zum Hauptinhalt
Eine neue Ehec-Spur führt nach Magdeburg.

© Reuters

Magdeburg: Mutiertes Ehec-Bakterium in Abfalltonne entdeckt

Auf einem Gurkenrest in einer Mülltonne in Magdeburg haben Experten eine mutierte Form des Ehec-Keims nachgewiesen. Die Tonne gehört einer Familie, die an Ehec erkrankt ist. Die Spur kann aber offenbar nicht weiter verfolgt werden.

In einer Probe aus einem Abfallbehälter in Magdeburg ist das Ehec-Bakterium nachgewiesen worden. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums sagte am Mittwoch in Magdeburg, bei dem gefundenen Bakterium vom Stamm O104:H4 handelte es sich um die mutierte Form, die in Norddeutschland grassiert und die schweren Ehec-Erkrankungen auslösen kann. Das Bakterium sei auf einem Gurkenrest gefunden worden.

Da der Abfall aber zwei Wochen in der Tonne lagerte, ist der Fund nach Informationen des Tagesspiegels nicht relevant. Eine Sprecherin des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sagte dem Tagesspiegel: "Aus diesem Fund können keine Rückschlüsse gezogen werden." Die Experten der Task Force der Bundesregierung sagen, man wisse nicht, wie der Erreger in die Tonne gekommen sei, ob er bereits vorher auf der Gurke war oder erst über den Müll auf die Gurke kam. Deshalb könne man diese Spur nicht weiter verfolgen.

Der Familienvater aus Magdeburg war leicht erkrankt, die Mutter wurde in einem Krankenhaus behandelt und ist inzwischen wieder entlassen. Die Tochter leidet derzeit noch unter der besonders schweren Verlaufsform (HUS), hieß es weiter.

Das Ministerium hat bislang Proben von 147 Lebensmittelprodukten genommen, darunter auch Gurken und Sprossen. Bei 108 Untersuchungen seien keine Ehec-Erreger festgestellt worden. Zudem wurden noch 21 Proben aus dem Umfeld von Ehec-Erkrankten genommen. Auch hier waren alle Befunde bis auf den einen Fund aus der Bio-Tonne negativ.

Die belastete Probe wurde aus dem Bio-Abfall einer am 19. Mai erkrankten dreiköpfigen Familie aus Magdeburg entnommen. Ein Familienmitglied hatte auf den Verzehr von Gurken hingewiesen. Am 30. Mai konnte der Erreger auf dem Reststück einer Gurke nachgewiesen werden. Die Familie habe sich zuvor nicht in Norddeutschland aufgehalten.

Regierung gegen zentrale Seuchenstelle

Die Bundesregierung will trotz massiver Kritik am Ehec-Krisenmanagement vorerst keine zentrale Seuchenbekämpfung schaffen. "Ich habe keinen Anlass, an der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu zweifeln", sagte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) nach einem Sondertreffen der Verbraucher- und Gesundheitsminister in Berlin. Der Darmkeim habe bisher 25 Todesopfer in Deutschland gefordert, die Zahl der Neuinfektionen sinke aber. Dies gebe Anlass für Optimismus, "dass wir bundesweit das Schlimmste hinter uns haben". Finanziell stark belastete Krankenhäuser würden nicht alleingelassen.

Die Infektionswelle sei der schwerste jemals beobachtete Ehec-Ausbruch in Deutschland und Europa, teilten die Minister nach dem Treffen mit. Bisher seien 1959 Fälle registriert, davon 689 mit besonders schwerem Verlauf, sagte Bahr am Mittwochmittag im Bundestag. Es sei nicht auszuschließen, dass es weitere Todesfälle und Neuinfektionen gebe. Daher könne noch keine Entwarnung gegeben werden. Das Robert Koch-Institut habe aber zurückgehende Zahlen von Neuinfektionen festgestellt. Warnungen vor dem Verzehr von rohen Gurken, Tomaten, Salat und Sprossen müssten aufrechterhalten werden.

Die Hinweise auf einen gesperrten Biohof in Niedersachsen als mögliche Quelle der Epidemie verdichteten sich. Eine dritte Mitarbeiterin des Betriebs sei im Mai vermutlich an dem Darmkeim erkrankt gewesen, sagte Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU). Vorher war bereits die Ehec-Infektionen einer Mitarbeiterin des Herstellers von Sprossengemüse bekannt, eine zweite litt an Durchfall. Auch zwei Ehec-Patienten in Cuxhaven wiesen Verbindungen zu dem Hof auf. Dieser hatte meist über Zwischenhändler Sprossen an Restaurants, Hotels und Kantinen geliefert, deren Gäste teils dutzendfach an Ehec erkrankten. In Sprossen-Proben fanden sich aber bisher keine Ehec-Erreger.

Mediziner der Universitätskliniken Greifswald und Bonn haben Hinweise auf die Ursache schwerer Verläufe bei Ehec-Patienten mit dem HU-Syndrom gefunden. Vieles deute darauf hin, dass neben dem Giftstoff Shigatoxin auch die Bildung von Autoantikörpern für schwere Schädigungen verantwortlich sei, sagte Mediziner Andreas Greinacher. Die Autoantikörper erhöhten einen Gerinnungsfaktor, was die Durchblutung von Gehirnregionen und der Nebennieren einschränke.

Bahr wies darauf hin, dass Krankenhäuser mit zahlreichen Ehec-Patienten zusätzliche Vergütungen beantragen könnten. Es gebe keinen Anlass zu Gesetzesänderungen. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands forderte, alle Ehec-Fälle müssten außerhalb des vereinbarten Budgets zum vollen Preis abgerechnet werden.

Kritik an einem Kompetenzwirrwarr zwischen zuständigen Behörden wiesen Bahr und Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) zurück. Es sei eine "typisch deutsche Diskussion", dass nun wieder nach einer neuen Behörde gerufen werde, sagte der Gesundheitsminister. "Es ist nicht die Frage, ob es nur eine Behörde gibt, sondern es kommt auf die Zusammenarbeit der Behörden an." Die Minister von Bund und Ländern vereinbarten "nach dem aktuellen Geschehen eine sorgfältige Evaluierung der Zusammenarbeit" zwischen den Behörden.

Lob von EU-Verbraucherkommissar

Auch EU-Verbraucherkommissar John Dalli, der an dem Krisentreffen in Berlin teilnahm, will nach Ende der Krise über mögliche Lehren sprechen. Die deutschen Anstrengungen gegen Ehec seien aber beeindruckend.

Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) hält es bei Epidemien für "durchaus gerechtfertigt, dass der Bund mehr Zuständigkeiten übernimmt". Das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie forderte einen zentralen Regierungskoordinator für das Krisenmanagement beim Auftreten gefährlicher Erreger.

Niedersachsens Gesundheitsministerin Aygül Özkan (CDU) sagte dagegen: "Eine neue Institution zu schaffen, sorgt nicht dafür, dass die Bürger schneller und besser versorgt werden." Bahr erinnerte daran, dass es eine zentrale Stelle - das Bundesgesundheitsamt - bereits gab. Dessen Zuständigkeiten wurden aber 1994 im Zusammenhang mit HIV-verseuchten Blutpräparaten aufgeteilt.

EU stockt Entschädigung für Bauern auf

Die EU-Kommission will Gemüsebauern wegen der Ehec-Krise deutlich besser entschädigen als bisher geplant. Für Umsatzeinbußen sollen die europäischen Landwirte 210 Millionen Euro statt der bisher vorgeschlagenen 150 Millionen Euro erhalten. Das sagte EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos in Brüssel. Die EU-Staaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen. Wegen der Ehec-Krise ist das Geschäft mit Salat, Gurken und Tomaten nach Angaben des Deutschen Fruchthandelsverbands fast komplett zusammengebrochen. (dpa/dapd/Tsp)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false