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Katja Kipping (33) ist Vize-Chefin der Linken. Die Dresdnerin übte dieses Amt schon seit 2003 in der Vorgängerpartei PDS aus, die sich 2007 mit der WASG vereinigte.

© Mike Wolff

Linken-Vize Katja Kipping im Interview: "Wir müssen uns der grünen Herausforderung stellen"

Fliegt die Linke auseinander? Nein, sagt Partei-Vize Katja Kipping, mahnt aber: Der Streit über die Ausrichtung der Partei muss ausgetragen werden. Kipping fordert eine Doppelstrategie aus sozial-ökologischem Umbau und Linkspopulismus.

Frau Kipping, fliegt die Linke auseinander?
Auseinander fliegt sie nicht, aber die Linke ist gerade in einer schwierigen Situation. Die Veränderungen in der Gesellschaft haben zu enormen Wahlverlusten bei allen Parteien geführt, außer bei den Grünen. Uns hat es hart getroffen, weil uns bei den letzten beiden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz der Einzug ins Parlament nicht gelungen ist.

Warum hat Ihre Partei so schlecht abgeschnitten?
Unser Refrain „Mindestlohn, gegen die Rente ab 67, weg mit Hartz IV“ hat uns lange Zeit Erfolge beschert. Aber er reicht nicht mehr aus. Die Umfragen zeigen: Sobald die Sozialdemokraten das Thema Mindestlohn besetzen, denken die Leute, dass die das schon rocken werden. Dann ist es auch egal, dass die Linke 2,50 Euro mehr fordert. Wir müssen das Medley neu vertonen.

Mit welcher Melodie?
Ich denke, es war ein Fehler, dass die Linke sich nicht für innovativere Ideen geöffnet hat wie ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Oskar Lafontaine hat Ihre Forderung nach einem Grundeinkommen mal als „absolut minoritär“ bezeichnet. Offenbar gibt es keine Mehrheit dafür.
Das stimmt nicht, ich erhalte dafür auch viel Unterstützung. Als Linke fordern wir gerne mehr direkte Demokratie. Aber wir trauen uns nicht, den Streit über die inhaltliche Ausrichtung der Partei wirklich auszutragen. Das führt am Ende nicht zu weniger Streit, sondern zu unproduktiven Personaldebatten. Wer keine Personaldebatten will, muss gerade jetzt bereit sein, über Inhalte und Strategien zu streiten.

Wie muss die Linke sich aufstellen, damit sie für Wähler wieder attraktiver wird?
Wir brauchen eine Doppelstrategie: sozial-ökologischer Umbau plus Linkspopulismus. Linkspopulismus meint, gezielt und zugespitzt diejenigen ansprechen, die in unserer Gesellschaft ausgegrenzt sind. Aber wir müssen uns auch der grünen Herausforderung stellen. Es bringt uns nicht weiter, die Nase über das immer größer werdende grüne Bürgertum zu rümpfen. Wenn wir weiter Verachtung für Bionade-Biedermeier und Ökoläden ausstrahlen, kommen wir irgendwann in den Geruch des Altmodischen. Für eine linke Partei wäre es fatal, wenn sie den Anschluss an ein fortschrittlich-alternatives Milieu verliert.

Ihre Parteichefs arbeiten sich an SPD und Grünen ab. Ist das die falsche Strategie?
Wir sollten versuchen, die grüne Hegemonie in unserem Sinn zu beeinflussen. Wir müssen zum Beispiel die Grünen fragen, ob sie im Ernst daran glauben, dass ein anderes Bildungssystem bezahlbar ist, solange es die Schuldenbremse gibt. Die grüne Herausforderung anzunehmen, heißt ja nicht, kritiklos zu sein. Aber Kraftmeierei und Wir-gegen-alle hilft uns auch nicht weiter. Neben der notwendigen Kritik an politischen Konkurrenten sollten wir uns stärker auf das Projekt besinnen, für das wir als Partei brennen.

Wie sollte ein linkes Projekt aussehen?
Die Grünen haben den Green New Deal, in dem sie ihre Vorstellung von einer ökologischen Marktwirtschaft beschreiben. Der Linken fehlt eine solche neue Erzählung. Wir brauchen einen sozial-ökologischen Deal. Ein Beispiel: Man nimmt den Grünen ab, dass sie für eine Energiewende mit hundert Prozent erneuerbaren Energien sind. Wir müssen darüber hinaus für sozialverträgliche Stromtarife und demokratische Kontrolle werben. Also nicht für das große Fotovoltaik-Projekt eines Konzerns in der Wüste, sondern für das kleine dezentrale Bürgerkraftwerk.

Seit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst die Parteiführung übernommen haben, geht es mit der Linken bergab. Woran liegt das?
Dass die Linke in den Umfragen im letzten Jahr nicht mehr zulegt, liegt nicht nur an den Vorsitzenden, sondern auch an gesellschaftlichen Verschiebungen. Die Gesellschaft hat sich mehr in die Mitte orientiert. Für polarisierende Parteien wie die Linke und die FDP ist das ein Problem.

Ist die Not so groß, dass nur ein Comeback von Lafontaine die Partei retten kann?
Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ein Freund, der sich mit Popmusik gut auskennt, hat mir erklärt, dass Comebacks dann gelingen können, wenn sie mit einer Neuerfindung einhergehen. In den 80er Jahren hat Lafontaine ganz großartige Texte geschrieben, in denen er etwa leidenschaftlich für Arbeitszeitverkürzungen plädierte. Wenn er diese Melodie aufgreifen würde, fände ich das gut. Wenn Lafontaines Comeback nur ein Weiter so wäre, hilft uns das nicht aus der Krise.

Sehnen Sie sich zurück nach Lafontaine?
Sehnsucht ist der falsche Begriff. Klar ist: Linkspopulismus kann er. Für mich ist aber nicht so entscheidend, wer die Linke führt, sondern wie das Arbeitsklima ist. So wie in den letzten Wochen können wir auf keinen Fall weiterwerkeln. Das Problem ist, dass sich beiden unterschiedlichen Akteuren in unserer Partei die Stimmung breitgemacht hat: Wir spielen nur noch auf Sieg. Die einen versuchen in den Landesverbänden, sich um jeden Preis mit ihrer Mehrheit durchzusetzen, die anderen im Parteivorstand. Es gibt eine Dynamik der Eskalation. Das wird zu einem Bumerang für die Linke.

Der frühere Parteichef Lothar Bisky hat mal von einem Klima der Denunziation gesprochen. Trifft das immer noch zu?
Denunziation ist nicht unser Hauptproblem. Es gibt tatsächlich unterschiedliche strategische Vorstellungen. Das ist ja auch normal: In eine demokratisch sozialistische Partei tritt man ein, weil man eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus möchte. Da gehen die Vorstellungen weiter auseinander als in einer konservativen Partei.

Aber Ihre Parteichefs tragen auch nicht gerade zu einem guten Klima bei, oder?
Die Vorsitzenden hätten die destruktive Dynamik verhindern können, wenn sie produktive Diskussionsangebote gemacht hätten. Es gibt in der Linken ein großes Bedürfnis, über das Grundsatzprogramm zu debattieren, das im Herbst auf einem Parteitag beschlossen werden soll. Im Moment habe ich den Eindruck, dass eine Mehrheit im Parteivorstand verhindern will, dass am Programmentwurf irgendetwas verändert wird. Ich bin aber auch überzeugt: So wie das Programm gegenwärtig aussieht, würde es keine breite Mehrheit auf dem Parteitag finden.

Ist die Situation so verfahren, dass die Linke eine neue Parteiführung braucht?
Es wird nicht reichen, ein oder zwei Personen an der Spitze auszutauschen. Wir brauchen eine neue Kultur der Verständigung. Ich setze meine Hoffnung auf die Leute, die nach der Parteigründung eingetreten sind, die nicht mehr in den Kategorien Ex-WASG und Ex-PDS denken. Die müssen bei uns eine stärkere Rolle spielen.

Könnten Sie sich denn vorstellen, Parteivorsitzende zu werden?
Irgendwann wäre das wohl möglich. Aber mit Mitte 30 steht für mich die Familiengründung im Vordergrund. Und genügend Einfluss kann ich auch als stellvertretende Parteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete nehmen.

Das Interview führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

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