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Genossen Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht

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Exklusiv

Linke-Europawahlprogramm: Funktionäre um Gysi für klar pro-europäisches Wahlprogramm

Im Entwurf des Linken-Europawahlprogramms wird die EU als "neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht" bezeichnet. Eine Gruppe von Spitzenpolitikern um Gregor Gysi hält mit einem klar pro-europäischen Textvorschlag dagegen.

Von Matthias Meisner

Das Europawahlprogramm der Linken soll mit einem Zitat von Lothar Bisky beginnen - und so einen klar pro-europäischen Kurs der Partei deutlich machen. Das fordert eine Gruppe von Parteifunktionären um Gregor Gysi, die einen entsprechenden Antrag für den Hamburger Bundesparteitag der Linken Mitte Februar einbringen will. Der langjährige Parteichef Bisky, im August 2013 gestorben, hatte einen Monat vor seinem überraschenden Tod erklärt: "Friedliche Lösung von Konflikten, individuelle Freiheitsrechte, solidarisches und demokratisches Zusammenleben: Das sind die Erwartungen, die Menschen in den EU-Mitgliedsstaaten an die EU-Mitgliedschaft haben. An deren Erfüllung müssen wir gemeinsam arbeiten."

Die hochrangige Gruppe von Spitzenpolitikern aus Ost und West unternimmt mit der Initiative einen Versuch, den Streit um das Europawahlprogramm der Linken zu schlichten. In dem Antrag, der dem Tagesspiegel vorliegt, wird eine völlige Neuformulierung der umstrittenen Präambel im Wahlprogramm verlangt. Diese ist innerparteilich hoch umstritten, weil in ihr die EU als "neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht" bezeichnet wird. Die Neufassung stammt aus der Feder von Gabi Zimmer, Ex-Vorsitzende der PDS und Linke-Fraktionschefin im Europaparlament, sowie von Parteivorstandsmitglied Dominic Heilig.

Zu den Unterstützern gehören Zimmers Fraktionskollege Thomas Händel, einer der Gründungsvorsitzenden der WASG, der Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer sowie der Fraktionschef im thüringischen Landtag, Bodo Ramelow. Aus dem Kreis der Initiatoren heißt es, der Antrag sei mit Bundestagsfraktionschef Gysi abgestimmt. Ziel der Initiative sei es, "öffentlich geäußerte Hoffnungen auf Streit in der Linken im Keime zu ersticken".

EU soll "wirkliche Solidargemeinschaft" werden

Im neuen Text der Programm-Präambel wird verlangt, die EU zu einer "wirklichen Solidargemeinschaft" zu entwickeln. Die EU sei für viele von einer Hoffnung zu einer Bedrohung geworden. Dies sei aber "noch lange kein Grund, sich in die Enge der Nationalstaaten mit ihren traditionell patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen" zurückzuwünschen. "Die Alternative ist nicht der Rückzug aus der Union, sondern der Kampf um ihre Veränderung." Eine Rückkehr zu einem Europa der Nationalstaaten wäre eine "große Gefahr", heißt es weiter: "Die letzten Fesseln eines verrohten Kapitalismus würden abgestreift. Nationalismus und Rassismus würden die Tagesordnung beherrschen."

Alexis Tsipras als Vorbild

Positiv bezieht sich die Linke dem Text zufolge auf ihren europäischen Spitzenkandidaten Alexis Tsipras von der radikalen griechischen Syriza-Partei. Mit ihm "knüpfen wir an die eindrucksvoll geführten Kämpfe in Griechenland gegen sozialen Kahlschlag und Erwerbslosigkeit, gegen Faschismus und militärische Interventionen - für solidarische Alternativen an".

Um das Europawahlprogramm tobt in der Partei seit Wochen heftiger Streit. Die umstrittene Passage war in einer Vorstandssitzung Ende vergangenen Jahres auf maßgebliches Betreiben von Sahra Wagenknecht, der stellvertretenden Vorsitzenden von Partei und Fraktion, in den Entwurf hineingestimmt worden, den die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger vorgelegt hatten. Gysi hatte sich mehrfach optimistisch gezeigt, dass die Passage verändert wird. Vor zwei Wochen hatten die beiden stellvertretenden Parteichefs Caren Lay und Axel Troost verlangt, den Passus zu streichen.

Wagenknecht: Nationale Regierungen zerstören europäische Idee

Wagenknecht hatte Kompromissbereitschaft bereits angedeutet. In einem Gespräch mit dem Tagesspiegel sagte sie vor zwei Wochen: "Man muss die EU nicht mit dem Begriff militaristisch verbinden." Sie fügte allerdings hinzu: "Richtig ist auf jeden Fall, dass die EU immer stärker militarisiert wird. Im Lissabon-Vertrag gibt es ein Aufrüstungsgebot." In einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel warf sie am Wochenende den nationalen Regierungen vor, die europäische Idee zu zerstören, indem sie oft über die Brüsseler Bande spielten, "wenn sie zu feige sind, Angriffe auf Demokratie und Sozialstaat zu verantworten". Zugleich hielt sie fest, dass mehr europäische Zusammenarbeit etwa in der Steuerpolitik vonnöten sei: "Ich würde es begrüßen, wenn die EU einheitliche Mindeststeuern für Konzerne und Vermögen bei breiten Bemessungsgrundlagen hätte, um den Steuertourismus zu unterbinden."

Die Linke will auf dem Parteitag in Hamburg auch ihre Bundesliste für die Europawahlen aufstellen. Für Platz eins als gesetzt gilt Gabi Zimmer. Schon für Listenplatz zwei wird die erste Kampfabstimmung erwartet - zwischen dem Friedensaktivisten Tobias Pflüger vom linken Parteiflügel und dem bisherigen Europaabgeordneten Thomas Händel.

Händel sagte dem Tagesspiegel zur Debatte um das Wahlprogramm, es sei falsch, die EU als militaristisch und weithin undemokratisch zu bezeichnen. "Militaristisch ist eine Gesellschaft dann, wenn sie vorwiegend mit militärischen Mitteln ihre Interessen durchsetzen will und auch die Gesellschaft durch und durch nach Befehl und Gehorsam strukturiert ist". Dies passe ebenso wenig wie der Begriff undemokratisch auf die EU. Sie habe zwar Demokratiedefizite etwa beim Haushaltsrecht, aber eben auch ein direkt gewähltes Parlament. Mit dem Wahlprogramm entsprechend dem bisher vorliegenden Entwurf könnten Wahlkämpfer nicht vernünftig argumentieren.

Gabriel nennt Linke und AfD "Feinde Europas"

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte Linkspartei und der Alternative für Deutschland (AfD) vorgeworfen, sie seien Feinde Europas. Auf dem Sonderparteitag der Sozialdemokraten in Berlin sagte Gabriel am Sonntag: "Ob es nun neunmalkluge Professoren, ehemalige Verbandslobbyisten oder Linksradikale sind: Wir verteidigen Europa gegen sie." Namentlich griff er Wagenknecht an. Und ergänzte mit Blick auf Linke und AfD: "Da verbünden sich die rechten und die linken Feinde Europas. Beiden treten wir entgegen."

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