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Lissabon-Vertrag: Polens Präsident unterschreibt EU-Reformvertrag

Polen hat den Lissabon-Vertrag ratifiziert. Mit seiner Unterschrift setzt Präsident Lech Kaczynski seinen tschechischen Kollegen Vaclav Klaus gehörig unter Druck.

Als vorletztes der 27 EU-Länder hat Polen den Reformvertrag von Lissabon ratifiziert. Während eines Festakts im Präsidentenpalast unterzeichnete Lech Kaczynski am Samstag in Warschau das Dokument und sprach von einer "Änderung der Qualität" der EU. Er sei überzeugt, dass das Experiment gelinge. An den Feierlichkeiten nahmen auch der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, Chef des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek sowie EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso teil.

Jetzt fehlt nur noch eine Unterschrift: Nachdem Kaczynski seine geleistet hat und auch die Iren in einem Referendum zugestimmt haben, muss nun noch Tschechiens Präsident Vaclav Klaus den Vertrag unterschreiben.

Selten haben so viele Politiker in Europa so oft und so eindringlich auf das tschechische Staatsoberhaupt geblickt. Denn nur wenn Klaus unterschreibt, kann der Lissabon-Vertrag in Kraft treten. Doch der 68-Jährige fürchtet den "europäischen Superstaat" und hat bisher alles getan, um wirklich zum Allerletzten bei der Ratifizierung zu werden.

Derzeit argumentiert er, er könne natürlich nicht unterzeichnen, bevor nicht das tschechische Verfassungsgericht ein zweites Mal über die Rechtmäßigkeit des Vertrages entscheide. Die 17 Senatoren, die die neue Klage einreichten, sind enge politische Weggefährten des Unbeugsamen vom Prager Hradschin.

Knapp drei Wochen vor dem kommenden EU-Gipfel hat Klaus dem derzeitigen EU-Ratspräsidenten Reinfeldt anvertraut, er wolle noch eine "Fußnote" im neuen Vertrag einbringen. Damit, so ist die gängige Deutung, wolle er ganz klar machen, dass Deutsche nicht unter Berufung auf die im Vertrag erwähnte "Charta der Grundrechte" die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Benes-Dekrete zur Vertreibung aus dem Sudetenland aushebeln könnten. Reinfeldts erste Reaktion deutete auf blankes Entsetzen hin: "Das ist die falsche Botschaft zum falschen Zeitpunkt. Es hat viele Gelegenheiten gegeben, unterschiedliche Meinungen vorzubringen."

Mit einen neuen Forderungen steht er unter innenpolitischer Kritik. "Ich bedauere, dass der Präsident sich über seine Pläne nicht vorher mit der Regierung beraten hat", sagte Ministerpräsident Jan Fischer. Auch aus dem Außenministerium hieß es, man sei von Klaus nicht konsultiert worden.

Freilich kam der Versuch von Klaus, im Nachhinein noch einmal zu verhandeln, nicht völlig überraschend. Schließlich hatten die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten nach dem gescheiterten Referendum in Irland gezeigt, dass sie durchaus zu späten Zugeständnissen bereit sein können. Dabei hatten sie nicht nur Sorgen vor EU-Übergriffen auf Irlands Neutralität oder das Abtreibungsverbot mit starken Worten ausgeräumt, ohne am Vertragstext etwas zu ändern. Sie hatten sogar von der rechtlich bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die eigentlich geplante Verkleinerung der EU-Kommission wieder zu kippen.

Inzwischen macht sich bei Europas Staats- und Regierungschefs Erschöpfung breit. Eigentlich gebe es vom Klimaschutz bis zur Finanzkrise wichtigere Themen, räumen Diplomaten ein. Und niemand widerspricht dem britischen Regierungschef Gordon Brown: "Ich hoffe, dass wir nach dem Vertrag von Lissabon viele Jahre nicht mehr über eine Vertragsreform reden müssen."

Der Vertrag von Lissabon soll die bisherige Rechtsgrundlage der EU ersetzen, den "Nizza-Vertrag". Der im Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnete Vertrag sieht häufigere Mehrheitsentscheidungen bei Abstimmungen vor. Dadurch werden die Blockademöglichkeiten einzelner Staaten verringert. Im Ministerrat werden Stimmen nicht mehr nach Größe und Bedeutung der Staaten gewichtet, sondern eine "doppelte Mehrheit" (sowohl der Staaten als auch der Bevölkerung) entscheidet.

Zugleich wird die Stellung der nationalen Parlamente und die des Europaparlaments gestärkt. Die EU bekommt mehr außenpolitische Befugnisse und eine Art "Außenminister". Auch ein Ratspräsident soll jeweils für zweieinhalb Jahre gewählt werden. Die EU-Kommission sollte ursprünglich verkleinert werden. Nach dem ersten gescheiterten Referendum in Irland vom Juni 2008 wurde jedoch allen Staaten zugesichert, dass sie auch weiterhin einen Kommissar stellen dürfen.

Der Lissabon-Vertrag ist von den EU-Regierungen – vor allem von Deutschland und Frankreich – immer als Voraussetzung für künftige EU-Erweiterungen bezeichnet worden. Der Nizza-Vertrag ist hingegen auf 27 EU-Mitgliedstaaten ausgerichtet.

Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, Reuters

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