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Politik: Macht und Ohnmacht

Die Warlords haben das Land im Griff. Der Westen muss sich entscheiden: Will er sie bekämpfen oder einbinden?

WIE GEHT ES WEITER IN AFGHANISTAN?

Ismail Khan hat fürs Erste wohl Ruhe. Der selbst ernannte Emir von Herat wird weiter unbehelligt die Bevölkerung in Westafghanistan terrorisieren können. Und er wird weiter Zölle und Steuern erheben, ohne der Zentralregierung davon etwas abzugeben. Denn: Die Stationierung deutscher Soldaten und Aufbauhelfer in Herat wird immer unwahrscheinlicher. Berlin will es lieber nicht mit dem Kriegsherrn aufnehmen und hält nach einem „sichereren“ Ort Ausschau. Menschenrechtsgruppen sehen indes in der Entmachtung von Khan und anderen Provinzfürsten den einzigen Weg zur Demokratisierung Afghanistans. „Diese Männer haben das Gebiet außerhalb Kabuls praktisch in Geiselhaft genommen“, berichtet „Human Rights Watch“.

Über Khan heißt es in einem früheren Bericht, seine Milizen verhafteten und folterten willkürlich Oppositionelle, die Situation der Frauen in seinem Einflussbereich sei ähnlich wie zur Zeit der Talibanherrschaft. „Herat ist die schlimmste Provinz für Frauen“, so die Einschätzung. In anderen Regionen sieht es nicht viel besser aus. Das Fazit der Menschenrechtler: Besonders die USA und Großbritannien, die in Afghanistan noch immer Krieg gegen Restverbände der Taliban und Al Qaida führen, müssten sich entscheiden, „ob sie auf der Seite des afghanischen Präsidenten Karsai oder auf der Seite der Warlords stehen“.

Tatsache ist, dass die USA sich im Krieg gegen die Taliban mit einigen Warlords verbündeten und deren Milizen aufrüsteten. Sie sollen bis zu 100 000 Männer unter Waffen haben. Ein Gegengewicht ist nicht in Sicht, denn die nationale Armee besteht bisher nur auf dem Papier. Washington will nun zumindest mit kleinen Aufbau-Trupps in den Provinzen Präsenz zeigen und hofft auf Unterstützung. Der deutsche Verteidigungsminister ist bereits gewonnen, er will den Einsatz der Bundeswehr über Kabul hinaus ausweiten – wenn auch nicht auf Herat, sondern auf Kundus im Nordosten des Landes.

Berlin sieht sich auch als Gastgeber der beiden Afghanistan-Friedenskonferenzen auf dem Petersberg bei Bonn in der Pflicht. In der Opposition und auch bei Teilen der Grünen regt sich dennoch Widerstand gegen die Pläne von Verteidigungsminister Struck (SPD). Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele warnte in der „Neuen Presse“ aus Hannover vor einer „Vietnamisierung Afghanistans“ und forderte Struck auf, den Einsatz zu überdenken. Ähnlich äußerte sich Ströbeles Fraktionskollege Winfried Hermann im Deutschlandfunk.

CSU-Verteidigungsexperte Christian Schmidt sagte dem Tagesspiegel, Struck wolle mit seiner Initiative nur die USA besänftigen, die auf ein stärkeres deutsches Engagement in Afghanistan setzten. „Wenn wir, wie jetzt geplant, kleine Trupps außerhalb Kabuls stationieren, können wir am Machtgefüge nichts ändern.“ Für die Zurückdrängung der Provinzfürsten wären seiner Einschätzung nach mehrere tausend Mann notwendig: „Damit würden wir uns übernehmen.“ Karsai müsse sich mit den Provinzfürsten arrangieren, schlägt Schmidt vor. „Das wäre konsequent, in Karsais Kabinett sitzen schließlich auch ehemalige Kriegsherren.“ Eine solche „Flurbereinigung“, glaubt Schmidt, könne das Land stabilisieren und die Gefahr bannen, dass Taliban und Al Qaida wieder Fuß fassten.

„Es würde bedeuten, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben“, sagt hingegen die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Christa Nickels (Grüne). Sie ist strikt dagegen, den Warlords mehr Einfluss zuzugestehen. Die internationale Gemeinschaft könne Karsai zudem bei der Stabilisierung des Landes nicht allein lassen. „Wir sind hier klar in der Pflicht. Und wir dürfen die Frage der Menschenrechte nicht einfach an die Seite schieben“, sagte Nickels dem Tagesspiegel. Auch sie hält eine völlige Entmachtung der Kriegsherren für illusorisch. Mit dem Konzept der regionalen Aufbauteams, an dem sich Berlin nun beteiligen wolle, könnten jedoch Strukturen in den Provinzen gestärkt werden, die auf Zusammenarbeit mit der Regierung angelegt seien. „Das ist besser als nichts. Wir müssen pragmatisch sein, mit der Philosophie alles oder nichts kommen wir dagegen nicht weiter.“

Grundsätzlich plädiert Nickels indes dafür, die schon bestehende Isaf-Truppe auf mindestens 10 000 Soldaten aufzustocken und sie in ganz Afghanistan zu stationieren. „Die Ereignisse vom 11. September haben gezeigt, dass das Land, wenn man es sich selbst überlässt, es zum Flugzeugträger des Terrors wird“, bergründet sie.

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