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Politik: Lieber sympathisch als solide

Parlamentarier finden Mediencharisma wichtiger als Glaubwürdigkeit – sagt eine neue Studie

Berlin - Der Bundestagsabgeordnete der FDP, kein Hinterbänkler, rief wie versprochen zurück. Er stand auf dem Bahnhof, hatte es eilig, der Zug würde gleich abfahren. Es war September, ein paar Tage vor dem Parteitag der Liberalen. Der FDP-Mann hörte sich die Frage des Journalisten an, dann sagte er: „Oh, Sie wollen ja was Inhaltliches, ich dachte, es geht nur um einen schnellen O-Ton zum Parteitag. Das kriegen wir nicht mehr hin, aber interessant.“

Vielleicht erscheint die Anekdote zunächst wenig aussagekräftig, interessanter wird sie in Zusammenhang mit einer neuen Studie mit dem Titel: „Nur Bild, Bams und Glotze? Medialisierung der Politik aus Sicht der Akteure.“ Daniel Pontzen, auch Autor des Tagesspiegels, hat über 400 Bundestags- und Landtagsabgeordnete befragt, was für sie wichtig ist – die Ergebnisse sind ernüchternd. Erstaunlich offen geben die gewählten Volksvertreter beispielsweise zu, dass die dargestellte Sachkompetenz wichtiger sei als die tatsächliche. Am Stammtisch mag man es schon immer gewusst und der Politik vorgeworfen haben, nun bestätigt sie es selbst: Die Gabe, pointierte O-Töne zu liefern, wird als wichtiger erachtet als politische Standfestigkeit. Mediencharisma sei zu einem derart zentralen Merkmal geworden, dass Glaubwürdigkeit im Vergleich als hehre, aber wenig hilfreiche Sekundärtugend erscheint.

Was den Beteiligten des politischen Betriebes vermutlich aus lauter Vertrautheit wenig überraschend vorkommt, muss die breite Öffentlichkeit irritieren. Vor allem Bundestagsabgeordnete finden, dass mangelnde Sachkompetenz nicht hinderlich für die Karriere sei, wenn man stattdessen über großes mediales Talent verfüge. Pontzen fragt an dieser Stelle: „Was heißt das für die Glaubwürdigkeit des künftigen politischen Führungspersonals?“

Der Mainzer Politikwissenschaftler und Parteienforscher Jürgen W. Falter hat schon 2002 gefragt, mit welchem politischen Personal wir rechnen müssen. Seine Antwort lautete: „Immer stärker mit den mediengerechten, stets das scheinbar richtige Wort findenden Staatsschauspielern und ihrer Begabung zur völlig überzeugenden Unverbindlichkeit sowie der Tendenz zur Halbwahrheit.“

Heute fühlt sich Falter auch angesichts der Studie unter Leitung des Politikprofessors Uwe Wagschal an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität bestätigt: „Die Haltung der Politiker ist erschreckend resignativ. Aber die meisten Abgeordneten sind Hinterbänkler, und die reden meist über Vorderbänkler, die die medialen Eigenschaften mitbringen. Es wäre traurig, hätten wir nur diesen Politikertypus, wir brauchen die soliden Arbeiter.“

Die Abgeordneten, vor allem des Bundestags, beklagen ihren geringen Einfluss, drei von vier Parlamentariern glauben, dass die Massenmedien an diesem Bedeutungsverlust schuld seien. Laut Studie, die in dieser Woche auch im Lit-Verlag als Buch erscheint, fühlen sich die Abgeordneten mehrheitlich von den Medien unterjocht, trotzdem passen sie sich diesem System an: im Plenum wie in Talkshows. Im Plenum, wird zugegeben, überspitze man bewusst Aussagen, um aufzufallen. In Talkshows wiederum, sagen die Befragten, gehe es nicht um konstruktiven Austausch von Argumenten, nicht um Problemlösungen. Es sei primär wichtig, sympathisch rüberzukommen.

Wird in Zukunft Politik nur noch inszeniert? In der Szene der Politikbeobachter gelten die neuen Frontfiguren Angela Merkel und Matthias Platzeck als Hoffnungsträger für eine neue Sachlichkeit. Aber auch die kann inszeniert werden: Statt mit Sekt haben die Koalitionäre von Union und SPD mit Wasser angestoßen. Falter ist sich nicht sicher, ob diesem Symbol der Nüchternheit ehrlicher Inhalt folgt. Merkels Stil weise auf Sacharbeit und Alltagshandeln hin, aber, sagt Falter, die „besten Schauspieler sind eben die, denen man das Schauspielern nicht ansieht“.

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