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In Malta erinnert ein Gedenkort an die ermordete Journalistin Daphne Caruana Galizia.

© Darrin Zammit Lupi/REUTERS

Malta nach dem Mord an kritischer Journalistin: „Es ist schlimmer geworden“

Andrew Caruana Galizia, der Sohn der ermordeten maltesischen Journalistin, sieht kritische Medienleute in seinem Land weiter bedroht.

Andrew Caruana Galizia (32) ist einer von drei Söhnen der Journalistin Daphne Caruana Galizia, die im Oktober 2017 in Malta bei einem Attentat durch eine Autobombe getötet wurde. Die Journalistin hatte bei ihren Recherchen zahlreiche Fälle von Korruption in Malta aufgedeckt. Dabei hatte sie sich intensiv mit Korruptionsvorwürfen gegen den inneren politischen Zirkel rund um den maltesischen Regierungschef Joseph Muscat befasst.

Herr Caruana Galizia, die Behörden im EU-Mitgliedstaat Malta ermitteln weiterhin im Fall des Attentats auf Ihre Mutter, die im Oktober 2017 bei der Explosion einer Autobombe ums Leben kam. Führen diese Ermittlungen zum Ziel?
Ganz offensichtlich nicht. Die Leute, die meine Mutter ermordet haben, wurden ständig über die Fortschritte bei den polizeilichen Ermittlungen auf dem Laufenden gehalten. Sie waren durch Keith Schembri, den Stabschef von Premierminister Joseph Muscat, besser informiert als meine Familie. Die Mordermittlungen wurden in den vergangenen zwei Jahren in grundlegender Weise kompromittiert. Es gibt zunehmend Hinweise, dass Schembri zumindest den Versuch unternommen hat, die Justiz zu behindern.
Der maltesische Regierungschef Muscat will zurücktreten, allerdings erst im kommenden Monat. Sie sind der Ansicht, dass Muscat die Ermittlungen verschleiert. Welche Anhaltspunkte gibt es dafür?
Der Premierminister hat ein eindeutiges Motiv, dies zu tun. Das Motiv besteht darin, seinen ehemaligen Stabschef Schembri vor der Justiz zu bewahren. Der Geschäftsmann Yorgen Fenech, der als Drahtzieher des Mordes an meiner Mutter gilt, hat Schembri als Verantwortlichen beschuldigt. Darüber hinaus steht auch fest, dass Schembri das Attentat verschleiern und damit auch Fenech schützen wollte. Die Gründe dafür sind immer noch unklar. Es könnte sein, dass er direkt in den Mordkomplott verwickelt war oder verhindern wollte, dass Fenech später gegen ihn in einigen Korruptionsfällen aussagen würde. In dieser Situation verfügt Premierminister Muscat über die Macht, den Polizeichef zu ersetzen durch jemanden, der noch gefügiger ist als der gegenwärtige Amtsinhaber. So entsteht zumindest der Eindruck, dass es keine vollständige Gerechtigkeit gibt, so lange der Premierminister im Amt bleibt.

Andrew Caruana Galizia (links), einer der drei Söhne der ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia.
Andrew Caruana Galizia (links), einer der drei Söhne der ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia.

© AFP

Spielen Regierungsangehörige das Attentat vom Oktober 2017 immer noch herunter?
Traurigerweise tun sie das. Sie benennen die Dinge nicht klar, wenn sie über den Anschlag sprechen. Man muss sich vor Augen halten, dass der Stabschef des Premierministers in einen Mordkomplott verwickelt ist – und Regierungsangehörige tun das mit der Bemerkung ab, dass sie sich verraten fühlen. Viel wichtiger ist es doch, dass sie die Verantwortung für die Ereignisse übernehmen. Zum anderen scheren sie sich nicht darum, was der Rest der Bevölkerung angesichts der Ermordung einer Kritikerin empfindet.
Müssen Journalisten, die in Malta die Arbeit Ihrer Mutter fortsetzen, weiterhin mit Bedrohungen rechnen?
Es ist sogar schlimmer geworden. Die Mitarbeiter in den regierungstreuen Medien fühlen sich jetzt in die Enge getrieben. Deshalb greifen sie aggressiv kritische Journalisten an. Ich befürchte, dass die regierungstreuen Medien bei ihrer Linie bleiben werden – auch wenn Muscat demnächst ersetzt wird. Möglicherweise wird es auch nach dem Wechsel im Amt des Premierministers im Januar nicht gelingen, den Propagandaapparat der regierenden Labour-Partei zu zähmen.
Regierungschef Muscat will im Januar zurücktreten, nachdem sich die regierende Labour-Partei intern auf eine Nachfolge geeinigt hat. Wäre es angesichts der Staatskrise nicht besser, das Land würde einen grundlegenden Neuanfang wagen – und zwar mit vorgezogenen Neuwahlen?
Das würde nicht viel bringen, denn die Opposition ist derzeit extrem schwach. Neuwahlen würden nur dazu führen, dass die regierende Labour-Partei ihre Mehrheit im Parlament noch ausbauen kann. In unserer gesamten jüngeren Geschichte wurden Neuwahlen immer wieder als Lösung angepreist. Das sind sie aber nicht. Die Lösung liegt darin, den politischen Institutionen die nötige Unabhängigkeit zu verschaffen.
Wie sollte dieser institutionelle Neuanfang aussehen?
Wir haben hart daran gearbeitet, dass sich ein Sonderberichterstatter im Europarat mit den Zuständen in Malta beschäftigt. Die Venedig-Kommission des Europarats hat einen Bericht über Malta veröffentlicht. Dort werden wirklich alle Bereiche aufgelistet, in denen Malta Veränderungen durchführen sollte, um die europäischen Standards bei der Gewaltenteilung zu erreichen. Jeder weiß, worin die Lösung besteht. Das gilt auch für den Kampf gegen Geldwäsche. Alle diese Reformen müssen als Paket umgesetzt werden. Die Regierung hat aber versucht, sich nur die Rosinen herauszupicken.
Wie bewerten Sie die Rolle der EU-Kommission in der Affäre? Immerhin hat auch Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärt, sie erwarte in Malta eine polizeiliche Untersuchung „ohne jegliche politische Einflussnahme“.
Die EU-Kommission hat stets betont, dass es nicht ihre Aufgabe ist, Verbrechen aufzuklären. Das trifft auch zu. Allerdings erklärt die EU-Kommission auch immer, dass sie eine unabhängige Aufklärung des Verbrechens erwartet. Das Problem besteht darin, dass dies folgenlos bleibt. Was passiert denn, wenn es keine unabhängige Ermittlung in Malta gibt? Der EU-Kommission fehlen die Mittel, um einem Versagen von Mitgliedstaaten in diesem Bereich wirksam zu begegnen. Deshalb muss die EU-Kommission zumindest den politischen Druck erhöhen und die Missstände in Malta immer wieder aufs Neue anprangern. Ich hoffe, dass es gelingt, auf diesem Weg eine unabhängige Untersuchung durchzusetzen.
Soll die EU-Kommission ein Artikel-7-Verfahren gegen Malta einleiten, das zum Entzug des Stimmrechts auf EU-Ebene führen könnte?
Zum Glück stellt sich die EU-Kommission inzwischen nicht mehr auf den Standpunkt, dass in Malta kein Systemversagen vorliegt. Das Problem besteht jetzt darin, dass einige Vertreter in der EU-Kommission der Ansicht sind, dass ein Artikel-7-Verfahren ineffizient oder sogar kontraproduktiv wäre. Sie ziehen dabei das Beispiel Ungarns und Polens zur Begründung heran. Ich bin der Ansicht, dass das Artikel-7-Verfahren in Ungarn und Polen nicht den gewünschten Effekt hatte, weil es zu spät in Gang gesetzt wurde. Mit diesem Verfahren lässt sich ein kaputtes politisches System nicht reparieren, es hat eher einen präventiven Wert. Das heißt: Man muss ein Artikel-7-Verfahren anwenden, noch bevor ein politisches System kippt. In Malta ist dieser Punkt überschritten. Meine Mutter wurde ermordet. Das war bereits ein Zeichen für ein Systemversagen. Aber trotzdem wäre es ein Fehler, das Artikel-7-Verfahren komplett vom Tisch zu nehmen. Denn es ist immer noch das wirkungsvollste Mittel, über das die EU verfügt.

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