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Misstrauisch. Demonstranten vor der Zentrale der Liberaldemokraten in London fürchten eine Aufweichung der ehrgeizigen Klimapolitik. Foto: AFP

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Politik: London verschärft seine Klimaziele

CO2-Emissionen sollen bis 2025 halbiert werden – durch den Ausbau der Atomenergie

Großbritanniens Energieminister Chris Huhne müsste sich eigentlich freuen. Er setzte in der britischen Regierung eine umstrittene Entscheidung für eine Verschärfung der bereits ehrgeizigen Klimaziele durch. Nach dem neuen Klimafahrplan sollen die britischen CO2-Emissionen bereits 2025 gegenüber dem Stand von 1990 halbiert werden. Dabei ist ungewiss, wie Großbritannien das Ziel, bis 2020 schon 34 Prozent einzusparen, erreichen kann.

Aber Huhnes Stimmung ist doch getrübt. Denn ein Unterhausausschuss übte am Montag scharfe Kritik an seiner Politik „versteckter Subventionen“ für die Atomindustrie. Die Regierung müsse in ihrem kommenden Weißbuch zur Reform der Strommärkte „die Vorteile, Risiken und Herausforderungen einer neuen Generation von Atommeilern offen und ehrlich darlegen“, forderte der Vorsitzende des klimapolitischen Ausschusses, Tim Yeo.

Außerdem hat die Polizei mit Ermittlungen gegen Huhne begonnen. Der Minister soll Verkehrssünderpunkte wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung an eine dritte Person abgewälzt haben. Der Vorwurf stammt von seiner früheren Frau. Premier Cameron stellte sich am Montag bedingt hinter Huhne. „Er bestreitet diese Vorwürfe und hat deshalb mein Vertrauen.“

Seit dem Klimaschutzgesetz von 2008 legt Großbritannien als einziges Land der Welt „gesetzlich verbindliche“ Klimaziele fest. Die unabhängige Climate Change Commisssion (CCC) überwacht, dass der Klimafahrplan auch eingehalten wird und gibt energiepolitische Empfehlungen ab. Im vergangenen Jahr forderte die CCC eine Verschärfung der CO2-Einsparung von 50 Prozent bis 2025 und 60 Prozent bis 2030.

Die Empfehlung entfachte einen Streit im Kabinett und wurde von britischen Wirtschaftsverbänden abgelehnt. Großbritannien habe bereits ehrgeizigere Klimaziele als andere Länder, warnte Terry Scuoler, Chef des Verbands der herstellenden Industrie, EEF. „Wenn wir ohne internationale Abstimmung eine einsame Furche pflügen, schädigen wir unsere Wirtschaft, ohne der Umwelt zu nützen.“ Auch Schatzkanzler George Osborne und Wirtschaftsminister Vince Cable lehnten den Plan ab. Sie fürchten um die Erholung der Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit der britischen Industrie. Nun entschied Premier Cameron salomonisch – indem er eine Hintertüre offen ließ. Der verschärfte Klimaweg soll erst in der nächsten Legislaturperiode eingeschlagen werden und nur gelten, wenn andere Länder nachziehen.

Großbritannien setzt bei seiner ehrgeizigen Klimapolitik auf einen Ausbau der Kernkraft, zu der es eine Serie von Weißbüchern gab. Nach dem Klimafahrplan des CCC sollen 40 Prozent des Stroms durch Atomkraft produziert werden – genau so viel wie durch erneuerbare Energien. Erst vor zwei Wochen forderte die CCC, das Atomprogramm aufzustocken. Atomstrom, so das Klimaamt, bleibe auf absehbare Zeit die billigste CO2-arme Energiequelle.

Energieminister Chris Huhne, ursprünglich ein Atomgegner, hatte mehrfach betont, Sondersubventionen für die Atomindustrie werde es unter ihm nicht geben. Doch nun wirft ihm Yeos Komitee vor, genau das zu tun, die Subventionen aber zu verstecken, um das „Gesicht zu wahren“. Die Kritik bezieht sich auf den Plan, den CO2-Preis über das im europäischen Emissionshandel erzielte Preisniveau hinaus zu stützen – angefangen mit einem Mindestpreis von 19,16 Pfund (knapp 22 Euro) pro Tonne CO2 in 2013 und ansteigend auf 30 Pfund bis 2020. Dies würde die bereits bestehenden Kapazitäten der Atomindustrie mit Milliarden von Pfund belohnen. Laut dem Unterhausausschuss trifft die Regierung mit der Regelung auch eine Vorentscheidung gegen erneuerbare Energien, die andere Förderungsmodelle bräuchten. Der Verband der erneuerbaren Energien, „Renewable UK“, pflichtete dem am Montag bei und warnte, diese Regelungen bevorzugten „bestimmte Industrien“. Er fordert stärkere Zielvorgaben für den beschleunigten Ausbau der Offshore-Energie bis 2020.

Anders als in Deutschland, wo sich die Debatte um den Ausstieg aus der Kernenergie seit dem Atomunfall in Fukushima vor die Diskussion um die Klimapolitik geschoben hat, herrscht in Großbritannien nach der Katastrophe weitgehender Konsens. Für die Atomkraft spricht sich eine „grüne Atomlobby“ aus, deren Vordenker der Ökologe James Lovelock und der frühere Chefwissenschaftler David King sind. Sie argumentieren, die Restrisiken der Atomindustrie seien geringer einzuschätzen als die globale Existenzbedrohung des Klimawandels. Und auch die Zahl der Briten, die nach Fukushima den Neubau von Kernkraftwerken ablehnen, ist mit 31 Prozent praktisch unverändert.

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