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Politik: Lieber Öl als Krieg

Bisher konnte sich die Türkei zu den Gewinnern des 11. September zählen: Die geostrategische Bedeutung des Landes zwischen Ost und West ist gewachsen, und als moslemischer, gleichzeitig aber säkulärer Staat wird die Türkei sogar als Vorbild für andere Länder genannt.

Bisher konnte sich die Türkei zu den Gewinnern des 11. September zählen: Die geostrategische Bedeutung des Landes zwischen Ost und West ist gewachsen, und als moslemischer, gleichzeitig aber säkulärer Staat wird die Türkei sogar als Vorbild für andere Länder genannt. Doch je näher ein bewaffneter Konflikt im Nachbarland Irak rückt, desto deutlicher sieht die Regierung in Ankara die Kehrseite der Medaille: Die Türkei hat in Irak ganz andere Interessen als der westliche Hauptverbündete USA, kann die amerikanische Politik aber nicht entscheidend beeinflussen.

"Absolut unnötig", sagt der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit, wenn er nach einer möglichen amerikanischen Militäraktion gegen Bagdad gefragt wird. Ecevit und andere türkische Politiker zählen fast täglich die Argumente auf, die ihrer Meinung nach gegen einen Feldzug gegen Bagdad sprechen: Es gibt keine Beweise für eine Verbindung zwischen den Al-Qaida-Terroristen und dem Regime von Saddam Hussein; Irak ist dank der UN-Sanktionen keine Bedrohung mehr für die Region; die Türkei leidet immer noch unter den wirtschaftlichen Folgen des letzten Golf-Krieges und befürchtet weitere Rückschläge, wenn bei einem neuen Krieg wieder die Investoren und Touristen wegbleiben sollten.

Als direkter Nachbar von Saddam Hussein sieht Ankara das irakische Regime in einem besonderen Licht: Die Türkei und Irak leben seit Jahren in einer Art orientalischen Polit-Symbiose. Irak exportiert Erdöl über türkisches Gebiet und ist ebenso wie Ankara an einem regen Wirtschaftsaustausch interessiert - obwohl die US-Luftwaffe von der Türkei aus das Flugverbot über dem Norden Iraks kontrolliert und obwohl die türkische Armee immer wieder in den Irak eindringt, um Kurdenrebellen von der PKK zu jagen.

Erst vor wenigen Tagen wurde eine mehr als 200 Mann starke türkische Wirtschaftsdelegation in Bagdad hofiert. Ecevit plädiert dafür, einen zweiten Grenzübergang zwischen der Türkei und Irak zu eröffnen. Ankara wäre es am liebsten, wenn der Status quo in Irak erhalten bliebe: Sollte Saddam gestürzt werden, brächte dies aus türkischer Sicht die Gefahr eines Kurdenstaates im Nordirak mit sich. Deshalb beschwören Politiker hier immer wieder, die territoriale Integrität des Irak müsse erhalten bleiben.

Dies alles wird auch US-Vizepräsident Dick Cheney zu hören bekommen, wenn er kommende Woche in Ankara zu Gast ist. Doch in der türkischen Hauptstadt wächst die Einsicht, dass sich die USA kaum von türkischen Einwänden aufhalten lassen werden. Kritiker fordern Ecevit auf, sich auf den wohl unausweichlichen US-Angriff auf Irak einzustellen, statt die Türken und ausländische Investoren mit Weltuntergangs-Szenarien zu verschrecken.

Insgeheim mag die türkische Regierung auf Zeitgewinn hoffen, weil ein US-Angriff auf Irak nach Einschätzung von Militär-Experten noch mindestens ein halbes Jahr auf sich warten lassen wird. Doch an der Entschlossenheit der Amerikaner gibt es kaum einen Zweifel. So sickerte kurz vor dem Besuch Cheneys in Ankara durch, der US-Vizepräsident wünsche die Anwesenheit des türkischen Generalstabschefs Hüseyin Kivrikoglu bei seinen Unterredungen. Kivrikoglu hat sich gerade erst mit einem anderen Gesprächspartner ausgetauscht, der sich in Sachen Irak gut auskennt: dem Generalstabschef von Kuwait.

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