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Die Lufthansa streitet mit der Europäischen Kommission.

© picture alliance / Sven Hoppe/dpa

Luftnummer Leerflüge: Es ist komplizierter, als die Lufthansa behauptet

Die Lufthansa ließ leere Flugzeuge fliegen, um Slots zu behalten. Der Konzern verteidigt sich, doch es gibt gute Gegenargumente. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dennis Kazooba

Vielleicht hätte er lieber nichts gesagt. Andererseits ist Lufthansa-Chef Carsten Spohr kein Konzernlenker, der sich zurückhält. Zum Beispiel, wenn die ökonomischen Interessen seines Konzerns mit den ökologischen übereinstimmen. Und so verkündete Spohr am zweiten Weihnachtsfeiertag in der „FAZ“, dass die Lufthansa-Airlines in der Winterflugplanperiode bis Ende März rund 18 000 unnötige, weil kaum gebuchte Flüge durchführen müssten, um Start- und Landerechte (Slots) an EU-Flughäfen zu behalten. Das saß.

Vorfahrt für den Klimaschutz; nicht für den Wettbewerb

Schließlich ist die Ansage der EU-Kommission und ihres „Fit for 55“-Klimapaket eindeutig: Vorfahrt für den Klimaschutz. Alle Sektoren sollen ihren Beitrag leisten, explizit auch die Luftfahrtbranche. Eine EU-Slotregulierung, die die Fluggesellschaften in der Corona-Krise zu unnötigen Flügen drängt, passt da schwer ins Bild. Sie ist auch mit der Botschaft, die Emissionsreduktion als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten, nicht vereinbar. Warum sollten Bürger ihren privaten CO2-Fußabdruck verkleinern, vielleicht auch mal auf einen innereuropäischen Flug verzichten, wenn der heilige Wettbewerb wichtiger ist als Tausende überflüssiger Flüge?

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So liest sich jedenfalls die kühle Antwort von EU-Verkehrskommissarin Adina Valean auf Spohrs Beschwerde. Die wegen der Pandemie ohnehin gelockerte Slot-Regulierung für überlaufene Flughäfen biete den Fluggesellschaften „genug Flexibilität, um leere Flüge zu vermeiden“, sagte sie und verwies auf die Billigflieger, die bereits wieder fast so viele Flüge durchführen wie 2019: Es sei nicht nötig, die ohnehin auf 50 Prozent abgesenkte Nutzungspflicht für Slots weiter zu senken. Das Flugaufkommen liege in diesem Winter bei fast 80 Prozent des Vor-Pandemie-Levels. Die Durchführung der Flüge sei wichtig für die Flughäfen, die nach den Gebühren für Starts und Landungen lechzen, für die Verbraucher und den Wettbewerb. Das saß dann noch ein bisschen mehr.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen liegt auch im Interesse der Verbraucher

Zehntausende kaum besetzte Flüge politisch begrüßen, damit der Unterbietungswettbewerb bei den Ticketpreisen auf Kurz- und Mittelstreckenflügen fröhlich weiterlaufen kann? Eigentlich sieht das EU-Klimapaket vor, durch höhere Preise die Nachfrage zu drücken. So soll für innereuropäische Flüge eine Kerosinsteuer eingeführt werden. Auch das Schienennetz soll ausgebaut werden. Dass die Zahl der Passagiere stärker gesunken ist als die der Flüge und das Verkehrsmittel Flugzeug insgesamt ineffizienter und klimaschädlicher wird, spielte in der Argumentation Brüssels bisher keine Rolle.

Der Verweis auf Verbraucherinteressen durch Brüssel, die nur darin bestehen sollen, möglichst günstige Tickets auf möglichst vielen angebotenen Flügen zu ergattern, ist zudem einseitig. Längst ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und Emissionen auch Verbraucherinteresse. Durch Bürokratie erzwungene Emissionen kaum besetzter Flugzeuge werden nicht akzeptiert, wie die wilde Debatte um die „Leerflüge“ zeigte.

[Lesen Sie zu diesem Thema auch: Lufthansa wehrt sich gegen „Leerflüge“-Vorwurf: „Die Slot-Regulierung lässt zu wenig Spielraum, unnötige Flüge zu vermeiden“ ]

Auch der zweite Airline-Großkonzern in der EU, Air France-KLM, warnte im Sommer. Leer sind die Flüge keineswegs, nur so schlecht gebucht, dass man sie bündeln könnte, sagt Lufthansa nun. Aber da hatte der Begriff von den „Ghost Flights“ in Europas Luftfahrtbranche schon die Runde gemacht. Die wurden in diversen Netz-Meldungen dann auch gleich für „empty“ erklärt. Unter anderem in einer zur Lufthansa-Tochter Brussels Airlines, die Greta Thunberg auf Twitter mit dem ironischen Kommentar verlinkte, dass sich „die EU ja ganz sicher im Klima-Notfallmodus befindet“, wenn sie derlei sinnlose Emissionen durch Slot-Regeln erzwinge.

Einen Verbündeten fand die EU-Kommission jedoch. Die Billigflieger wittern die Chance, den großen Netzwerk-Fluggesellschaften durch Niedriglöhne und weniger Service Marktanteile abzugraben. Ryanair und Wizz Air warfen Lufthansa vor, dass der Konzern wertvolle Slots blockieren wolle. Um leere Flüge zu vermeiden, könne Lufthansa ja einfach billigere Tickets verkaufen, höhnte Ryanair.

Der Wunsch nach einem politischen Signal - das nicht kommt

Auch die europäischen Flughäfen wollen die Nutzungspflicht keinesfalls gesenkt sehen. Ob Flüge durchgeführt würden, so die Kommission, sei eine kommerzielle Entscheidung der Airlines. Vielleicht müsse sich die eine oder andere erst daran gewöhnen, mit einer kleineren Flotte auch die Slot-Anzahl zu reduzieren. Zudem gebe es die Möglichkeit, coronabedingte Ausnahmen zu beantragen. Die seien aber viel zu kompliziert, moniert Lufthansa und wünscht sich ein „politisches Signal“ der EU.

Ein solches Signal wird aus Brüssel aber wohl nicht kommen. Von hundert unnötigen Flügen pro Tag sprach ein Lufthansa-Sprecher zuletzt. Ob es wirklich so viele fast leere Flüge sind oder es „keinerlei Anzeichen“ für solch eine hohe Zahl gibt, wie die EU betont, lässt sich schwer nachprüfen. Festhalten kann man allerdings, dass es keine Gewinner in der wilden Debatte gibt: Da andere Airlines lieber schwiegen, ist der Aufreger „Leerflüge“ seit Wochen mit Lufthansa- Flugzeugen bebildert.

Politisch ist der Kranich allem Anschein nach abgeblitzt. Die EU-Kommission wiederum ist mit Grundsätzlichem konfrontiert: Die technische Revolution im Luftverkehr ist noch Jahrzehnte entfernt. Jede Reduktion von CO2-Emissionen kann bis dahin nur durch viele Einzelmaßnahmen funktionieren. Dazu gehören neue Flugzeug-Generationen, neue Abläufe am Boden und in der Luft – oder schlicht weniger Flüge. Schlecht ausgelastete Flüge ordnungspolitisch zu erzwingen, um an anderer Stelle mit großem Aufwand ein wenig effizienter zu werden, konterkariert die Botschaft, dass der Luftverkehr dringend seinen Teil zum Klimaschutz beitragen muss.

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