zum Hauptinhalt
2012

© dapd

Politik: Mal wieder voll reindreschen

Squash will endlich olympisch werden. Warum auch nicht? 20 Millionen Menschen spielen es weltweit. Nur in Deutschland gilt es als ehemaliger Trendsport.

Zum Beispiel die beiden da. Die kommen Reinhard Dittmann gerade recht. Es ist ein Dienstag im Herbst 2012, vormittags, draußen scheint die Sonne, der Himmel strahlt. Auf dem langen Tresen steht ein Dunkles, vor dem sitzt mit Zeitung ein Stammgast. Sonst ist nichts los. Aber nun geht die Tür auf und herein kommen zwei, die genau in Dittmanns Geschäftsmodell passen, denn er betreibt ja keine Kneipe. Er betreibt hier in einer spreenahen, aber toten Ecke von Berlin-Friedrichshain eine Fitness- und Squashanlage namens Squash2000.

Squash? Ist das nicht so tot wie die Ecke?

Squash, der Sport in der Kiste, der aus den 80ern. Zwei Spieler, zwei Schläger, ein Gummiball, ein Spielfeld. Vier Betonwände im Fitnesscenter, manchmal drei und eine aus Glas. Das waren dann schon die besseren Plätze. Der Sport, der damals so plötzlich und flächendeckend über die Bundesrepublik Deutschland hereingebrochen war, dass sogar Schulen Squash anboten. Aber dann war damit ebenso plötzlich wieder Schluss.

Die zwei aus Dittmanns Geschäftsmodell streben seinem Tresen zu. Mitte 20 sind sie, Australier auf Berlin-Besuch. Sie haben ihre Taschen über die Schultern geworfen und federn beim Gehen elastisch. Sie sind Dittmanns Lieblingspublikum. Jung, spontan, gern international. So passen sie zu seinem Betriebsideal vom Buchen, Zahlen, Spielen. Keine Verpflichtungen, keine Sonderwünsche, kein Rabatt.

„Hallo, ihr habt gebucht.“ Eine Feststellung. Dittmann, 66, sportlich, dynamisch, selbstbewusst, leiht den beiden Schläger und verkauft ihnen einen Ball. Umkleiden? „Ihr kennt den Weg.“ Die beiden waren schon mal hier.

Dittmann war vor der Wende Trainer im SEZ, dem Sport- und Erholungszentrum an der Landsberger Allee, Friedrichshain. „Jeder DDR-Bürger war in seinem Leben mindestens zwei Mal im SEZ“, sagt er. Das ist sicher übertrieben, verlieh ihm aber nach der Wende Glaubwürdigkeit. Er machte sich selbstständig im Bereich Fitness: Anlagenbau und Ausstattung für Vereine, Klubs, Schulen. Schnell auch im Auftrag von ASB, dem Weltmarktführer in Sachen Squashcourtbau aus Stein an der Traun in Bayern. Innerhalb weniger Jahre habe er mit denen um die 30 Center hochgezogen, sagt Dittmann. Auch Squash2000 stattete er 1992 zur Eröffnung aus, seit 2008 gehört ihm die Anlage. Am gläsernen Centrecourt neben der Bar steht groß: ASB.

Mit einem tiefen, leicht metallischen Klicken fällt dessen Tür jetzt hinter den beiden Australiern ins Schloss, und in dem Moment vergessen sie auch schon, dass sie beobachtet werden können. Der eine lässt den Ball auf den Boden fallen und rollt ihn zum Aufwärmen mit dem Schuh kräftig hin und her. Nur warme Bälle sind schnell, bis auf Tempo 200 bringen Profispieler die. Dann beginnen sie mit dem, was ihr erklärtes Ziel ist: sich richtig auspowern.

45 Minuten dreschen sie den Ball gegen die Wände. Gegen Frontwand oder Seitenwand, kurze schräge Bälle, lange gerade, es knallt, wenn sie hart schlagen, und es rummst, wenn sie im Lauf gegen die Glaswand prallen. Hin und her tänzeln sie, immer in Bewegung, den Ball im Blick, strategisch denkend, damit sie ihm nicht hinterherlaufen auf dessen Weg über die Front- und Seitenwände, sondern direkt da stehen, wo der nächste Schlag nötig wird. Squash ist der Sport mit dem höchsten Kalorienverbrauch, ein 70-Kilo-Mann verbraucht in einer Stunde rund 890 kcal, das ist mehr als beim schnellen Kraulen. Die beiden Australier werden am Ende ihrer Einheit das Ziel Auspowern erreicht haben.

Und sie werden Teil jenes Systems gewesen sein, das „Squash zu einer starken Verbreitung als unorganisiertem Freizeit- und Breitensport verhilft“. So schreibt es der Deutsche Squash Verband DSQV in der Fortschreibung seines Strukturplans von 1984, und das ist so unfroh gemeint, wie es klingt. Weiter steht dort nämlich, dies sei „auch ein Grund dafür, dass derzeit nur circa 17 000 organisierte Squashspieler dem DSQV angeschlossen sind“.

Die Idealspieler des Herrn Dittmann aus Berlin-Friedrichshain also als Totengräber des Squashsports?

In der Tat ist es so, dass Squashplätze in Deutschland ausschließlich kommerziell betrieben werden, also Gewinn erwirtschaften müssen. Mit so einer Konstruktion muss sich kein anderer Sport abquälen. Squashcourts wurden durch den Boom ein beliebtes Investitionsprojekt, man baute sie in Fitnessanlagen zu den Laufbändern und Hantelbänken. 1975 gab es 140 Squashplätze in Deutschland. 1997 mehr als 6600. Aus ein paar Squashpionieren waren gut zwei Millionen Sportler geworden, von denen aber auch zu Boom-Zeiten nur um 25 000 im Verein organisiert waren, ein Hundertstel. Es ist nicht belegt, aber vielleicht gehörte auch gerade das Nicht-Organisierte, das Spontane mit zu dem Reiz des neuen Sports.

Die Anlagenbesitzer jedenfalls vermieteten lieber an die vielen Einzelsportler, die zahlten, was verlangt wurde, als dass sie ganze Platzkontingente an Vereine abgaben, die als Großabnehmer dann über Sonderkonditionen verhandeln wollten.

Trotzdem haben die Vereine weitergemacht. Sie haben Wettkämpfe organisiert, Ligen auf die Beine gestellt, Bezirks- bis Bundesligen, es wurden Spitzensportler ausgebildet, die weltweit konkurrieren. Der derzeit beste Deutsche Simon Rösner belegt Weltranglistenplatz 9. Und der DSQV sieht Vereinsspieler auch nicht als Last des Sports, sondern als dessen Garant. Weil der Sport in den Vereinen fortentwickelt wird. Auf regionaler, nationaler oder internationaler Ebene. Was ist nicht alles geändert worden, seit 1853 aus London der erste überdachte Racket- Court gemeldet wurde und Squash von dort aus in die Welt ging, nach Asien, Afrika, Australien, wo er Massensport wurde, den 20 Millionen Menschen regelmäßig betreiben: Nicht nur sind die Plätze vor allem durch die Innovationsfreude der Firma ASB besser geworden und mit ihren vier Glaswänden auch zuschauer- und fernsehübertragungsfreundlich. Auch wurde das Regelwerk vereinfacht. Jeder Punkt zählt jetzt, nicht nur der des Aufschlagenden. Es wurden maximale Spielzeiten beschlossen, die Schiedsrichter geschult, die Wiederholungsregeln gestrafft. Das waren alles Funktionärsleistungen.

Am Grundproblem hat das nichts geändert. Die Anlagenbetreiber entscheiden, wer spielt und zu welchen Bedingungen. Dittmann beispielsweise will überhaupt keine Vereine haben. Er sagt: „Die kommen fünf Mal, dann denken sie, die Anlage gehört ihnen.“

Rendite einzufahren ist auch ohne Vereinsrabatte eine große Aufgabe für einen Platz von knapp zehn Metern Länge und etwas mehr als sechs Metern Breite, auf den nur zwei Squashspieler zeitgleich passen. Oft eine zu große. Als die Courts nach Jahren im Gebrauch hätten saniert und modernisiert werden müssen, rechnete man vielerorts aus, dass die 60 Quadratmeter mehr einbringen, wenn man dort Dutzende Spinningräder hinstellt oder Fitnesskurse veranstaltet.

Viele Squashspieler folgten den neuen Trends, auch weil die Courts runtergespielt waren. Vielleicht auch, weil sie Squash anfangs zwar schnell gelernt hatten, aber dann auch schnell nicht mehr weiterkamen, und wegen eines Squashlehrers in einen Verein eintreten, war für viele Individualsportler keine Alternative. Laut DSQV haben die Sportartikelhersteller in den 90er Jahren eine Zunahme der Squashspieler auf 2,5 bis drei Millionen erwartet, stattdessen ging die Zahl zurück auf etwa 1,5 Millionen. Und so schrumpfte sich die Courtzahl ab Mitte der 2000er Jahre zurecht. Aus den mehr als 6600 Plätzen wurden um die 5000. Die Wende hat auch keine Impulse ergeben. Dittmann brachte es als ASB-Vertreter zwar bis zu einer XXL-Anlage in Dresden, aber eine Massenbewegung wurde Squash im Osten nie.

Das machte sich am vergangenen Wochenende auch im Hotel Seebad-Casino von Rangsdorf bei Berlin bemerkbar.

Draußen im Naturschutzgebiet Rangsdorfer See sammeln sich nordische Gänsearten zum Flug in den Süden. Und drinnen im Saal Möve zieht sich die Ordentliche Mitgliederversammlung des DSQV in die Länge. Das Präsidium ist anwesend und rund 30 Abgesandte aus zwölf Landesverbänden. Zehn aus dem Westen, aber nur zwei aus dem Osten: Sachsen und der Doppelverband Berlin Brandenburg.

Je länger die Sitzung dauert, desto leerer wird es rund um den hufeisenförmigen Konferenztisch. Das führt am Ende noch zum grundsätzlichen Protest eines Anwesenden, kurz nach dem Tagesordnungspunkt 17: Olympiabewerbung. 2013 läuft der dritte Versuch in Folge an.

Die Aufnahme ins Olympiaprogramm ist wichtig. Nicht aus Image- oder Selbstbestätigungsgründen. Es geht um den Zugang zu Fördertöpfen. Es geht um viel Geld. Um Nachwuchsförderung. Und um Unterstützung für den Sportstättenbau. Auf dass sie rauskommen aus der Abhängigkeit von privaten Investoren und der Konkurrenz mit den Hobbyspielern, wo sie immer im Nachteil sind.

Im Konferenzsaal bedient Generalsekretär Volker Bernardi seinen Laptop, jemand schaltet das Licht aus, dann läuft auf einer Leinwand der Imagefilm an, der im kommenden Jahr die Entscheider des Internationalen Olympischen Komitees beeindrucken soll und vorerst als Geheimsache gilt. Ein paar Minuten dauert der Film, dann geht das Licht wieder an. „Entweder habt ihr jetzt eine Gänsehaut oder nicht“, sagt Bernardi, jedenfalls solle dieser Film Stimmung machen. Ein paar Abgesandte nicken, einige schauen erschöpft. Der Film, der den Squashsport in seiner ganzen Großartigkeit präsentiert, steht im wilden Kontrast zu der Detailarbeit, den Antragsdiskussionen und Streitereien, denen sie sich hier seit Stunden ehrenamtlich aussetzen.

Am heutigen 20. Oktober, dem Weltsquashtag, soll rund um den Globus für Squash als Olympiasport geworben werden. Mit einem weltweiten Match, an dem zigtausende Spieler teilnehmen wollen. Alle Ergebnisse werden zusammengezählt, im Internet veröffentlicht – und das soll dann zu einem Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde führen. Aus der Hauptstadtregion macht nur die Havellandhalle, Dallgow-Döberitz, mit.

Bernardi bittet alle, in ihren Landesverbänden noch mal Werbung zu machen. „Alles, was man promomäßig machen kann, soll man machen.“ Er sitzt ganz vorne, ein massiger Mann, gut hörbare Referentenstimme mit süddeutschem Einschlag. Bernardi fing typischerweise in den 80er Jahren an mit Squash und hörte typischerweise bald auch wieder auf. Bis er 2006 bei den Spielen der Bundesliga-Endrunde unter die Zuschauer geriet. Da habe ihn die Dynamik des Spiels noch einmal vollkommen fasziniert. So kam er wieder zurück. Als Funktionär.

Jetzt referiert er die Lage. Für jede Sportart, die neu ins olympische Programm kommt, muss eine andere raus. Vielleicht ja Badminton. Badminton habe seit London „ein Imageproblem“, sagt er. Es war zu Manipulationen gekommen. Aber wer weiß schon. 2013 werde auch der Austragungsort für Olympia 2020 gewählt, der IOC-Präsident und eine große Anzahl neuer IOC-Mitglieder. Bernardi sagt: „2013 ist unkalkulierbar.“

Die letzte große Enttäuschung in dem Betreff datiert vom Oktober 2009. Da beschloss die Vollversammlung des IOC, welche neuen Sportarten 2016 in Rio de Janeiro dabei sein würden. Squash stand mit auf der Shortlist. Ausgewählt aber wurden: Rugby und Golf.

Es folgt Tagesordnungspunkt 18, Verschiedenes. Squashverbandspräsident Wolfgang Bauriedel will noch schnell etwas loswerden. „Ich weiß, ihr wollt nach Hause.“ Er habe von einem Fördertopf aus dem Bundesfamilienministerium gehört. Um junge Menschen ins Ehrenamt zu bringen. 5,8 Millionen Euro seien in dem Topf und noch nicht weg. Wenn ein Unter-27-Jähriger etwas Ehrenamtliches tue, gebe es für den 1000 Euro. „Wenn also ein Unter-27-Jähriger die nächste Weihnachtsfeier organisiert?“, ruft einer dazwischen. „Ja genau!“ „Oder einen Squashkurs gibt?“ Auch das werde gefördert. „Denkt darüber nach!,“ ruft Bauriedel den Abgesandten zu. Er lacht vergnügt, aber auch ein bisschen traurig. So viel Geld für etwas, das er als Präsident eines Vereins, dessen Strukturplanfortschreibung in fast jedem Punkt mit der Formulierung „Aufgrund der finanziellen Situation. . .“ beginnt, um dann von einer zurückgefahrenen Leistung zu berichten, als „Kaschperlkram“ bezeichnet.

Als die Versammlung gegen 20 Uhr endet, Laptops zugeklappt und Kabel eingerollt werden, als die Abgesandten sich noch einmal strecken, bevor sie sich ins Restaurant setzen oder ins Auto, um nach Hause zu fahren, ist für die Betreiber der verbliebenen Squashcourts in Deutschland die beste Zeit. Nach Feierabend. Wenn alle können. Dann gehen die Preise nach oben. Auch bei Squash2000 ist das so. Da stellen sie seit ein paar Tagen ihren Platzbelegungsplan online, so dass Interessierte direkt sehen können, ob am selben Tag noch was frei ist – als perfekten Service für den spontanen Kunden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false