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Trommeln für den Wahlsieg: David Rowntree, Blur.

© Daniel Sleat

London: Blur-Schlagzeuger tritt für Labour an

Schulden und Skandale. Labour steht nicht gut da vor den Unterhauswahlen am Donnerstag. David Rowntree müsste für die Partei ein Hoffnungsträger sein. Denn als Schlagzeuger von Blur verkörperte er die Allianz von Pop und Politik. Jetzt kandidiert er in Westminster.

Will ist nervös. Und ein bisschen sauer. Hastig zieht er an seiner Zigarette, rückt die grüne Umhängetasche auf seiner Schulter zurecht. Der Trenchcoat, den er trägt, wirkt eine Nummer zu groß. Aber das ist egal. Hier geht es nicht darum, gut auszusehen, hier geht es darum, gut anzukommen. Das ist ein Kampf, Wahlkampf. Will weiß nicht, sein wievielter es ist, aber er hat immer wieder dasselbe Motto: „Wir gewinnen, egal, wie schwierig die Ausgangslage ist.“

Und sie ist schwierig. Das rote Gesicht des hageren großen Will verfärbt sich dunkelrot. Denn ihm fehlt etwas. „Wo ist der Kandidat?“, ruft er unentwegt der kleinen Gruppe in der Churchill Gardens Road, Westminster, mitten in London zu. Handzettel soll der Kandidat verteilen. Will ist nur zur Unterstützung dabei. Aber der Kandidat, er muss passen an diesem Londoner Samstagvormittag, kurzfristig. Denn der Mann, um den es geht, hat gleich zwei andere Jobs: Er ist Pflichtverteidiger für Menschen, die sich keinen Anwalt leisten können, und er ist Popstar. Für die meisten Menschen ist Letzteres natürlich interessanter, als einem Jungen in Essex auf einer Polizeiwache beizustehen. David Rowntree findet das nicht.

„Es ging um Diebstahl“, sagt er später in einem Café in Liverpool Street, einem großen Londoner Bahnhof. Seinen Namen kennt man von den Rückseiten berühmter CDs. „Dave Rowntree: Drums“ steht da, neben den Namen seiner Bandgefährten. Damon Albarn, Graham Coxon und Alex James, besser bekannt als Blur. Erst im Sommer haben sie vor fast 200 000 Fans im Hyde Park zwei Konzerte gegeben. Müsste Rowntree da nicht die Rettung für Labour sein, die Partei, die an Popularität verloren hat wie sonst keine?

Jetzt, im Café, ist vom Nachhall jubelnder Menschenmengen nichts zu spüren. Einen entkoffeinierten Kaffee schlürft Rowntree, isst eine Banane. Er wirkt müde und abgekämpft, Falten ziehen durch sein Gesicht. Ansätze eines Bierbauchs sind erkennbar, die rötlichen Haare immer weiter auf dem Rückzug. Aber er wirkt ausgeglichen. „Ich kann helfen, etwas im Kleinen bewegen, und das ist gut, das hilft mir selbst“, sagt er. Massen bewegt er als Musiker. Antreiber kann er als Schlagzeuger sein. Dann ist er Dave. An diesem Samstag aber ist er David und kümmert sich nur um einen einzigen Menschen – in einer Zelle. Er will nicht als Popstar gewählt werden.

Dennoch, dass Rowntree, 45 Jahre alt, hier sitzt, hat mit zwei wichtigen Koordinaten der britischen Kultur zu tun: Labour und Britpop. Das war einmal eine wichtige Verbindung, an der auch Blur, vier Kunststudenten aus der Nähe von London, ab 1989 mitgewirkt haben. Sie gewannen Preise, verkauften Millionen Platten, mit verschrobenen, ironischen Songs über das britische Leben. Das Land war geprägt von der eisernen Hand Margaret Thatchers, von den Streiks der Gewerkschaften. Resignation und Frustration lasteten auf allem. Dann kamen Bands wie Blur und Oasis aus Manchester und erklärten ihre Heimat zum neuen Schick. Positiv sahen sie die Welt – und vor allem britisch. Britpop war geboren.

David Rowntree kann mit dem Begriff nicht viel anfangen. Er runzelt die mit Sommersprossen gesprenkelte Stirn. Es habe eben zwei gute Bands gegeben, und dann wurde gleich eine ganze Bewegung daraus gemacht. In der Tat verwandelte nicht allein die Musik Großbritannien plötzlich in einen angesagten Ort. In der Kunst sorgte Damien Hirst mit seinem in Formaldehyd eingelegten Hai für Aufregung. Der Fußball kehrte mit einer Europameisterschaft in sein Heimatland zurück. Die Wirtschaft boomte wieder. Und die von Tony Blair in New Labour umgetauften Sozialdemokraten übernahmen die Macht. „Cool Britannia“, sagt auch Rowntree, „das hat es gegeben.“ Die vielen kulturellen Phänomene hätten aus England „für einen langen Moment ein optimistisches Land gemacht. Dieses Gefühl hat New Labour über drei Wahlperioden getragen.“

Geblieben ist von dieser Liaison am Ende vielleicht nur eine Flasche Gin. 1995 wurde Blur-Sänger Damon Albarn ins Parlament eingeladen. Zum Gedankenaustausch. Tony Blair sollte er treffen. Was denn los sei, in der Szene, soll Blair den Sänger gefragt habe. Und der referierte über den unglaublichen Erfolg britischer Musik. Was genau Blair von ihm wollte, wusste Albarn wohl auch nicht. Etwas irritiert schnappte er sich eine Flasche Gin aus dem Salon des House of Parliament und zog ab. Fotos gibt es von dem Treffen nicht, nur Gerüchte. Das reichte Blair, das reichte Labour. Es ging darum, im Gespräch zu sein, zu zeigen: Britpop ist cool, Britannien ist cool, Blair ist cool.

„Ich habe von dem Gin nichts bekommen“, sagt Rowntree, und es wirkt nicht, als sei er sonderlich traurig darüber. Immer wieder haben Blairs Strategen den Kontakt zur Szene gesucht. „Labour und Britpop waren wie füreinander geschaffen“, schreibt John Harris in seinem Britpop-Buch „The Last Party“. Zur Ikone jener Liebschaft zwischen Labour und der britischen Musik hat es ein Bild aus dem Jahr 1997 geschafft. Tony Blair und Noel Gallagher, der Kopf von Oasis, stehen lachend bei einem Glas Champagner in der Downing Street. Aber längst ist auch der Geist Blairs aus der Downing Street ausgezogen. Damon Albarn schimpft auf den Irakkrieg, und der ehemalige Manager von Oasis sagte kürzlich, dass er nie wieder Labour wählen werde.

Rowntree ist der letzte Mohikaner. Er weiß, warum die Affäre ein Ende nehmen musste. „Politik funktioniert eben anders als Musik. In der Politik hat jede gute Geschichte am Ende auch einen Verlierer, den, der die Versprechung bezahlen muss“, sagt er. Pop lebt zwar auch vom großen Versprechen. Einlösen muss Pop es allerdings nie. „Das will ich nicht mitmachen“, sagt Rowntree. Kleine Lösungen sind ihm wichtig. Er ist Realist.

Großbritannien ist nicht mehr cool. Die Schuldenlast ist erdrückend. Sie beläuft sich auf 11,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, was an Griechenland (13 Prozent) heranreicht. Das Pfund verliert an Wert. Und Premierminister Gordon Brown macht sogar im Wahlkampf eine unglückliche Figur. Als solider Macher und Schatzkanzler hatte er sich als Antipode des schillernden Tony Blair in Szene gesetzt. Der überließ ihm auf sein Drängen hin im Juni 2007 das Amt des Premierministers. Viele sagen heute, hätte Brown damals gleich Neuwahlen ausgerufen, wäre ihm der Rückhalt in der Bevölkerung sicher gewesen. Er aber zögerte, ließ den Augenblick verstreichen. Seitdem ist er erfolgreich vor allem im Überleben von Parteirevolten.

Am Donnerstag wird gewählt, und einige Umfragen sehen ein Patt voraus, denn Labours große Schwäche hat zu einer Neuordnung des Parteiensystems geführt. Lange galt David Cameron, der smarte Spitzenkandidat der konservativen Torys, als klarer Favorit. Er führte die Umfragen deutlich an. Ein neuer Blair sollte er sein. Aber genau das könnte ihn am Ende den Sieg kosten. Die Briten haben keine Lust mehr auf PR-Politik. Und so ist mit Nick Clegg, dem liberalen Spitzenkandidaten und Shootingstar dieses Wahlkampfs, ein neuer Mitspieler aufgetaucht. Das könnte Großbritannien erstmals seit 1974 wieder in eine Minderheitsregierung führen, eine aus Labour und den Liberalen.

Rowntree hätte Gefallen daran. Es gibt politische Musiker, Aktivisten, aber nur wenige echte Kümmerer. Rowntree ist so einer. Er ist so einer geworden.

Ein Nehmer sei er gewesen. Aber als Blur in die Krise gerieten und er nichts mehr zu tun hatte, wollte er Geber sein. Über einen Bekannten kam er zum Londoner Strafgerichtshof Old Bailey. „Mich hat die Arbeit dort begeistert, aber die Schicksale haben mich erschreckt“, sagt er. Also schloss er ein Praktikum in einer Anwaltskanzlei im Osten Londons an, begann ein Jura-Studium. Fertig ist er noch nicht, aber schon aktiv: als Rechtsbeistand für festgenommene Jugendliche. „Es geht um Menschen, die nie etwas anderes als Drogen, Kriminalität und psychische Probleme kennengelernt haben“, sagt er. Um diese Menschen müsse man sich kümmern. Er will keine Welt retten oder Ideologie verteidigen. „Dir hilft keine Statistik über die verbesserte soziale Situation durch Labour, wenn du im Gesicht blutest“, sagt er.

Aber um wen soll sich Rowntree in Westminster kümmern? Einem der reichsten englischen Stadtteile im Herzen Londons, wo Big Ben, das Parlament und der FC Chelsea zu Hause sind? Seit 60 Jahren regieren hier die Torys. Rowntree weiß, dass er praktisch chancenlos ist.

Allerdings hat Westminster zwei Gesichter. Sie zeigen sich in der Tachbrook Street. Auf der einen Seite stehen kleine, zweistöckige weiße Häuser mit einer kleinen Treppe, die zur schwarz lackierten Haustür mit goldenem Knauf hinaufführt. Und auf der anderen große, mehrstöckige Gebäude mit brauner Fassade. Was sie trennt, ist ihr Preis. Zwei bis drei Millionen Pfund kostet das kleine Haus. Das andere wird vom Staat finanziert, ein Sozialbau. Davon gibt es einige in Westminster. Hier hofft Rowntree auf Wähler. 20 000 Handzettel verteilt er. Er klopft an Wohnungstüren, erwartet die Antwort, sagt oft durch geschlossene Türen, dass er von Labour sei und versuche, der neue Abgeordnete zu werden. Zum Schluss steckt er seine Broschüre durch den Briefschlitz.

„Die Wohnungssituation ist das größte Problem in Westminister, in London, in ganz England“, sagt er. Es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Er wird es nicht lösen können. „Aber wenn bei jemandem die Dachrinne tropft, die Parkplatzsituation schlecht ist, kann ich helfen.“ Dabei sind Drogen-Bekämpfung, Alkohol-Missbrauch und Kriminalität seine Themen. Da hat er als Musiker Erfahrungen gesammelt. Es ist nicht seine erste Wahl. Er kandidierte schon zweimal für Bezirksratswahlen – erfolglos.

Visionäre Reden hat Rowntree in seinen Wahlkampf nicht eingebaut. Für die große Geste fehlt ihm der Sinn. So vergangenen Sommer im Hyde Park. Nach über zehn Jahren geben Blur wieder zwei Konzerte. Albarn, Coxon und James verbeugen sich vorn an der Bühne, die Begeisterung schlägt ihnen wie warmer Wind entgegen. Rowntree steht hinter dem Schlagzeug. Ohne sich umzudrehen oder die Stöcke wegzuschmeißen, geht er davon. Wie der Bühnentechniker, der eine Lampe repariert hat. Kümmerer sehen so aus.

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