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Politik: Linksruck in den Niederlanden

Bei Kommunalwahlen büßen Regierungsparteien Stimmen ein – auch wegen ihrer Einwanderungspolitik

Die Enttäuschung stand Marco Pastors ins Gesicht geschrieben, als er am späten Dienstagabend die Hochrechnungen der Kommunalwahl in Rotterdam sah. Der Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Liste „Leefbaar Rotterdam“ – lebenswertes Rotterdam – erlitt eine herbe Niederlage. Der Ableger der Partei des 2002 ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn wurde von den Sozialdemokraten auf den zweiten Platz verwiesen. Die Partij van de Arbeid (PvdA) gewann 15 Prozentpunkte hinzu und kam auf 37,4 Prozent. Die Leefbaar-Liste musste sich mit 29,7 Prozent zufrieden geben. Die in Den Haag regierenden Christdemokraten kamen sogar nur auf 7,7 Prozent. Ähnlich sahen die Ergebnisse in den übrigen Kommunen bei den Gemeindewahlen in den Niederlanden aus.

„Rotterdam steht als Beispiel für den Linksruck in den Niederlanden. Die Bewegung ist auf lokaler und nationaler Ebene gleich“, sagt Eddy Habben Janssen vom Amsterdamer Institut für Politik und politische Beteiligung. Tatsächlich setzte sich der Trend in allen großen Städten fort. In Amsterdam gewann die PvdA knapp elf Prozentpunkte hinzu. In Den Haag waren es acht, in Eindhoven neun Prozentpunkte.

Landesweit stellt das Ergebnis eine schwere Schlappe für die Mitte-Rechts- Koalition unter Premier Jan Peter Balkenende dar. Die Christdemokraten haben im Vergleich zu den Kommunalwahlen vor vier Jahren über vier Prozentpunkte eingebüßt und sind mit 16,9 Prozent nur noch zweitstärkste Kraft im Land. „Rechnet man die lokalen Parteien heraus, sind die Verluste noch viel größer und liegen bei sieben bis zehn Prozentpunkten“, sagte André Krouwel, Soziologe und Politologe an der Freien Universität Amsterdam. Eindeutige Gewinner sind die sozialdemokratische Partij van de Arbeid und die Sozialisten. Die PvdA gewann im Durchschnitt knapp acht Prozentpunkte und liegt nun bei 23,4 Prozent. Die Sozialisten verdoppelten ihren Stimmenanteil auf 5,7 Prozent. „Die Wähler haben ein klares Signal an das Kabinett geschickt“, sagte der Vorsitzende der PvdA, Michiel van Hulten.

Regierungschef Balkenende räumte die Niederlage ein, unterstrich aber die schwierige Situation seiner Koalition: „Wir mussten viele unangenehme Maßnahmen durchsetzen. Aber jetzt werden die Erfolge unserer Arbeit kommen.“ Er hofft, dass die Wähler im Mai 2007 bei der Parlamentswahl die Arbeit seiner Regierung positiver bewerten. Aber die Koalition wackelt. Noch in der Wahlnacht trat der Fraktionschef des liberalen Partners VVD, Jozias van Aartsen, zurück. Einer müsse die Verantwortung für das Wahldebakel übernehmen, sagte er.

Mit der Kommunalwahl hat also gleichzeitig der nationale Wahlkampf in den Niederlanden begonnen. „Für 60 bis 70 Prozent der Wähler war die nationale Politik entscheidend“, meinte Wissenschaftler Janssen. Dabei spielten vor allem die Arbeitslosigkeit und die Reform des Gesundheitswesens die wichtigste Rolle. Aber auch die Integrationspolitik wurde der Balkenende-Koalition zum Verhängnis. Gemeinsam mit den lokalen Pim-Fortuyn-Listen, die ebenfalls starke Verluste hinnehmen mussten, hatte die rechtsliberale Koalition in den vergangenen Monaten nämlich zahlreiche Regelungen beschlossen, die die Einwanderung in die Niederlande erschweren und gegen Radikalisierung unter den Muslimen wirken sollten. Aber vielen gingen die strengen Gesetze zu weit – allen voran den Betroffenen. Nach einer Untersuchung der Universität Amsterdam wählten über 80 Prozent der Einwanderer Parteien links von der Mitte. „In den großen Städten“, analysierte Janssen, „waren diese Stimmen auf jeden Fall wahlentscheidend.“

Ruth Reichstein[Den Haag]

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