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Blick auf das Bundeskanzleramt

© dpa/Kay Nietfeld

Lücke zwischen Ideen und Ausführung: Die Welt wartet auf eine tatkräftige Bundesregierung

Deutschland kann in vielem ein Vorbild geben. Doch es muss seine Wege in die Zukunft nicht nur predigen, sondern auf überzeugende Weise gehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Ein Bonmot schreibt Predigern eine Ähnlichkeit mit Straßenschildern zu: Beide weisen den Weg, aber gehen ihn nicht.

Die Bemerkung kursiert auch über das Auftreten der Deutschen in der Welt. Sie geben gerne Ratschläge, was universal am besten wäre und wie andere handeln sollten, befolgen die Maximen jedoch selbst nicht konsequent.

Die Diskrepanz zwischen Reden und Tun ist auch im Wahlkampf oft beklagt worden. Die Bürger hoffen, dass Deutschland nun in die Puschen kommt. Das erwarten auch die Partner in Europa und der Welt.

Wenn die größte Ökonomie der EU keinen Ehrgeiz zeigt, bleiben auch anderswo Entscheidungen aus, von Bildung über Digitales bis zur Klima- und Außenpolitik. Überwindet die neue Regierung den Attentismus der vergangenen Jahre?

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Die Deutschen wollen Vorbild in der Klimapolitik sein, glänzen aber weder beim frühzeitigen Abschied vom Verbrennungsmotor noch beim Einhalten der Emissionsziele. „Made in Germany“ soll für technische Spitzenleistungen stehen. Ausländische Gäste, die die viertstärkste Wirtschaftsmacht auf der Suche nach der Zukunft bereisen, wundern sich jedoch, dass ein verlässliches Mobilnetz in den Landstrichen zwischen den Großstädten oft fehlt. Die digitale Kommunikation kommt in Schulen und Behörden nicht voran.

Deutsche beschwören eine Außenpolitik, die auf Menschenrechten und Grundwerten basiert. Im Umgang mit China rangieren Wirtschaftsinteressen freilich höher als die Freiheit der Dissidenten, die Demokratie in Hongkong und Taiwans Recht auf friedlichen Systemwettbewerb.

Viele Bürger wünschen mehr Integration Europas, sicherheitspolitische Autonomie und Unabhängigkeit von den USA. Sie wollen aber weder das nötige Geld in Verteidigung investieren noch nationale Eigenheiten, die den militärischen Zusammenschluss behindern, wie der Parlamentsvorbehalt bei Einsätzen oder Exportbeschränkungen, an die in der EU üblichen Normen annähern.

Sonderwege gegen die Mehrheit der EU-Partner

Deutschland verfolgt nationale Sonderwege auch dann, wenn Mehrheiten in der EU darin eine Verletzung gemeinsamer Interessen sehen wie bei der Gaspipeline Nord Stream 2. Oder wenn der gleichzeitige Ausstieg aus Atomkraft und Kohle die gemeinsamen Energienetze belastet.

Was kann die nächste Regierung besser machen? Runter von der Kanzel. Weniger predigen, mehr durch praktisches Vorbild überzeugen; Neugier zeigen und lernwillig sein, wenn Partner andere Wege gehen.

Deutschland steht insgesamt nicht schlechter da als die Nachbarn, selbst in Bereichen, wo es die selbst gesteckten Ziele verfehlt. Trotz zahlreicher Versäumnisse in der Coronazeit gibt es kaum Länder, in denen die Menschen besser durch die Pandemie gekommen sind.

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Da geht aber mehr. Deutschland sollte die beträchtliche Lücke zwischen guten Ideen und ihrer praktischen Anwendung zum eigenen Nutzen verkleinern. Dazu gehört mehr Realismus. Vieles wird hier erfunden und gefördert. Das große Geschäft machen aber andere.

Von der Energiewende bis zur Elektromobilität sind viele versprochene Arbeitsplätze schon wieder verloren. In der Solarbranche hatte Deutschland in die Entwicklung investiert. Später trieb China die hiesigen Firmen mit Dumpingangeboten in die Pleite. Mit imperialem Zugriff auf seltene Rohstoffe hat Peking sich ein Monopol im Batteriebau gesichert und nimmt deutschen Autobauern ihre Spitzenstellung.

Die Deutschen wissen durchaus, welche Wege in die Zukunft führen. Sie können besser darin werden, sie zu gehen.

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