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Politik: Männlich, westlich, listig: Ruprecht Polenz, der neue Generalsekretär, ist kein Gegengewicht zu Angela Merkel. Er ist ihre erste Wahl

Ein Liberaler soll er sein. "Na, das ist ja auch ein Signal", sagt ein Unionsmann.

Von Robert Birnbaum

Ein Liberaler soll er sein. "Na, das ist ja auch ein Signal", sagt ein Unionsmann. Und was noch? "Tja ...", sagt der Gesprächspartner gedehnt. Das ist die normale Reaktion auf die Frage, wer denn eigentlich Ruprecht Polenz sei. Der Mann, den sich die designierte CDU-Chefin Angela Merkel als Generalsekretär ausgeguckt hat, ist auch in der eigenen Partei und in der Fraktion eher ein unbeschriebenes Blatt. Was, genau betrachtet, erstaunlich ist. Denn Polenz sitzt zwar erst seit 1994 als Abgeordneter im Bundestag, aber seine Positionen hätten jemanden mit ausgeprägterem Hang zur Selbstdarstellung zum ständigen Gast aller Talkshows der Republik gemacht.

Ihn nicht. "Ich bin nicht pressegeil", hat er vor kurzem verkündet. Der Mann sei kein Dampfplauderer, sagt auch der Fraktionsgeschäftsführer Hans-Peter Repnik. Ausgesprochen angenehm im Umgang, sagt Repnik dann noch; einer, der sein Urteil abwägt und dann dazu steht. Was noch? Tja.

Die Biografie also. Ruprecht Polenz, 53 Jahre alt, geboren in Denkwitz bei Bautzen, katholisch, verheiratet, vier Kinder, Schulbesuch im Westen, Leutnant der Reserve, Jurastudium in Münster, seit 1984 Geschäftsführer der dortigen Industrie- und Handelskammer. RCDS, Junge Union, Mitglied des Rats der Stadt Münster. Immer wieder Münster: tiefstes Westfalen, kirchentreu, schwarz wie die Nacht. Eine Universitätsstadt, in der Studenten der schlagenden Verbindungen in vollem Wichs bis heute kein ungewöhnlicher Anblick sind. Einen Allwetter-Zoo haben sie auch dort. Und Jürgen W. Möllemann. Der ist der prominenteste Politiker der Stadt. Oder muss man sagen: War?

Bis hierhin entsprechen die dürren biografischen Daten im Bundestagshandbuch auf fast ideale Weise dem Anforderungsprofil, das während der vergangenen Wochen in der CDU immer mal wieder für den Posten genannt wurde. "Frau, liberal, ostdeutsch, protestantisch" - das ist in Kurzform die neue Chefin. "Mann, konservativ, westdeutsch, katholisch" wäre also das passende Gegenstück.

Nun haftete dieser Argumentation von Anfang an ein Makel an: So denken zwar viele, die Angela Merkel nicht über den Weg trauen. Zum Beispiel dieser und jener in der CSU, der der neuen Spitzenfrau gerne einen ausgewiesenen Rechten zur Seite gestellt hätte. Nur: So denkt Angela Merkel nicht.

Außerdem passt der Mann nicht wirklich zu seiner offiziellen Biografie. "Liberaler Flügel", heißt es bei der Landes-CDU in Düsseldorf. Er ist kein Parteigänger des Landeschefs Jürgen Rüttgers, den Merkel nicht leiden kann, aber auch kein Rüttgers-Gegner. In der Staatsbürgerschafts-Debatte hat er sich dafür eingesetzt, dass hier geborene Ausländerkinder einen deutschen Pass bekommen. Dem CSU-Landesgruppenchef Michael Glos ist er deshalb als einer in Erinnerung geblieben, der gegen die Doppelpass- Kampagne von Roland Koch in Hessen Front gemacht hat. Glos übrigens, gefragt, ob Merkel sich vorher mit dem Schwesterpartei- Chef Edmund Stoiber beraten habe, verneinte. Sie habe ihn so wenig gefragt wie Theo Waigel die CDU um Zustimmung gebeten habe, als er Bernd Protzner zum CSU-General erwählte. Das Beispiel enthält eine kleine Bosheit für Kenner, weil Protzner auch ein unbekannter Abgeordneter war und sich im Nachhinein erwies, dass er das besser geblieben wäre. Ansonsten fallen die Kommentare aus München so unterkühlt aus wie bei der Personalie Merkel: Man werde halt mit ihm zurechtkommen müssen.

Nun muss man zu den abweichenden Meinungen des Ruprecht Polenz wissen, dass er in der Fraktion vor allem als Außenpolitiker tätig ist, Spezialgebiet islamische Länder. Den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, gegen den Stoiber einen Kulturkampf führt, befürwortet der Münsteraner ebenso wie er die Iran-Politik der alten Bundesregierung falsch findet: Klaus Kinkels "Kritischer Dialog", sagte Polenz neulich in einem Interview, sei ein Flop gewesen, weil man politische Fragen wie die Menschenrechte stärker mit wirtschaftlichen hätte verknüpfen müssen. Im Januar war er in Teheran, mit dem Chef des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose. Kurz darauf reiste der Deutsche Helmut Hofer aus.

Wie Merkel überhaupt auf den Mann gekommen ist? Es gab da mancherlei Empfehlungen; als zum Beispiel Wolfgang Schäuble 1998 auf Suche nach einem General war, hat er sich Polenz schon näher angeguckt. Dass der in der Katastrophenwahl 1998 sein Direktmandat verteidigt hat -, und das mit dem Rekordergebnis von 44,2 Prozent - war ebenfalls eine Empfehlung. Dass er gerade erst bei der Wahl zum Fraktionsvorstand in Berlin durchgefallen ist, hat ihm offenkundig nicht geschadet.

Vielleicht ist die künftige CDU-Chefin ja auch einfach durchs Internet gesurft. Die Info-Seiten des Abgeordneten Polenz sind nämlich sehenswert. "Terminplan" steht da zum Beispiel; und wer darauf klickt, erhält den Wochen-Arbeitsplan des Parlamentariers. Hinter der Rubrik "Vorurteile" verbirgt sich unter Kapitel-Überschriften wie "Die Sache mit dem Geld" oder "Die Sache mit dem leeren Plenum" ein kleiner Grundkurs parlamentarischer Praxis. Polenz mag es nicht auf sich sitzen lassen, dass Abgeordnete überbezahlte Faulenzer seien.

So etwas hat Angela Merkel angezogen: Dass er sich dafür interessiert, was die Basis denkt. Als einen, der für Meinungsbildung von unten nach oben eintritt, hat sie ihn intern gelobt; als einen, der die Regionalkonferenzen für ein taugliches Instrument hält, nicht nur über die künftige Vorsitzende zu reden, sondern auch über Sachpolitik. Als einen auch, der sich mit Wirtschaft auskennt und mit Bildungspolitik. Der in der Spendenaffäre von Anfang an Aufklärung gefordert hat. In Münster hat er die Parteifreunde zur "Fegefeuer-Sitzung" eingeladen: Durch die Vorhölle zur Erneuerung.

Und er ist eben einer, dem die Talkshow nicht das zweite Leben ist. Merkel als Parteichefin ohne weiteres Amt könne einen Teil der Aufgaben, die bisher der Generalsekretär erledigt hat, selbst übernehmen, hat Polenz gerade erst gesagt. Mehr Sekretär als General - das passt in die Mannschaft im Adenauer-Haus, passt zusammen mit dem Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann, dem Merkel vertraut wie kaum einem. Die Probe auf Bescheidenheit hat Polenz jedenfalls bestanden: Als Merkel ihn kürzlich gewissermaßen inoffiziell vorstellte, bei einer Pressekonferenz zur Bundeswehr, hat er so gut wie nichts gesagt, obwohl er den Arbeitskreis der Partei leitet.

Die Probe auf Bissigkeit wird er noch bestehen müssen, im Duell mit den Generalen der anderen Parteien. "Gegen Franz Müntefering wird er die ersten zwei, drei Mal alt aussehen", prophezeit einer, der ihn schon lange kennt. "Aber dann wird er sich sagen: Bürschchen, komm Du mir nach Hause! Der wird daran wachsen." Listig ist Polenz jedenfalls. Die Berufung zum neuen Amt lanciert er in seinem Terminplan im Internet. Für Dienstag, 19 Uhr, steht dort knapp: "Gespräch mit Journalisten."

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