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Politik: Lindenstraße für Intellektuelle

Von Harald Martenstein

Den Vorwurf, dass jemand eine Hexe sei oder mit Hexen Handel treibe oder der Hexerei Vorschub leiste, muss man nicht so furchtbar hochhängen. Was ist schon dabei? Hexen werden gottlob nicht mehr verbrannt. Raucher werden heutzutage viel erbarmungsloser verfolgt als Hexen. Der Feminismus hat die Hexe sogar zu einer Art weiblichem Rollenvorbild gemacht. Die zurzeit in einigen Medien erörterte Frage, ob Ulla Berkéwicz, die Verlegerswitwe und Verlegerin des Suhrkamp-Verlages, mit einer ukrainischen Hexe spirituelle Schwesternschaft pflegt, ist folglich eine Frage von untergeordneter kulturhistorischer Bedeutung. Sie selber sagte der „Zeit“ in einem ihrer seltenen Interviews: „Ich kenne keine Frau, die Hexe ist oder als solche für mich gearbeitet hat.“ Dieser Satz ist sprachlich so fein gearbeitet, dass er sich um einen Platz in der Reihe der unvergesslichen Dementis bewirbt, gleich neben Bill Clintons „Ich hatte niemals Sex mit Fräulein Lewinsky“.

Vielleicht sollten wir uns darauf verständigen, dass auch wichtige Menschen ein Recht auf sonderbare Angewohnheiten, bizarre Ansichten oder einen Lebensstil jenseits der gesellschaftlichen Mittelspur besitzen, zumal dann, wenn sie ihren Job ordentlich erledigen. Letzteres ist im Falle von Berkéwicz natürlich die Frage. Suhrkamp, früher der wichtigste deutsche Verlag, schreibt neuerdings rote Zahlen, die Liste der Abgänge leitender Mitarbeiter ist lang und verlängert sich ständig weiter. Ob Hexe oder Heilige, fest steht, dass Ulla Berkéwicz keine Chefin ist, in deren Nähe Untergebene gern länger verweilen als nötig. Aber ist das wichtig?

Seit dem Tod des Verlegers, Kulturdenkmals und großen Machos Siegfried Unseld, der seinen hochbegabten Sohn verstieß und seine interessante Witwe zur Herrin über eine juristisch komplizierte Nachfolgekonstruktion machte, ist Suhrkamp von der Heimstätte des kritischen deutschen Denkens zum Schauplatz einer „Lindenstraße“ für Intellektuelle geworden. Neueste Folge: Zwei Hamburger Geldmänner, durchaus gebildet, Motive unklar, versuchen, gegen Ullas Widerstand und im Bündnis mit dem verstoßenen Sohn, 49 Prozent der komplizierten Verlagskonstruktion von dem bisherigen Minderheitseigentümer zu erwerben, einem Schweizer Kaufmann, welcher – siehe oben! – der anstrengenden Zusammenarbeit mit Ulla Berkéwicz ein wenig müde geworden ist. Endziel scheint die Rückeroberung von Suhrkamp zu sein, sozusagen von den Hexen an die Machos. Dies alles wird ganz sicher eines Tages verfilmt werden, vielleicht von Helmut Dietl.

Es gibt viele Verlage in Deutschland. Und so sehr man den Beschäftigten bei Suhrkamp ein Ende der Ära der Bürgerkriege und ein Überleben ihres Unternehmens wünschen muss, unter welcher Führung auch immer, so klar ist andererseits, dass das kritische Denken in Deutschland, soweit noch vorhanden, nicht auf den Suhrkamp-Verlag angewiesen ist. Ehemalige Großmogule der Suhrkamp- Kultur, zum Beispiel Martin Walser, publizieren jetzt anderswo, auf die Qualität ihrer Literatur hat das vermutlich keinen Einfluss. Ein anderer Suhrkamp-Autor, Bertolt Brecht, hat das, was über Aufstieg und Niedergang geistiger Reiche zu sagen ist, in einem einzigen Satz zusammengefasst: „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.“

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