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Bodo Ramelow hat viele Wähler in Thüringen überzeugt. Doch ob er nun Ministerpräsident werden kann, hängt ausgerechnet von der enttäuschten SPD ab.

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Update

Linke in Thüringen: Bodo Ramelow ist nach seinem größten Triumph von SPD abhängig

Ob Bodo Ramelow von der Linken Ministerpräsident in Thüringen wird, hängt auch von der schwachen SPD ab. Der will er jetzt Gespräche über eine Regierungsbildung anbieten.

Von Matthias Meisner

Es ist Punkt 18 Uhr, und von einem Moment auf dem anderen versteinern sich die Gesichtszüge von Katja Kipping. Die auf der Wahlparty im Palmenhaus am Erfurter Anger eben noch äußerst entspannt wirkende Linken-Parteivorsitzende wirkt auf einmal ziemlich missvergnügt. Sie hat damit gerechnet, dass sich aus dem Abschneiden ihrer Partei ein „klarer Regierungsauftrag“ ergibt. Aber das ist alles andere als sicher. Außer dass sich die Linke im Freistaat im Vergleich zu 2009 behauptet hat, ein, so Kipping „tolles Ergebnis“. Doch würde es für einen Regierungswechsel überhaupt reichen, auch wenn die Grünen knapp in den Landtag geschafft haben?

Kipping sagt über das Patt zwischen CDU/SPD auf der einen und Rot-Rot-Grün auf der anderen Seite: „Der Tatort bekommt heute echte harte Konkurrenz.“ Andere spekulieren bereits über ganz neue Mehrheiten. Wird es vielleicht nicht einmal für die Fortführung von Schwarz-Rot reichen, bekommt Thüringen gar ein schwarz-rot-grünes Bündnis? Den Landesfarben nach wäre das die Afghanistan-Koalition – vor Jahren hatte die Grüne Antje Hermenau einmal über eine solche Koalition als Option für Sachsen nachgedacht.

Der Politprofi und linke Spitzenkandidat Bodo Ramelow weiß um das Dilemma, als er auf die Bühne im Palmenhaus tritt. "Die Linke in Thüringen hat die Wahl gewonnen", ruft er trotzig in den Saal. Aber wird er auch Ministerpräsident, der erste linke in Deutschland? Er wünsche, dass sich „die CDU in der Opposition erholt“, sagt er. Seinen Hund Attila lässt er auf der Wahlparty zurück, als er zum Interviewmarathon in den Landtag fährt. Nur noch ein letzter Satz: „Ich glaube, dass es am Ende des Tages reichen wird für eine Reformregierung.“

Bodo Ramelow: "Auftrag für bunte Politik"

Erst spät am Abend wird Ramelow deutlich machen, dass er sich auf keinen Fall geschlagen geben will. Das Endergebnis auf dem Fernsehmonitor im Blick deutet er auf die Zahlen und reckt den Daumen nach oben. Dann geht er auf die Bühne. Und gibt zu: "Das Ergebnis ist nicht so klar." Aber eine Hängepartie für das Land dürfe es nicht geben. 46 zu 44 Stimmen für Rot-Rot-Grün im Erfurter Landtag, dass soll aus Sicht von Ramelow reichen. Die Linke werde SPD und Grünen Gespräche über ein Bündnis anbieten. Er sehe, betont der Linken-Spitzenmann, "einen Auftrag für bunte Politik und Weltoffenheit".

Dass es knapp werden könnte für einen Regierungswechsel, hatte sich bereits in den letzten Tagen vor dem Wahltag angedeutet. Ramelow gibt das auch zu bei einem Telefonat, zwischen seinem Gang zum Wahllokal und den Gremiensitzungen der Partei am Sonntagnachmittag. Wie fühlen Sie sich, Herr Ramelow? „Sehr gut, völlig entspannt“, sagt der langjährige Oppositionsführer im Thüringer Landtag. „Unglaublich gut“ sei die Zusammenarbeit der linken Wahlkampfmannschaft gewesen, ganz anders als 2009. Doch seine Chancen, wirklich Regierungschef zu werden, gibt er nur mit „fifty-fifty“ an. Er habe „ein gutes Gefühl, was unser eigenes Abschneiden angeht“, sei aber „durchaus unsicher, was die Gesamtkomposition angeht“. Und dann fällt ein Satz, der die Verunsicherung des Mannes ganz gut fasst, der sehr zufrieden mit sich ist, aber eben noch nicht am Ziel: „Ich habe immer gesagt: Es kann auch Situationen geben, wo man sich zu Tode gesiegt hat.“

Die Linke hat zuletzt eine Art Leihstimmenkampagne zu Gunsten der Grünen gestartet, der SPD konnte sie nicht mehr helfen. Sächsische Verhältnisse für die Sozialdemokraten, das schlechteste Thüringen-Ergebnis der Partei seit 1990. „Ein Desaster“, sagen Spitzengenossen. Die stellvertretende Landesvorsitzende Iris Gleicke, Ost-Beauftragte der Bundesregierung, spricht von einer „ganz bitteren Niederlage“. Nun müsse sich die SPD erst einmal sammeln. Und kann eigentlich: nur abwarten. „Wir sind nicht in der Situation, irgendjemand einzuladen."

Auch Heike Taubert, die Spitzenkandidatin der SPD und bisher Sozialministerin im Kabinett der CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, redet um die Niederlage nicht herum. Am Abend hat sie zum Pressegespräch in den Landtag eingeladen – Selters-Flaschen „Thüringer Waldquell“ stehen bereit, auf allen Kronkorken steht „wenig“.

Taubert verteidigt die Entscheidung der Landes-SPD, sich vor der Wahl nicht auf eine Koalitionsaussage festgelegt zu haben – obwohl manche ihrer Parteifreunde in die eine oder andere Richtung drängten. Ehemalige Bürgerrechtler und Mitgründer der SDP in der DDR attackierten die mögliche Wahl eines linken Ministerpräsidenten als Verrat an den Idealen der Sozialdemokratie. Auf der anderen Seite warben etwa die einflussreichen SPD-Oberbürgermeister von Erfurt und Jena für ein rot-rot-grünes Bündnis.

Bei der SPD muss sich das Wahldesaster setzen. Das kann dauern.

Taubert, die 2009 noch die schwarz-rote Koalition präferiert hatte, ließ in dieser Auseinandersetzung vor der Wahl nicht erkennen, wohin aus ihrer Sicht die Reise der Thüringen-SPD gehen soll. Sie tut das am Sonntagabend erst recht nicht. Der eigentliche Wunsch der SPD, mit klarer Mehrheit und nicht nur einer Stimme zu regieren – so oder so kann die Partei das nun wohl vergessen.

Woran es gelegen hat, dass die SPD so schlecht abgeschnitten hat? „Heute können wir noch keine Ursache feststellen“, sagt Taubert. Um dann doch den Hinweis nachzuschieben, dass es in den letzten Wochen vor der Wahl nur noch um die Frage gegangen sei, „ob es möglich ist, einen linken Ministerpräsidenten zu installieren“. Es klingt so, als ob die Linke ein bisschen mehr noch als die CDU Schuld daran trägt, dass die SPD in der Wahlkampfauseinandersetzung zwischen Lieberknecht und Ramelow zerrieben wurde.

Ob sie sich mehr auf die bereits angebotenen Sondierungsgespräche mit der CDU oder wohl bevorstehende Unterredungen mit Linkspartei und Grünen freue? „Da geht's nicht um Freude, da geht’s um Inhalte“, sagt Taubert. Und was denn dran sei an der Interpretation von Ramelow, die Sozialdemokraten hätten deshalb Federn lassen müssen, weil die CDU im Lande ihre Politik „nur auf dem Rücken der SPD“ gemacht und die keine Chance gehabt habe, „ihre eigenen Erfolge zu verkaufen“? So drastisch sieht Taubert das ausdrücklich nicht. In einer Koalition gebe es „immer Höhen und Tiefen“. Aber: „Ich werde im Nachgang nicht schlecht über die Koalition reden.“ Auch der SPD-Landesvorstand, der am Montagabend tagt, werde „noch nicht die großen Entscheidungen“ treffen. Das Wahldesaster muss sich setzen, das kann dauern.

Schon ziemlich am Ende eines langen Wahlabends steht Heike Taubert, die doch eigentlich selbst mal Regierungschefin werden wollte, in einem Landtagsflur nahe des SPD-Fraktionssaals, wie bestellt und nicht abgeholt. „Das war schon ein Schock, das ist bitter“, sagt sie. „Das hat die SPD nicht verdient.“ Befragt nach Ramelow, der nun womöglich nicht der erste linke Ministerpräsident in Deutschland wird, sagt sie: „Der sei auch 'angefressen'.“ Es klingt, als wollte sie sich so ein wenig trösten.

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