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Politik: Machtkampf vor Gericht

Erdogans Reformpläne stehen auf der Kippe

Istanbul - In der Türkei wird an diesem Montag ein neuer Höhepunkt des Machtkampfes zwischen der religiös-konservativer Regierung und ihren kemalistischen Gegnern erwartet. Das mehrheitlich mit Gegnern von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan besetzte Verfassungsgericht in Ankara verkündet voraussichtlich seine Entscheidung über ein Paket von Reformen, mit dem Erdogan unter anderem die Justiz neu ordnen will. Beobachter in Ankara erwarten, dass die Verfassungsrichter zumindest einige Teile des Reformpakets für nichtig erklären werden. Von der Entscheidung hängt ab, ob ein für September geplantes Referendum über das Paket stattfinden kann – und möglicherweise auch, ob es in der Türkei vorgezogene Neuwahlen gibt.

Das vom Parlament verabschiedete Paket sieht viele Verfassungsänderungen vor, die von einer gesellschaftlichen Mehrheit unterstützt werden. Darunter sind die Aufhebung der Straffreiheit für die Putschgeneräle von 1980 sowie eine Stärkung von Frauenrechten.

Heftig umstritten sind aber zwei Punkte: ein Umbau des Verfassungsgerichts selbst sowie eine Neuordnung des sogenannten Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte, eines Gremiums zur Besetzung von Posten in der Justiz. Beide Institutionen sind Hochburgen der kemalistischen Eliten, die Erdogan und die von ihm angeführte anatolische Mittelschicht als Emporkömmlinge und islamistische Gefahr für die Republik betrachten. Die Regierung argumentiert, eine Reform beider Gremien sei nötig, um die Türkei bereit für die EU-Mitgliedschaft zu machen. Kritiker sagen, Erdogan wolle die Justiz seiner Kontrolle unterwerfen.

Theoretisch darf das Verfassungsgericht die Parlamentsbeschlüsse über Verfassungsänderungen nur auf Formfehler hin überprüfen, nicht aber deren Inhalt. Vor zwei Jahren hatte sich das Gericht aber schon einmal über diese Grenze hinweggesetzt, um die Kopftuchfreiheit an türkischen Universitäten zu verhindern. Ein ähnliches Vorgehen befürchten Erdogans Anhänger auch jetzt wieder.

Einigen Medienberichten zufolge plant die Erdogan-Partei AKP vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Jahr, falls die Richter das Paket kippen: Die AKP wolle sich dann als Reformkraft präsentieren, die von ihren Gegnern mit undemokratischen Mitteln behindert wird. Diese Taktik brachte Erdogan nach einer Putschdrohung der Militärs im Jahr 2007 einen Erdrutschsieg ein. Allerdings ist nicht sicher, ob Erdogan angesichts aktuell schwacher Umfrageergebnisse für die AKP auch diesmal schnelle Neuwahlen wagen würde. Susanne Güsten

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