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Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.

© dpa/ Frank Rumpenhorst

Macrons Appell: Europa ist mehr als ein "Projekt"

Macrons Appell für einen "Neubeginn in Europa" geht in die richtige Richtung. Es gibt aber auch kritikwürdige Punkte im Vorstoß des Präsidenten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Eines muss man Emmanuel Macron mit seinem leidenschaftlichen Appell für einen Neubeginn in der EU lassen: Dem französischen Präsidenten ist es gelungen, den Blick der Öffentlichkeit in Deutschland auf die Europawahl im Mai zu richten. „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr“, lautet Macrons Warnung. Für manchen mag das nach zu viel Europa-Pathos klingen. Aber das ändert nichts daran, dass laut Umfragen jene Fraktion im Europaparlament, welcher die italienische Lega, der französische „Rassemblement National“ und die österreichische FPÖ angehören, von der kleinsten zur viertstärksten Fraktion werden könnte.

Weil der Nationalismus in der EU weiter auf dem Vormarsch ist, kommt der Weckruf Macrons vor der Europawahl gerade recht. Auch wenn die Zustimmung der Menschen in Deutschland zur Gemeinschaft der (noch) 28 Staaten im EU-Vergleich relativ hoch ist, dürfte auch hierzulande die Europawahl alles andere als ein Selbstläufer werden.

Europawahl gilt als wichtige Bewährungsprobe für Macron

Natürlich hat Macrons Vorstoß auch innenpolitische Gründe. Während das Ende der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel absehbar ist, muss sich Macron weiterhin noch in seiner Heimat bewähren. In der Nationalversammlung in Paris verfügt Macrons Partei „La République en Marche“ zwar über eine erdrückende Mehrheit. Das ändert aber nichts daran, dass die Europawahl für Macron den ersten größeren politischen Test seit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von 2017 darstellt.

Mit seinem Appell für einen europäischen Neuanfang versucht Frankreichs Präsident nun erneut das Erfolgsrezept anzuwenden, das ihm 2017 den Erfolg über die Rechtsextreme Marine Le Pen sicherte: Frankreichs Wähler zogen damals den Pro-Europäer Macron der Nationalistin Le Pen vor. Für sein nun wiederbelebtes Credo, dass entgegen den Sirenengesängen der Populisten der Rückzug aus Europa ein Holzweg ist, gibt es zahlreiche Belege: Klimawandel, Besteuerung der Internetkonzerne, Migration – für all diese Herausforderungen ist der nationale Bezugsrahmen zu klein geworden. Nur vereint können die Europäer die großen Zukunftsaufgaben bewältigen.

EU muss im Digitalbereich aufholen

Was spricht also beispielsweise gegen Macrons Vorschlag, den USA bei der Forschung zur künstlichen Intelligenz Paroli zu bieten und dabei den neuen Europäischen Innovationsrat mit einem großzügigen Budget auszustatten? Es ist eine Binsenweisheit, dass die digitale Entwicklung in der EU den großen Internetkonzernen wie Google hoffnungslos hinterherhinkt. Daran haben bislang auch bestehende Lobbyorganisationen wie etwa die regelmäßigen Industriellen-Treffen des „European Round Table of Industrialists“ nichts geändert.

Dabei gibt es durchaus auch etliche Punkte im Europa-Appell aus dem Elysée-Palast, die kritikwürdig sind. Das fängt schon einmal mit der Sprache an. Macron bezeichnet die EU mehrfach in dem Gastbeitrag als ein „Projekt“. Projekte – das kennt man aus dem Wirtschaftsleben – können allerdings auch wieder ad acta gelegt werden. Wer die EU lediglich als „Projekt“ begreift, übergeht dabei, dass die Gemeinschaft inzwischen so fest verwoben ist, dass ihr Bestand – trotz aller populistischen Bedrohungen – als gesichert gelten darf.

Die EU braucht keine Agentur zum Schutz gegen Wahlmanipulationen

Fraglich ist auch, ob es unbedingt einer europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie bedarf, wie sie Frankreichs Staatschef zum Schutz vor Wahlmanipulationen vorschlägt. Schon jetzt hat die EU-Kommission die Aufgabe übernommen, Internet-Giganten wie Google oder Facebook auf die Finger zu schauen, wenn es um die Verbreitung von fragwürdigen Online-Wahlkampagnen geht. Eine zusätzliche Agentur und eine Aufblähung des technokratischen Überbaus braucht die EU aber nicht.

Aber unterm Strich ist es verdienstvoll, wenn Macron in seinem Gastbeitrag für Tageszeitungen in den 28 EU-Ländern etwas herstellt, was zwar immer wieder beschworen, aber selten erreicht wird: eine europäische Öffentlichkeit und eine europaweite Debatte.

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