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Jan van Aken (links) und Frithjof Schmidt

© Doris Spiekermann-Klaas

Linke und und Grüne im Streitgespräch: Wer ist der bessere Pazifist?

Einst galten die Grünen als Heimat des Pazifismus. Jetzt positioniert sich die Linke als die Antikriegspartei. Wie kann, wie muss eine moderne Friedenspolitik im 21. Jahrhundert aussehen? Jan van Aken (Linke) und Frithjof Schmidt (Grüne) diskutieren.

Von Matthias Meisner

Sind Sie friedfertig gestimmt?

Schmidt:

Untereinander, ja.

Van Aken: Auf jeden Fall.

Fast 100 000 Tote seit Beginn der Kämpfe in Syrien, Millionen von Flüchtlingen. Darf die internationale Gemeinschaft tatenlos zusehen?
Schmidt: Nein, sie darf nicht tatenlos zusehen. Aber die Frage ist, was sie tun kann. Sie muss sich bei der humanitären Hilfe stärker engagieren. Nicht nur in den Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon und in der Türkei, sondern auch in Syrien selbst. Letzteres geschieht bisher nur in einer rechtlichen Grauzone. Es wäre notwendig, dass der UN-Sicherheitsrat das ermöglicht und autorisiert. Die Debatte über ein militärisches Eingreifen wird geführt – doch die Mehrheit der Experten hält das für ein hochriskantes Unternehmen, das die Lage eher verschlimmern würde. Für mich steht das nicht zur Debatte.

Van Aken: Die Hilfe für die Menschen ist am wichtigsten. Das heißt dann auch, Flüchtlinge hierher zu bringen. Bisher wurden nur ein paar tausend handverlesene Flüchtlinge nach Deutschland gelassen. Was spricht dagegen, einfach mal die Türen aufzumachen und alle Flüchtlinge hierher zu holen? Zweitens: Ich hätte Waffenlieferungen in die Region längst unterbunden – Druck auf Saudi-Arabien, auf Katar gemacht, aber das passiert alles nicht.

Wie denken Sie über die Rebellen?
Van Aken: Man hat doch gar keinen Durchblick, wer dort mit wem was erreichen will. Jeder, der in Syrien bewaffnet kämpft, geht den falschen Weg. Die einzigen, auf die ich mich positiv beziehe, sind die Menschen, die für demokratische Freiheitsrechte friedlich demonstrieren.

Herr Schmidt, nervt Sie, wenn die Linke so tut, als sei sie die einzige Antikriegspartei?
Schmidt: Es nervt mich nicht. Aber wir haben einen ganz zentralen Konflikt. Das Problem der Linken ist, dass sie die multilaterale Einbindung der deutschen Außenpolitik an zentralen Punkten infrage stellt. Sie will keine personelle Beteiligung – keine Polizisten, keine Ausbilder, keine UN-Beobachter, keine Blauhelmtruppen. Diese Verweigerungshaltung ist naiv. Man muss nicht in jedem Konflikt intervenieren, aber mit ihrer prinzipiellen Ablehnung sind die Kollegen völlig auf dem falschen Dampfer.

Van Aken: Da widerspreche ich vehement. Wenn Du sagst, wir würden uns der Einbindung in eine internationale Sicherheitspolitik verweigern, wählst Du nur einen rhetorischen Trick. Wir wollen uns international einbinden, wir beziehen uns auch positiv auf die Vereinten Nationen. Aber Sicherheitspolitik ist für uns etwas anderes als für Euch. Für uns gehört eben nicht Militär dazu und auch nicht zuvorderst Polizei. Polizeiausbildung in Kriegsgebieten – Du weißt ja, wie das in Afghanistan aussieht – heißt, man bildet Polizisten schlecht aus für einen Krieg, in dem sie nur Kanonenfutter sind.

Schmidt: Wir stimmen vollkommen überein in der Bedeutung von Konfliktprävention. Aber wir können doch nicht bei allen großen Konflikten den Kopf in den Sand stecken und die internationalen Anfragen von den Vereinten Nationen und den europäischen Partnern einfach alle ignorieren. Wir sind doch ein großes Land und daraus erwächst doch auch Verantwortung.

Die Linke will eine Stärkung der Vereinten Nationen, verweigert sich aber auch UN-mandatierten Einsätzen. Das ist doch ein Widerspruch!
Van Aken: Überhaupt nicht. Sind die UN nur stark, wenn sie militärisch auftreten? Ich habe ein Problem damit, dass die meisten Einsätze von den Interessen einzelner Staaten bestimmt sind.

Schmidt: So etwas gibt’s, aber stehen wir deshalb abseits bei schwersten Menschenrechtsverletzungen und Völkermord?

Van Aken: Ja, aber es ist doch falsch, wenn einzelne Staaten im UN-Sicherheitsrat Kriegseinsätze beschließen, weil sie damit eigene, nationale Interessen verfolgen. Andererseits gilt aber auch: Die UN sind oft hervorragend in der Konfliktprävention, zum Beispiel im Sudan. Das finde ich richtig und toll. Aber sie könnten und sollten auf die militärische Komponente verzichten.

Schmidt: Selbstverständlich ist nicht jeder Einsatz richtig, es gab auch Fehlentscheidungen. Aber ich will jetzt mal beim Sudan bleiben. Da helfen nun auch ein paar Bundeswehrsoldaten. Doch die Linkspartei pocht stur auf ihre Grundsatzbeschlüsse – kein Bundeswehreinsatz im Ausland. Das ist doch nicht vernünftig.

Van Aken: So einen Grundsatzbeschluss gibt es nicht.

Welche Chancen hat Pazifismus heute bei den Grünen?

Schmidt: Das steht doch in Eurem Bundestagswahlprogramm!

Van Aken: Nein, das steht da nicht. Wir sagen: Die jetzigen Bundeswehreinsätze finden wir alle falsch. Wir sagen aber nicht, grundsätzlich keine Soldaten ins Ausland. Richtig ist: Wir werden uns nicht an Regierungen beteiligen, die Kampfeinsätze im Ausland durchführen.

Der Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich sagt, es gab Einzelfälle, bei denen zur Katastrophenhilfe, zur Durchsetzung des Völkerrechts, zur Beobachtung und Verhinderung von Völkermord UN-Einsätze sinnvoll und gerechtfertigt waren. Er nennt als Stichworte Ruanda oder Srebrenica, wo die UN besser hätten eingreifen sollen. Wie viel Binnenpluralismus bei den Linken ist möglich?
Van Aken: Stefan Liebich vertritt hier eine Minderheitenposition. Die Beschlusslage der Partei ist eine andere.

Welche Chancen hat Pazifismus heute bei den Grünen?
Schmidt: Es gibt einen ethisch begründeten Radikalpazifismus, grundsätzlich gegen alle Waffen. Der hat mal die Frühphase unserer Partei dominiert. Und es gibt inzwischen eine lange Tradition des politischen Pazifismus, der in der Tradition Dag Hammerskjölds für ein UN-Gewaltmonopol eintritt und der zum Beispiel auch Blauhelmsoldaten gutheißt. Letzterer hat eine breite Heimat bei den Grünen.

Van Aken: Warum setzen sich die Pazifisten bei Euch in der Bundestagsfraktion oder wenn Ihr mitregiert nicht durch? Ihr seid zuweilen bellizistischer als die FDP. Immer noch mehr Waffen, immer noch mehr Soldaten, immer noch mehr Auslandseinsätze. Das ist ganz klar das Primat des Militärischen. Wenn Dein Fraktionsvorsitzender Trittin nach Mali fährt, dann spricht er mit den deutschen Soldaten, aber er spricht nicht mit der Zivilgesellschaft. Wie lange dauert das eigentlich noch, bis Ihr Euch von dem Fischer-Trauma löst, Eurer nicht aufgearbeiteten Regierungszeit?

Schmidt: Diese Wahrnehmung finde ich grotesk verzerrt. Selbstverständlich beschäftigen wir uns in allen Konfliktgebieten mit der Frage, wie man die Zivilgesellschaft stärken kann. Wir wissen, dass das die entscheidende Frage für nachhaltigen Frieden ist. Auch wir diskutieren über die künftige Rolle der Bundeswehr. Der Feind des Kalten Krieges ist weg. Die Idee ist jetzt, die Bundeswehr multilateral für Friedenssicherung im Rahmen der Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen. Das geißelt ihr dann als Aufbau einer Interventionsarmee, als militaristische Wende. Ihr verweigert Euch der neuen Situation nach dem Ende der Blockkonfrontation. Auch der europäischen Einbettung verweigert Ihr Euch. Das ist alles konzeptlos.

Van Aken: Das Ende der Blockkonfrontation heißt doch nicht, dass man plötzlich seine Armee internationalisieren muss. Wenn überhaupt noch eine Bundeswehr, dann ausdrücklich nur zur Landesverteidigung und nicht für internationale Interventionen.

Ein anderes Thema: Rüstungsexporte. Die Grünen sind auch dagegen. Ist das glaubwürdig?
Van Aken: Ich habe mit Freude festgestellt, dass im Wahlprogramm der Grünen drei von unseren vier zentralen Forderungen übernommen worden sind - keine Lieferungen an Menschenrechtsverletzer, kein Export von Waffenfabriken und keine staatlichen Hermes-Bürgschaften. Leider fehlt der wichtigste Punkt, das Verbot von Kleinwaffen. Für mich ist das unverständlich, denn da geht's ja nicht um Handtaschen-Damenrevolver, sondern um Maschinenpistolen und Sturmgewehre. Das sind die Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts, davon sterben 90 Prozent der Menschen in den Kriegen. Warum wollt Ihr von denen noch weitere exportieren?

Schmidt: Wir sind tatsächlich nahe beieinander. Waffenexporte in Drittstaaten außerhalb von Nato und EU sind ja bisher schon grundsätzlich verboten, doch sind Ausnahmen möglich. Das legten schon die Exportrichtlinien von Rot-Grün fest. Das Problem ist: Die Bundesregierung genehmigt die Ausnahmen viel zu großzügig, dreht damit das Grundprinzip um. Die politische Aufgabe ist, das zu stoppen. Im Unterschied zu Euch sind wir nicht der Meinung, dass man jede Ausnahme kategorisch verbieten sollte. Auch eine Lieferung von Kleinwaffen kann im Einzelfall sinnvoll sein, etwa wenn es um den Polizeiaufbau in fragilen Staaten geht.

Van Aken: Du lügst Dir in die Tasche. Ich glaube, dass die Grünen und die SPD in ihrer Regierungszeit wirklich die Rüstungsexporte einschränken wollten. Aber Ihr wisst heute, dass das komplett gescheitert ist. Es war Eure Regierung, die selbst an einen Mubarak in Ägypten 600 Sturmgewehre geliefert hat. Jedes mal gab es angeblich besondere außenpolitische Interessen. Du weißt, dass das Prinzip der Einzelfallentscheidung komplett gescheitert ist.

Schmidt: Wir konnten nicht eine so konsequente Lösung durchsetzen, dass sie die Schlupflöcher dicht gemacht hat. Selbstkritisch sage ich, dass wir das als Lehre auch aus den Fehlentwicklungen während unserer Regierungszeit jetzt wirklich gesetzlich regeln müssen. Manches konnten wir auch gegen die Sozialdemokraten nicht so durchsetzen, wie wir gern gewollt hätten.

Zum Abschluss drei Fragen an Sie beide: Warum bringt das Thema Krieg und Frieden in Deutschland heute kaum noch Menschen auf die Straße?
Van Aken: Tja, wenn ich das wüsste … Jetzt könnte ich sagen, die Grünen haben’s versaut (lacht). Ich weiß es nicht. In den 80er Jahren, als die Friedensbewegung sehr groß war, spielte bei vielen wohl auch Angst eine große Rolle. Die Friedensbewegung ist heute wirklich sehr klein geworden.

Wird die Außenpolitik Thema im Wahlkampf?

Schmidt: Der Pazifismus hat sich in den 80er Jahren gespeist aus der Bedrohung durch die Atombombe. Viele hatten Angst vor einer Selbstauslöschung der Menschheit durch einen technischen Fehler. Das ist durch die Überwindung der Blockkonfrontation vorbei. Aber man muss nur mal zu einem Kirchentag gehen: Da gibt es weiterhin viele Engagierte.

Wird die Außenpolitik Thema im Wahlkampf?

Schmidt: Wichtig wird sie dann, wenn konkrete Entscheidungen in den Fokus rücken. Eine Explosion im Nahen Osten, eine Eskalation im Iran oder wenn in Syrien die Lage weiter eskaliert… Wenn das ein bestimmtes Ausmaß annimmt, wird das eine zentrale Frage des Wahlkampfes werden.

Van Aken: Es heißt ja immer, mit Außenpolitik gewinnt man keine Wahlen. Das sagen ja auch die Meinungsforscher. Meine persönliche Erfahrung ist zunehmend eine andere. Dennoch werden innenpolitische und soziale Fragen wohl doch im Vordergrund stehen.

Die Außenpolitik gilt als Sollbruchstelle, wenn es darum geht, ob irgendwann Rot-Rot-Grün im Bund möglich sein könnte. Sehen Sie das auch so?
Schmidt: Ich glaube ja. Es geht ja bei der internationalen Einbindung Deutschlands um eine zentrale Frage, wo wir einen minimalen Konsens bräuchten. So lange man den nicht herstellt, ist das eine erhebliche Hürde für eine Regierungszusammenarbeit - mindestens so hoch wie die Hürde zwischen Schwarz und Grün in der Innen- oder der Steuerpolitik.

Van Aken: Ich sage Jein. 2013 geht gar nichts. Wir werden uns nicht an einer Regierung beteiligen, die Kampfeinsätze im Ausland führt. Ich glaube aber, dass SPD und Grüne tatsächlich die Chance haben, sich bis 2017 von den zehn oder elf Auslandseinsätzen, die wir gerade haben, zu verabschieden. Dann halte ich die internationale Politik 2017 nicht mehr für das zentrale Problemthema.

Jan van Aken ist stellvertretender Vorsitzender der Linken und außenpolitischer Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion. Frithjof Schmidt ist stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion und Mitglied im Arbeitskreis Internationale Politik und Menschenrechte. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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