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Politik: Märtyrer gegen die Taliban

In Afghanistan peilt eine neue Sammlungsbewegung einen moderat-islamischen Staat an

Fedayyin-e-sulh – „Märtyrer für den Frieden“ – heißt eine politische Bewegung, die sich in Afghanistan gegründet hat. Das klingt nach islamischem Widerstand und heiligem Krieg, dabei versteht sich die neue Organisation als Gegenbewegung zu den fundamentalistischen Taliban, die dem Land 1995 einen rigiden Islam überstülpten und dort immer noch eine politische und militärische Macht sind. Viele Afghanen sympathisieren mit ihnen aus Enttäuschung über den schleppenden Wiederaufbau und wegen Befürchtungen, Präsident Hamid Karsai und die westliche Anti-Terror-Koalition wollten Afghanistan eine abendländische Werteordnung aufzwingen.

Reformen und Demokratie wollen auch die „Märtyrer für den Frieden“. Dafür kann die Bevölkerung aus ihrer Sicht jedoch nur durch islamische Rhetorik gewonnen werden – mit Koran-Zitaten und den sogenannten Hadith, Episoden aus dem Leben des Propheten. Damit ließen sich sogar Forderungen nach Gleichstellung der Frauen begründen. Anders als die streng nach ethnischem Prinzip organisierten Parteien verstehen sich die „Märtyrer“ auch als Sammlungsbewegung fortschrittlicher Kräfte, die über den rivalisierenden Volksgruppen steht. Gründer der Bewegung ist der 31-jährige Hamid Wardak. Er ist im Westen ausgebildet und Sohn von Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak, der zu den chancenreichsten Anwärtern auf die Nachfolge von Karsai gehört, mit dem die USA als Führungsmacht der Anti-Terror-Koalition immer unzufriedener sind. Der Zentralregierung in Kabul gelang bisher weder eine tragfähige Lösung für ethnische und religiöse Interessenkonflikte, noch konnte sie auf dem flachen Lande dauerhaft Fuß fassen.

Besonders prekär ist die Lage im Süden, wo die wiedererstarkten Taliban traditionell großen Rückhalt haben. 2006 zwangen sie den Einheiten der Anti-Terror-Koalition und der Schutztruppe Isaf schwere Kämpfe auf und eroberten ganze Distrikte zurück. Anfang Februar stürmten sie die Stadt Musa Kala, wo militärische Wiederaufbauteams mehrere kostspielige Großprojekte begonnen hatten. Damit wollten die Nato, die den Oberbefehl über die Isaf hat, und die Regierung in Kabul beweisen, dass sie auch in der extrem problematischen Provinz Helmand die Lage unter Kontrolle haben

Nicht nur Kritiker der Operation am Hindukusch, auch Befürworter ziehen bereits Parallelen zum Debakel der Sowjetunion in Afghanistan. Auch mit zeitweilig 100 000 Soldaten, so der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung, habe Moskau den Widerstand damals nicht brechen können. Mit Bangen sieht die Nato, die – Isaf- und Anti-Terror-Einheiten zusammen – mit fast 50 000 Mann präsent ist, der Schneeschmelze in den Bergen entgegen. Spätestens dann rechnen Experten mit einer Frühjahrsoffensive der Taliban. Die Kämpfe könnten noch schwerer werden als 2006, dem bisher schlimmsten Jahr seit dem offiziellen Ende der Talibanherrschaft im Dezember 2001.

Als Minimalprogramm verordnete US- Präsident George W. Bush, der Mitte Februar vom Kongress fast zehn Milliarden Dollar zusätzlich für den Einsatz am Hindukusch verlangte, der Allianz daher die Rückgewinnung der strategischen Initiative. Wer sie besitzt, diktiert dem Gegner Ort, Zeit und Art der Gefechte. Auch das politische Maximalprogramm fällt inzwischen deutlich kleiner aus. Pläne, mit denen Afghanistan zum Vorbild für die Demokratisierung des gesamten Mittleren Ostens hochgerüstet werden sollte, hat Washington ruhmlos beerdigt. Ein gemäßigt-islamisches Staatsmodell, das auch die „Märtyrer für den Frieden“ und Teile des Parlaments anpeilen, gilt inzwischen als beste Lösung für die Rückkehr Afghanistans zur Normalität.

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