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Politik: Lynchjustiz in Neapel

Mob geht mit Molotow-Cocktails auf Roma los / Regierung will „kriminelle Ausländer“ abschieben

„Zigeuner klauen Kinder.“ Das ist ein fest stehendes Vorurteil in Italien. Deswegen werden, wenn Kinder verschwinden, meist als erstes die Roma-Camps in der Gegend gefilzt. Konkrete Entführungen indes konnte den „Nomadi“ keiner nachweisen – jedenfalls bis zum vergangenen Samstag nicht.

Da drang eine 16-jährige Roma offenbar in eine Wohnung am Rand von Neapel ein und versuchte, ein sechs Monate altes Baby zu rauben. Die Mutter verhinderte die Tat; die junge Frau wurde verhaftet. Danach explodierte die Gewalt. Anwohner zogen mit Prügeln und Stangen zu den nahen Slum- Siedlungen der Roma, rissen die Zäune nieder, schleuderten Molotow-Cocktails auf die Baracken, umzingelten die Bewohner, bewarfen sie mit Steinen und schrieen: „Haut ab, ihr stinkenden Zigeuner.“

Ein Rumäne, den eine „Streife“ von etwa zwanzig Neapolitanern für einen Roma hielt, wurde auf der Straße niedergestochen. Die Brände in den Camps nahmen bis Mittwochnachmittag zu; Italiener riefen der Feuerwehr zu: „Löscht ihr nur! Wir zünden danach wieder an.“

Der Unmut über die Roma hat in den vergangenen Monaten stetig zugenommen, genauso wie die Zahl der „Nomadi“ selbst: Seit dem EU-Beitritt Rumäniens reisen immer mehr mit dem Linienbus nach Italien und lassen sich nieder, wo gerade Platz ist. Einzelne, Aufsehen erregende Verbrechen – wie der Mord an einer Römerin im vergangenen Herbst –, sowie eine mehr gefühlte als statistisch verifizierbare Zunahme von Diebstählen und Einbrüchen haben dazu geführt, dass „Roma“ und „Kriminalität“ in eins gesetzt werden. Am 30. Oktober war eine 47-jährige Italienerin, die Frau eines Marineoffiziers, vergewaltigt und so schwer misshandelt worden, dass sie später ihren Verletzungen erlag. Dringend tatverdächtig war ein 24-jähriger Roma. Für politische Verstimmung zwischen Rom und Bukarest sorgte anschließend ein Dekret, demzufolge straffällig gewordene EU-Ausländer sofort aus Italien abgeschoben werden können. Ein umstrittenes Dekret, da sich EU-Bürger in der Gemeinschaft eigentlich frei bewegen dürfen. Rumäniens Ministerpräsident Calin Popescu Tariceanu kritisierte denn auch die „Welle der Fremdenfeindlichkeit in Italien“.

Vor den Parlamentswahlen im April spielte deshalb in Italien „Sicherheit“ eine zentrale Rolle. Der rechtskonservative Gianni Alemanno jagte den Linken den römischen Bürgermeisterposten nicht zuletzt mit dem Versprechen ab, die geschätzten 14- bis 20 000 Roma aus ihren zumeist illegalen Camps in der Stadt zu vertreiben. Einige weitere rechte Politiker um Silvio Berlusconi versprachen die Massenausweisung der Roma nach Rumänien.

Die Turiner Tageszeitung „La Stampa“ vermutet gar einen direkten Zusammenhang zwischen dem Machtwechsel in Rom und der Zunahme ausländerfeindlicher Taten: „Das Mitte-Rechts-Bündnis musste nur die Wahl gewinnen, und schon hat sich, wie auf einen Schlag, das Klima im Land gewandelt.“ Der Politikwissenschaftler Luca Ricolfi schiebt die Schuld einer „untätigen Verwaltung“ zu.

Die Regierung Berlusconi will nun als erstes ein „Sicherheitspaket“ auf den Weg bringen, das sich fast ausschließlich gegen „kriminelle Ausländer“ richtet.

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