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Die Journalistin Daphne Caruana Galizia wurde ermordet, weil sie über die Korruption auf Malta recherchierte.

© Elyxandro Cegarra/Imago/Zuma Press

Malta: Aktenzeichen Daphne ungelöst

Die Frage nach Maltas Rechtsstaatlichkeit steht im Fokus einer Reise von EU-Parlamentariern – doch auch andere Staaten ignorieren demokratische Standards.

„30 Tage, null Antworten und null Veränderung“: So lautete das Motto eines Gedenkmarsches, der einen Monat nach dem Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galicia auf Malta stattgefunden hat. Tatsächlich ist die Politik in Malta, trotz des weltweiten Entsetzens über den Mord, schnell zur Tagesordnung übergegangen. Die Angehörigen der Ermordeten warfen der Exekutive in diesen Tagen vor, die Ermittlungen zu „sabotieren“. Und eine Kollegin von Daphne Caruana Galicia schrieb: „Wir wissen nicht, wer Daphne getötet hat. Es gibt nur eine unendliche Liste von Verdächtigen, angefangen von korrupten Politikern bis hin zur Organisierten Kriminalität. Aber das eigentliche Thema ist heute der Zusammenbruch des Rechtsstaats in Malta.“

Genau dies ist auch das Thema einer Delegation des Europaparlaments, die seit Donnerstag in Malta weilt. Dem Besuch war eine Resolution vorausgegangen, in der eine „regelmäßige Überwachung der Einhaltung europäischer Grundwerte in Malta“ gefordert wurde. Der spanische Europa-Abgeordnete Esteban González Pons (EVP) hatte bei der Beratung der Resolution kein Blatt vor den Mund genommen: „Journalisten werden in Malta bedroht, bloßgestellt und ermordet. Medien werden erpresst von Banken, die der Geldwäsche verdächtigt werden. Und hohe Regierungsbeamte werden dabei der Kollaboration verdächtigt.“

Paradies für Steueroptimierer

Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Malta stehen nicht erst seit dem 16. Oktober im Raum, als die 53-jährige Journalistin mit einer ferngezündeten Autobombe ermordet worden war. Spätestens seit der Veröffentlichung der „Panama Papers“, an deren Auswertung Daphne Caruana Galicia maßgeblich beteiligt war, stand fest, dass der kleinste Mitgliedstaat der EU zu einem Paradies für Europas Steueroptimierer und Geldwäscher geworden ist. Lachhaft niedrige Steuersätze und 70 000 Briefkastenfirmen auf 450 000 Einwohner zeugen davon.

Gleichzeitig wurde die Insel zu einem Zufluchtsort für Halb- und Unterweltgestalten: für Drogenbosse der italienischen ’Ndrangheta, für Schlepperbanden, für libysche Milizenführer und Erdöl-Schieber, für Oligarchen aus Russland und neureiche Milliardäre aus China. Wer über das nötige Kleingeld verfügt, kann sich nach der Gründung seiner Scheinfirmen für 650 000 Euro auch gleich noch einen maltesischen Pass kaufen und auf diese Weise EU-Bürger werden. Auch das hat das Europaparlament in seiner Resolution gerügt.

Daphne Caruana Galizia hatte jahrelang über die Missstände und die Korruption in ihrer Heimat geschrieben – und sich dabei viele und einflussreiche Feinde gemacht. Unter anderem entdeckte sie, dass die Gattin des Premierministers, Michelle Muscat, bei einer Bank in Panama ein Konto besaß, auf das angeblich Schmiergelder in Millionenhöhe aus Aserbaidschan geflossen waren. Vorwürfe im Zusammenhang mit Offshore-Konten richteten sich auch gegen den Energieminister sowie gegen Muscats Kabinettschef. In den vergangenen zwei Jahren hat die oppositionelle National Party mehrfach kritisiert, dass die Korruptionsermittlungen gegen Muscat und seine Riege sehr oberflächlich durchgeführt würden. Auch hohe Beamte und Richter sind in undurchsichtige Finanzgeschäfte verwickelt.

Selbst die Richterin, die zunächst die Ermittlungen gegen die Mörder von Daphne Caruana Galizia führen sollte, war angeblich in Affären verstrickt: Auch gegen sie hatte die Journalistin Korruptionsvorwürfe erhoben. Deren Angehörige haben in der Folge eine Befangenheitsklage gegen die Richterin eingereicht.

In Polen wird die Unabhängigkeit der Gerichte aufgehoben

Dass eine kritische Journalistin in einem EU-Mitgliedstaat mit einer Autobombe in die Luft gejagt wird, haben sich in Brüssel und in Europas Staatskanzleien wohl die wenigsten vorstellen können. Die Journalistin selber aber wusste, dass sie gefährlich lebte: 15 Tage vor ihrem Tod hatte sie sich noch wegen Morddrohungen bei den Behörden gemeldet. Zu ihrem Schutz wurde nichts unternommen.

Malta ist nicht das einzige europäische Land, in dem sich die drängende Frage nach der Rechtsstaatlichkeit stellt. In Polen wird gerade die Unabhängigkeit der Gerichte gesetzlich aufgehoben: Präsident Andrzej Duda hat bereits ein Gesetz unterschrieben, wonach das Justizministerium jederzeit das Recht hat, die Gerichtspräsidenten abzuberufen. Das führt letztlich dazu, dass die Gerichtspräsidenten Richter einsetzen werden, die der Regierung genehme Urteile fällen.

Ende Juli hat die EU wegen dieser umstrittenen Justizreform bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Damit wird die polnische Regierung zu einer Erläuterung der Reform aufgefordert. Der Diskussion darüber verweigert sich die Regierung in Warschau aber bislang. Deshalb wird bereits darüber nachgedacht, gegen Polen ein Vertragsverfahren gemäß Artikel 7 des EU-Beitrittsvertrages einzuleiten. Dafür wäre allerdings die Einstimmigkeit im EU-Ministerrat nötig. Das wird schwierig, denn Ungarn hat bereits angekündigt, sein Veto einlegen zu wollen.

Ähnlich wie Polen liegt auch Ungarns nationalpopulistische Regierung wegen regelmäßiger Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte mit der EU seit Jahren im Clinch. Doch obwohl Brüssel bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, scheint Ungarn im Gegensatz zu Polen noch kein Sanktionsverfahren fürchten zu müssen: In den Reihen der EVP-Schwesterparteien verfügt die regierende Fidesz-Partei vor allem bei der CDU/CSU immer noch über ausreichend Rückendeckung.

Es ist vor allem die Aushöhlung der Gewaltenteilung im Fidesz-Staat, die das Europaparlament seit Jahren vor einem Rückbau des Rechtsstaats warnen lässt. Mehrere Novellierungen der 2011 verabschiedeten Verfassung haben den Einfluss der Justiz und des Verfassungsgerichts eingeschränkt. Gleichzeitig erleichtert die Absenkung des Pensionsalters für Richter und Staatsanwälte es der Regierung, unliebsame Staatsdiener durch regimehörige Parteisoldaten zu ersetzen.

Korruption in Bulgarien

Als die Europäische Kommission Mitte November 2017 ihre Evaluationsberichte zum Stand Inneres zu Bulgarien und Rumänien veröffentlichte, fühlte sich Bulgariens konservativer Ministerpräsident Boiko Borissov objektiv und gerecht beurteilt. Brüssel habe die Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und Verbrechen in seinem Land besser bewertet als die des nördlichen Nachbarns Rumänien, behauptete er.

Die sozialistische Opposition sprach dagegen vom „kritischsten Evaluationsbericht“ seit Langem. „Die Experten der EU-Kommission haben deshalb keine neuen Empfehlungen mehr gegeben, weil sie sich über deren Umsetzung keine Illusionen mehr machen“, kommentierte etwa Staatspräsident Rumen Radev.

Tatsächlich kann Bulgarien die von der EU-Kommission seit dem EU-Beitritt des Landes 2007 gebetsmühlenartig geforderten rechtskräftigen Verurteilungen von Politikern und höheren Funktionsträgern wegen Korruptionsvergehen nicht vorweisen und die seit Jahren angestrebte Justizreform ist weiterhin ein Torso.

In Rumänien, in dem es in den vergangenen Jahren eine Vielzahl wegen Korruption angeklagter und verurteilter Ex-Regierungschefs und Minister gegeben hat, demonstrieren dieser Tage Zigtausende gegen die sozialliberale Koalitionsregierung von Ministerpräsident Tudose. Sie fürchten, deren Gesetzesvorhaben könnten Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung verwässern. (mit flü/tro/fms)

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