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Politik: Links zählt

Frankreichs Sozialisten stimmen über die EU-Verfassung ab – sie könnten das gesamte Projekt gefährden

Der 1. Dezember könnte leicht in die Geschichte eingehen. Nicht nur in die der französischen Sozialisten, der größten Oppositionspartei in Frankreich, sondern auch in die Europas. Schon lange wird der heutige Mittwoch als Tragikomödie angekündigt, vor allem von der bürgerlich-konservativen Regierungspartei UMP, aber auch von vielen sozialistischen Parteigrößen in ganz Europa. Ganz ohne Not sind die französischen Sozialdemokraten vor drei Monaten auf die Idee gekommen, ein Schlachtfeld innerhalb der eigenen Reihen zu eröffnen, das die Partei seitdem heillos spaltet. Obwohl die Parti Socialiste (PS) in diesem Jahr große Erfolge eingefahren hat, zwei grandiose Wahlsiege bei den Regional- und den Europawahlen, wird nur gestritten. Zur Debatte steht die EU-Verfassung, über die die 130 000 Parteimitglieder bei einem internen Referendum abstimmen sollen. Das Ergebnis der Befragung ist völlig offen und soll am Donnerstag bekannt gegeben werden.

Anführer des „Ja“ ist Parteichef François Hollande im Verbund mit den gewichtigen linken „Polit-Elefanten“ Jack Lang (Ex-Kulturminister) und Dominique Strauss-Kahn (früherer Wirtschaftsminister). Bei zahllosen Reisen durchs ganze Land haben sie immer wieder das Argument ins Feld geführt, der mühsam ausgearbeitete Verfassungstext sei nicht schlechter als die bisherigen EU-Verträge.

Anführer des „Nein“ ist der frühere sozialistische Premierminister Laurent Fabius. Er plädiert für eine Ablehnung der Verfassung, in der ihm die soziale und steuerliche Harmonisierung in Europa fehlt. Im einzelnen fordert er, dass in den Text eine Revision des Stabilitätspaktes zugunsten einer Wachstumspolitik in den einzelnen EU-Ländern aufgenommen wird, eine Erhöhung statt einer Begrenzung des EU-Budgets, klare Maßnahmen für mehr Beschäftigung in Europa sowie zur Verhinderung von Betriebsverlagerungen in die östlichen neuen EU-Länder aus Kostengründen. Ebenso könnte man den Papst auffordern, Protestant zu werden, meinte sarkastisch der frühere grüne Präsidentschaftskandidat Noel Mamère.

„Verkehrte Welt“, spotten seit Wochen auch die regierenden Bürgerlichen um Staatspräsident Jacques Chirac, die mehrheitlich für eine Annahme der Verfassung sind und es zudem absurd finden, dass sich ausgerechnet Fabius, bislang dem rechten PS-Flügel angehörend, als „Nein-Sager“ zum Fürsprecher der Linksaußen-Sozialisten, der Trotzkisten, der Kommunisten und der Rechtsextremen von Le Pen macht, die die EU-Verfassung sowie einen EU-Beitritt der Türkei von Anfang an abgelehnt haben.

Das Ergebnis der Abstimmung unter den Sozialisten könnte weit reichende Folgen haben. Zum einen zittert die amtierende Regierung, weil ein „Nein“ der Sozialisten womöglich zu einem „Nein“ der ohnehin europa-skeptischen Franzosen führen könnte, die sich nach dem Willen Chiracs im kommenden Jahr bei einer Volksabstimmung zur EU-Verfassung äußern sollen. Ein „Nein“ würde die französischen Linken außerdem von den übrigen sozialistischen Parteien Europas isolieren und die Hierarchie bei den französischen Sozialisten durcheinander wirbeln. Sollte sich die anti-europäische Haltung von Fabius durchsetzen, müsste der bislang als sozialistischer Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2007 geltende Hollande womöglich den Parteivorsitz abgeben und das Amt Fabius überlassen. Hollande mochte bislang keine Prognosen über die parteiinterne Befragung abgeben. Für den Fall eines „Non“ sagte er bereits Riesenprobleme voraus: „Von uns hängt die Antwort der Franzosen ab und auch die Zukunft Europas“, sagte er beschwörend.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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