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Macht: Von Adenauer bis Beust: Eine Kulturgeschichte des Rücktritts

Wie es Politiker machen, machen sie es verkehrt. Entweder sie gehen zu früh, oder sie gehen zu spät. Entweder sie klammern sich an ihr Amt oder fliehen vor der Verantwortung. Häufig müssen Parteifreunde nachhelfen. 

Immerhin hat sich der Christdemokrat Ole von Beust zum Abschied noch als bibelfest erwiesen. „Alles hat seine Zeit“, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister. Zwar heißt es beim Prediger Salomo im lutherischen Original „ein jegliches hat seine Zeit“, aber wer will in der Stunde des Abschieds beckmesserisch sein. Beust geht, doch die Kritik ist selbst in den eigenen Reihen nicht zu überhören. Wenn er für seine Bildungspolitik gekämpft und nach der Niederlage bei der Volksabstimmung die politische Verantwortung übernommen hätte, wäre seine Entscheidung wohl anerkennend kommentiert worden. Stattdessen schallt ihm nun das Wort „Amtsflüchter“ entgegen, weggelaufen sei Beust, heißt es, er lasse die Stadt, seine Partei und die schwarz-grüne Koalition im Stich. Fraktionschef Volker Kauder sprach offen aus, was viele in der Union denken: „Eine übernommene Aufgabe bringt man zu Ende.“

Doch das Problem in der Politik ist, dass die Aufgabe im Grunde nie zu Ende ist, es sei denn, eine Wahl wurde verloren. Immer gibt es Projekte, die nicht abgeschlossen sind, immer gibt es neue Reformen, immer neue Herausforderungen, immer steht bereits der nächste Wahlkampf vor der Tür. Nie gibt es deshalb den richtigen Zeitpunkt für einen Stabwechsel. Trotzdem kann es aus Sicht der Parteien sinnvoll sein, das Spitzenpersonal auszuwechseln. Sei es, dass ein Amtsinhaber die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hat; sei es, dass er sich im politischen Alltag verschlissen hat; sei es, dass ein Minister Fehlentscheidungen verantworten muss oder in Skandale verstrickt ist. Oder sei es einfach so, dass es manchmal einfach die Wahlchancen erhöht, wenn die Parteien im Wahlkampf ein neues und unverbrauchtes Gesicht präsentieren.

Es gab schon manchen Amtsflüchter

Somit stellt sich die Frage: Wann tritt ein Politiker zurück und vor allem wie tritt er zurück, wenn seine Zeit gekommen ist? Den richtigen Zeitpunkt zu finden, ist gar nicht so einfach. Aus Sicht der Medienöffentlichkeit ist er vermutlich immer falsch. Denn da gibt es nur Schwarz und Weiß, kaum Grautöne. Entweder tritt ein Politiker also zu früh zurück, oder sein Entschluss kommt zu spät. Entweder er flieht aus der Verantwortung, oder er hat sich zu lange an sein Amt geklammert.

Ole von Beust wird wohl als Politiker in die Geschichte eingehen, der zu früh gegangen ist. Bei Hessens Ministerpräsident Roland Koch, kommt es auf die Perspektive an. Auch wenn in beiden Fällen die Nachfolger nun genügend Zeit haben, um sich bis zur nächsten Wahl zu profilieren. Als Klassiker unter den Amtsflüchtern muss wohl Oskar Lafontaine gelten. Das Licht im Bonner Finanzministerium hat er am 16. März 1999 noch ausgemacht, dann hat sich der Sozialdemokrat von seinem Fahrer nach Saarbrücken fahren lassen und war für niemanden mehr zu sprechen. Zwei Tage später trat er kurz mit seinem Sohn auf der Schulter an die Gartenpforte, ließ sich aber nur einen kurzen Satz über das „schlechte Mannschaftsspiel" in der rot-grünen Bundesregierung entlocken. Auch der Rücktritt von Horst Köhler als Bundespräsident gehört wohl zu jenen, die eine überzeugende Erklärung schuldig blieben.

Politiker verpassen immer den richtigen Zeitpunkt

Wesentlich häufiger kommt es allerdings vor, dass Politiker den richtigen Zeitpunkt für den Rückzug verpassen, sich trotz Affären an das Amt klammern und von einem Generationenwechsel nichts wissen wollen. Die Liste der Politiker, die schon in die Jahre gekommen waren, aber ihren Nachfolgern nicht Platz machen wollten, ist lang. Konrad Adenauer ließ sich noch im Alter von 87 Jahren auf einen Machtkampf mit der CDU/CSU-Fraktion ein, versuchte Ludwig Erhard als Nachfolger zu verhindern, verlor eine Abstimmung und ging im Zorn. Johannes Rau räumte seinen Stuhl als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen 1998 nach 20 Amtsjahren für Wolfgang Clement erst, als ihm die SPD das Amt des Bundespräsidenten versprochen hatte. Kurt Biedenkopf schließlich musste von seinen Parteifreunden als Ministerpräsident von Sachsen regelrecht aus dem Amt gemobbt werden. Erst als öffentlich wurde, dass der 71-Jährige an der IKEA-Kasse um einen 15-prozentigen Rabatt gefeilscht hatte und das ganze Land über ihn spottete, gab er im Januar 2002 sein Amt auf. Seinen designierten Nachfolger Georg Milbradt hatte er allerdings schon zuvor als unfähig abqualifiziert.

Biedenkopfs unrühmlicher Abgang galt vielen Journalisten als ein Lehrstück über die Unfähigkeit großer Politiker, zum richtigen Zeitpunkt von der Bühne abzutreten. In diese Reihe wird man auch Edmund Stoiber, Erwin Teufel, Dieter Althaus oder Eberhard Diepgen aufnehmen müssen. Heide Simonis wiederum kapierte 2005 erst nach dem vierten Wahlgang, dass sie keine Mehrheit mehr hatte und ihre Zeit als Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein abgelaufen war.

Insofern könnte man sagen, dass Roland Koch es richtig gemacht hat. Still und leise hat er seine Nachfolge geregelt und schließlich reibungslos den Machtwechsel organisiert. Aber trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack. Es mag sein, dass er bei der nächsten Landtagswahl keine Chance mehr gehabt hätte. Trotzdem halten viele Parteifreunde Koch für ein großes politisches Talent, das sich zwar nach elf Amtsjahren, aber trotzdem mit erst 52 Jahren viel zu früh aus der Politik zurückzieht.

Ähnlich wie Koch hat es vor acht Jahren auch Manfred Stolpe in Brandenburg gemacht. Erst als der Ministerpräsident sich mit seinem Nachfolger Matthias Platzeck einig war, hatte er zum Parteitag geladen und seine Genossen vor vollendete Tatsachen gestellt. Wenige Monate später jedoch hatte Stolpe seinen Abschied aus der Politik schon gereut und so drängte er ins Bundeskabinett, wurde 2002 im Alter von 64 Jahren noch Bundesverkehrsminister. Glücklich war diese Entscheidung allerdings nicht. Es war nicht zu übersehen, dass Stolpe den Zenit seines Wirkens bereits überschritten hatte.

Das Phänomen, dass Ministerpräsidenten scheinbar in der Blüte ihrer Jahre zur Pressekonferenz laden, über ihre Amtsmüdigkeit reden, "Auf Wiedersehen" sagen und ihren Nachfolger präsentieren, ist relativ neu. Zumal offenbar derzeit vor allem bürgerliche Politiker das schöne Leben jenseits von Parteitagen und Plenarsitzungen entdecken und noch mal was anderes machen wollen.

Lange war es vielmehr so, dass die Nachfolger mit den Füßen scharrten, aber der Alte nicht gehen wollte. Und während die Journalisten schon über den ewigen Kronprinzen spotteten, sickerten nach und nach eher unangenehme Details aus der Amtsführung an die Öffentlichkeit. Gesponserte Reisen waren in diesem Zusammenhang sehr beliebt oder auch falsch abgerechnete Bonusmeilen. Die ehemaligen Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen Lothar Späth (CDU), Gerhard Glogowski (SPD) und Max Streibl (CSU) werden wissen, wovon die Rede ist. Nur Wolfgang Schäuble hat sich nicht getraut, vor der Bundestagswahl 1998 gegen einen sichtlich müden Bundeskanzler Helmut Kohl zu intrigieren und so musste der Kronprinz schließlich an der Seite seines großen Vorbildes eine herbe Wahlniederlage erleiden und seine Karrierepläne beerdigen.

Manchmal müssen Parteifreunde halt nachhelfen

Manchmal müssen Parteifreunde halt etwas nachhelfen, damit die Amtsinhaber kapieren, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Das ist unappetitlich, sorgt für schlechte Schlagzeilen, aber womöglich ist dies in dem Geschäft, das von Politjunkies dominiert wird, manchmal unvermeidlich.

Denn kein Rücktritt ist vermutlich auch keine Lösung. Das zeigt sich derzeit in Sachsen-Anhalt. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hat zwar seinen Rückzug aus der Politik schon angekündigt, er will aber noch bis zum Ende der Legislaturperiode im März kommenden Jahres regieren. Eigentlich hätte sich Böhmer längst als Nummer sieben in die aktuelle Liste der Rücktritte von CDU-Ministerpräsidenten einreihen müssen, um seinem designierten Nachfolger Platz zu machen. Aber Böhmer will nicht, er will mit jenem protestantischem Pflichtgefühl, das Volker Kauder dieser Tage für Ole von Beust eingeklagt hat, bis zum letzten Tag regieren. Dass die Spielregeln des Gewerbes andere sind, interessiert ihn nicht. Falsch abgerechnete Dienstreisen ließen sich bei ihm offenbar auch nicht finden.

So wird Reiner Haseloff wohl auf seine ganz eigene Art in die deutsche Parteiengeschichte eingehen. Er wird der erste Ministerpräsidentenkandidat einer Regierungspartei sein, der im Wahlkampf ohne Amtsbonus ins Rennen geht. Wenn es gut geht und die CDU die Landtagswahl gewinnt, wird er als Politiker mit Anstand gefeiert werden. Wenn das Experiment hingegen schief geht und Haseloff scheitert, dann werden ihn viele Journalisten als Deppen verspotten, der sich nicht getraut hat, rechtzeitig gegen seinen politischen Ziehsohn aufzubegehren.

Brandt kam seinem Sturz zuvor

Wie man es macht, macht man es also verkehrt. Selten jedoch hatten eine Affäre und der darauf folgende Rücktritt für einen Politiker sein Gutes. Bei Willy Brandt war dies anders. Er trat am 6. Mai 1974 als Bundeskanzler zurück, weil es der DDR-Geheimdienst geschafft hatte, einen Spion in seinem unmittelbaren Umfeld zu platzieren. Rückblickend war dies ein Abschied, der ihn das Gesicht wahren und eine zweite Karriere als weltweit geachteter Elder-Statesman beginnen lies. Denn tatsächlich war Brandt zwar ein charismatischer Politiker, aber ein schlechter Bundeskanzler, der die Regierungsgeschäfte nicht im Griff hatte. Längst hatten Parteifreunde damit begonnen, an seinem Stuhl zu sägen. Wäre nicht Gunter Guillaume dazwischen gekommen, hätten Herbert Wehner und Helmut Schmidt ihn vermutlich wenige Zeit später aus dem Amt gedrängt. Mit dem kolportierten Zitat „Der Herr badet gerne lau“ hatte Wehner ihn in der Öffentlichkeit bereits der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Liste mit seinen Liebschaften war schon erstellt worden. Nicht von der Stasi, sondern von den eigenen Leuten.

Allerdings brauchte Brandt noch keine Pressekonferenz und keinen Medienauflauf, um seinen Rücktritt zu erklären. Er formulierte in aller Ruhe ein Rücktrittsschreiben, übernahm darin die Verantwortung "für Fahrlässigkeiten" im Zusammenhang mit der Guillaume-Affäre und übermittelte dem Bundespräsidenten seinen Entschluss per Fernschreiben. Nicht zur Primetime und auf allen Kanälen wurde schließlich der Rücktritt von Willy Brandt vermeldet, sondern erstmals kurz nach Mitternacht in den Radionachrichten des Norddeutschen Rundfunks.

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