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Politik: Liebe zu den edlen Wilden

Wenn auf Neuguinea zum Essen ins "spaisesima" gebeten wird, dann ist das "Speisezimmer" gemeint - ein Hinweis darauf, dass dieses Wort aus dem Deutschen entlehnt und eine Erbe der Kolonialzeit ist. Viel zu lange sind die ehemaligen Besitzungen des Deutschen Reiches im Pazifik von der Forschung stiefmütterlich behandelt worden.

Wenn auf Neuguinea zum Essen ins "spaisesima" gebeten wird, dann ist das "Speisezimmer" gemeint - ein Hinweis darauf, dass dieses Wort aus dem Deutschen entlehnt und eine Erbe der Kolonialzeit ist. Viel zu lange sind die ehemaligen Besitzungen des Deutschen Reiches im Pazifik von der Forschung stiefmütterlich behandelt worden. Der Bayreuther Professor Hermann Joseph Hiery versucht, das seit Jahren zu ändern. Aus seiner Feder stammt das bisher einzige grundlegende Werk zur deutschen Kolonialgeschichte in der Südsee. Jetzt ist unter seiner Führung ein Handbuch erschienen, das den Herausgeber zu Recht mit Stolz erfüllt: 29 Autoren aus sieben Ländern fassen in 37 Aufsätzen die bisherigen Forschungsergebnisse zusammen. Hiery hat fast alle internationalen Südsee-Fachleute gewinnen können. Das Handbuch "Die deutsche Südsee" ist in seiner Fülle überraschend: mit 880 Seiten eine Fundgrube für Textquellen, Karten, Schiffsfahrpläne und Bilder.

Die Würdigung der Südseekolonien war längst überfällig. Denn sie spielten trotz, vielleicht auch gerade wegen ihrer marginalen wirtschaftlichen Bedeutung für das Reich eine wichtige Rolle. Hier hatten die deutschen Kolonialbeamten weitgehend freie Hand im Umgang mit der eingeborenen Bevölkerung und waren, im Gegensatz zu ihren Kollegen etwa in Afrika, darauf bedacht, Melanesier, Mikronesier und Polynesier in ihrem Lebensumfeld so wenig wie möglich zu beeinflussen. Sie warben auch nicht um Zuzug von Deutschen und Europäern, ja in Einzelfällen behinderten sie dies sogar. Sie gaben Orten und Inseln ihre ursprünglichen Namen zurück. Dass die Inseln im Bismarck-Archipel "Neupommern", "Neubraunschweig" oder "Neulauenburg" hießen, war nur der Tatsache geschuldet, dass die Deutschen keinen einheitlichen indigenen Namen ausmachen konnten.

Das Handeln der deutschen Kolonialbeamten versteht nur, wer das idealisierende Bild des so genannten "edlen Wilden" kennt. In keiner anderen Kolonie waren die Deutschen derartig davon beeinflusst. Im Reichstag wurden die Samoaner gar als die "Germanen der Südsee" bezeichnet. Schade nur, dass sich dazu in dem Handbuch kein eigener Aufsatz findet. Selbst der vor allem in Melanesien auftretende Kannibalismus (Simon Herberger listet im Handbuch alle ihm bekannten Fälle auf) konnte die Deutschen in ihrem Urteil über die edlen Südsee-Insulaner nicht irritieren. Dieser Aspekt der historischen Stereotypenforschung hätte sehr gut in dieses Handbuch gepasst.

Abgesehen davon findet sich fast alles Interessante in diesem Buch wieder: Die Geschichte spielt naturgemäß eine Hauptrolle, aber es gibt auch Aufsätze über das Schul- und Rechtswesen, über Flora und Fauna, über die Mission und das Gesundheitswesen. Mit großer, manchmal zu großer Detailgenauigkeit gingen die Autoren zu Werke. So erfährt der Leser sogar die Größe der Terrassen, die sich die Kolonialbeamten in ihren Behausungen hatten bauen lassen.

Ebenso interessante wie amüsante Geschichten wissen die Autoren über deutsche Südsee-Reisende zu erzählen. Zum Beispiel über den Nudisten August Engelhardt. Einen der prominentesten deutschen Südsee-Reisenden haben die Autoren hingegen vergessen: Emil Nolde besuchte diverse Inseln und ließ sich von der melanesischen Kunst inspirieren. Auch Max Pechstein spielt im Handbuch nur eine Rolle am Rand. Beim Kapitel über Hawaii (das nie deutsche Kolonie war) hätte man sich die Erwähnung der Expeditionen der Preußischen Seehandlung gewünscht. Mustergültig in Aufbereitung und Umfang hingegen der Aufsatz von Johannes H. Voigt über die Deutschen auf Tonga, das schließlich im Wetteifern zwischen Großbitannien, den USA und dem Deutschen Reich um den Samoa-Archipel zum britischen Protektorat wurde.

Das umfassende Bild, das die Autoren von der Inselwelt liefern, wird abgerundet durch Statisken und vor allem den großen Bildteil in der Buchmitte. Fraglich ist allerdings, ob man die Fotoserie augerechnet mit dem Bild vom aufgeschnittenen Bauch eines Leistenkrodils eröffnen musste, aus dessen Bauch ein menschlicher Fuß und ein halbverdauter Arm hervorquillt. Dennoch: "Die deutsche Südsee" ist ein Standardwerk, das in seiner Aufbereitung nicht nur für die Wissenschaft interessant ist.

Hermann Joseph Hiery (Hrsg.): Die deutsche Südsee 1884 - 1914. Schöningh-Verlag, Paderborn 2001. 880 Seiten. 104,20 Euro.

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