unverbindlich.

b) Die Bestandsgarantie, die zunächst von Bauer als kurzfristig deklariert und erst später für eine mittlere Frist in Aussicht gestellt wurde, ist, verglichen mit der Verlagsgruppen-Zusage über 20 Jahre, nicht als dauerhaft zu werten. Die Bestandsgarantie für eine Zeitung und die Meinungsvielfalt müssen unter dem Generationenaspekt gesehen werden.

c) Die von Bauer angebotene Vertragsstrafe ist für Bauer keine Hürde, die ausreichend Schutz für den Erhalt der publizistischen Vielfalt in Berlin bieten würde. Sie wäre für Bauer schon deshalb nicht abschreckend, weil Bauer jederzeit den Tagesspiegel zu guten Konditionen an eine überregionale Zeitung veräußern könnte, die aus dem Tagesspiegel ihre Lokalausgabe machen würde. Für die Verlagsgruppe, die mit der Berliner Zeitung im Markt verbliebe, würde die angebotene Vertragsstrafe im Hinblick auf die sich negativ verschiebenden Marktverhältnisse (bei Verkauf oder Einstellen des Tagesspiegels durch Bauer) keine adäquate Schadensbegrenzung darstellen. Gerade im Einstellungsfall würde der Marktführer Axel Springer AG, der in einigen Geschäften gleichgerichtete Interessen wie Bauer verfolgt, enorm vom Wegfall des Hauptkonkurrenzblattes für seine Berliner Morgenpost profitieren. Die Morgenpost als einzig verbleibende „Westberliner" Zeitung würde automatisch einen bedeutenden Auflagenzuwachs bekommen. Große Teile des Anzeigengeschäftes des Tagesspiegels würden der AS AG zuwachsen. Das Rubrikenanzeigengeschäft würde weiter monopolisiert werden. Kapitalisiert betrachtet würde das zu einem Zusatzgewinn für die AS AG von deutlich über 100 Millionen Euro führen.

d) Das von Bauer vorgelegte „Sanierungskonzept" für den Tagesspiegel ist unglaubwürdig, weil völlig unrealistisch. Laut Bauer-Konzept soll einerseits mit mehr und besserem Vertriebsmarketing die Zeitungshaushaltsabdeckung mit Abonnementstageszeitungen in Berlin mittelfristig um rund 50 bis 100 Prozent erhöht werden, was faktisch einer Verdoppelung der Tagesspiegel-Auflage gleichkäme. Es muss den für ihre Sparsamkeit bekannten Bauer-Mitarbeitern entgangen sein, dass die größte deutsche Zeitungs-Marketingschlacht in den letzten zehn Jahren (mit kumulierten Aufwendungen von über 100 Millionen Euro) in Berlin zwischen der Berliner Morgenpost, Berliner Zeitung und Tagesspiegel stattfand, mit dem ernüchternden Ergebnis, dass während dieser Zeit nicht einmal ein Absinken der Haushaltsabdeckung verhindert werden konnte.

Als zweite Erlös steigernde Maßnahme sollen ein „verbessertes Anzeigenmarketing und ein den Marktverhältnissen angepasster Anzeigenpreis" dienen, eine Idee, die wiederum von einer großen Unkenntnis des Berliner Marktes zeugt.

7. Die Zukunft des Tagesspiegels

Eine Ministererlaubnis, die die Nutzung aller nichtredaktionellen Synergien von Tagesspiegel und Berliner Zeitung ermöglicht, würde die Existenz beider Zeitungen langfristig sichern, ohne die lokalen Printmedien des Marktführers Axel Springer AG oder die der vielen Nischenanbieter zu bedrohen. Eine Ministererlaubnis wäre daher ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Medien- und Meinungsvielfalt in der Bundeshauptstadt und zum Erhalt vieler qualifizierter Arbeitsplätze. Die Sal.-Oppenheim-Recherche hat ergeben, dass sich kein Zeitungshaus in der Lage sieht, den Tagesspiegel als unabhängige und selbstständige Zeitung dauerhaft wirtschaftlich zu führen, ohne auf große lokale Synergien – wie von der Verlagsgruppe angestrebt – zurückgreifen zu können. Der Zeitschriftenverlag Bauer, der von Anfang an versucht hat, die Ministererlaubnis für die Verlagsgruppe zu verhindern, kann mit seinem völlig unrealistischen Sanierungskonzept und seinem begrenzten Zeitungs-Know-how in keiner Weise als Garant für die Zukunft des Tagesspiegels angesehen werden.

In den elf Jahren, in denen der Tagesspiegel im Besitz der Verlagsgruppe ist, hat sich die Zeitung in punkto Qualität, Ausstattung und Auflage dank der überdurchschnittlichen Leistung der Tagesspiegel-Mitarbeiter und der Treue ihrer Leser und Kunden sehr positiv entwickelt. Es gilt, diesen erfolgreichen Weg einer langfristigen Entwicklung der „Institution" Tagesspiegel weiter zu beschreiten, unter rechtlichen Voraussetzungen, die auch eine finanzielle Stabilisierung des Unternehmens und einen fairen Wettbewerb mit dem Marktführer ermöglichen. In diesem Sinne hoffen wir, liebe Leserinnen und Leser, Ihnen nach erfolgreichem Bestehen weiterer Anhörungen durch die Monopolkommission (06.08.2003) sowie durch den Bundeswirtschaftsminister (08.09.2003) im Laufe des Monats September eine endgültige positive Nachricht zukommen lassen zu können.

Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck

Verlag Der Tagesspiegel

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