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Politik: „Manchmal macht mir das Angst“ Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck

über Wohlstand und Zweifel am Reformprozess

Ein bekannter Sozialdemokrat hat einmal prophezeit: Der Matthias Platzeck wird SPDBundesvorsitzender. Wäre das nicht ein wunderbarer Beitrag zur deutschen Einheit?

Nun mal langsam. Ich habe als Regierungschef in Brandenburg eine richtig schwierige Aufgabe …

Das klingt sehr staatsmännisch …

Gar nicht. Aber ich bin Realist. Ich bin hier Vorsitzender einer Partei, die bei der letzten Wahl nicht sieben Prozentpunkte gewonnen, sondern verloren hat. Mein Tag ist gut gefüllt.

Ab 1. November sind Sie Präsident des Bundesrates. Planen Sie konkrete Initiativen?

Das Amt ist dafür eigentlich nicht konzipiert. Ich denke aber schon, dass es mir die Möglichkeit gibt, meine Meinung in die laufende Föderalismus-Debatte und zum Aufbau Ost noch deutlicher und akzentuierter einzubringen. Das werde ich auch tun.

Sie betonen ständig die Ost-Interessen. Hat der Osten 15 Jahre nach dem Mauerfall überhaupt noch eine Stimme nötig?

Ja! Ich habe mich da revidieren müssen. Mit Ostdeutschland haben wir zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte unseres Landes eine Region, die nun bereits 15 Jahre lang um die 20 Prozent Arbeitslosigkeit aushalten muss. Peer Steinbrück sagt zwar immer: Kenn ich auch, aus Gelsenkirchen. Der Unterschied ist, er kennt es nur aus Gelsenkirchen.

Sind wir „kein Volk", wie Wolfgang Herles schreibt?

Das ist zynisch. Wir sind ein Volk, aber eins mit Problemen untereinander. Alle haben unterschätzt, dass unterschiedliche Sozialisationen in Ost und West zwei Generationen geprägt haben, dass die wirtschaftliche Schere nicht kleiner, sondern größer wird. Das schlägt durch auf Stimmungen ...

… und lässt jeden zehnten Sachsen die rechtsradikale NPD wählen.

… weil wir Fehler gemacht, junge Leute verloren haben, nicht richtig mit ihnen umgegangen sind. Aber das sind nur die Symptome.

Wo liegt der Grundfehler?

Deutschland bekommt gerade die Quittung, nötige Reformen 15 bis 20 Jahre auf die lange Bank geschoben zu haben. Das rächt sich jetzt. Und ich spüre überall eine gewisse Ratlosigkeit, weil sich Demokratie zum ersten Mal unter anderen Rahmenbedingungen beweisen muss. Bislang ging es mit dem Wohlstand – von einigen Dellen abgesehen – in der alten Bundesrepublik immer aufwärts. Das ist jetzt anders.

Wir müssen uns auf weniger Wohlstand einstellen?

Die Bundesrepublik ist an einem Punkt angelangt, wo die Grundlagen ihres Wohlstandes neu organisiert, stabilisiert und verteidigt werden müssen. Wohlstand wird sich nicht mehr automatisch vermehren wie in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren – wir müssen kämpfen, um das heutige Niveau zu halten. Ich habe im Wahlkampf in fast jeder Rede gesagt: Die goldenen Jahrzehnte des Westens werden sich nicht fortsetzen.

Die Reaktionen sind bekannt, Trillerpfeifen und Eierwürfe.

Nicht nur. Meine wichtigste Erfahrung war eine andere: Die Leute waren ansprechbar, obwohl die Stimmung im Osten besonders schlecht ist. Wenn man die Menschen ernst nimmt, legen sie die Trillerpfeifen weg. Das ist eine der Herausforderungen für die kommenden Jahre: Politik muss offensiver, näher an den Leuten und vor allem ehrlicher sein.

Die Wahrheit für Brandenburg ist…

…dass es keinen schnellen Aufschwung geben wird. Wir können uns nur durch harte Arbeit hochhangeln, Stück für Stück. Die Wahrheit ist auch, dass wir herkömmliche Produkte nicht billiger als unsere Nachbarn im Osten zusammenschrauben können. So hat Brandenburg keine Chance.

Sondern?

Die Produkte müssen besser, intelligenter sein. Deshalb stecken wir das bisschen Geld, das wir in Brandenburg noch haben, in Schulen, in Hochschulen, in die Technologieförderung, in Wachstumsbranchen. Das heißt aber, dass wir nicht mehr in jedem Dorf fördern können.

Aber Sie können dem 55-jährigen Arbeitslosen in der Lausitz nicht empfehlen, zur Universität zu gehen…

So ist es. Es gibt Fälle, wo man nichts empfehlen kann. Wir müssen mit Lebenslügen aufräumen: Zu lange wurde öffentlich finanzierte Beschäftigung als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt verstanden, geduldet, verkauft. Die Realität sieht längst so aus, dass das nicht funktioniert, dass am Ende meist nicht der Job in der Computerfirma wartet.

Also werden Sie dem 55-Jährigen sagen, dass er keine Arbeit mehr bekommt?

Ja, das tue ich. Die Leute wissen es doch längst. Aber sinnvolle öffentlich finanzierte Beschäftigung ist für sie eine Chance, überhaupt noch am arbeitsbestimmten sozialen Leben teilzunehmen, nicht ausgegrenzt zu werden, würdevoll das Rentenalter zu erreichen.

Werden Sie sich für die Angleichung des Arbeitslosengeldes II zwischen Ost und West einsetzen?

Ich werde dafür streiten, dass es die Unterschiede nicht mehr lange geben wird. Aus den Lebenshaltungskosten kann man sie nicht mehr begründen. Die sind im Bayerischen Wald anders als in München. Trotzdem gibt es dort denselben Satz. Warum nicht auch in Potsdam?

Welche Anliegen sind Ihnen als Bundesratspräsident persönlich wichtig?

Wie gesagt, die Ost-West-Angleichung des Arbeitslosengeldes II. Außerdem neue Investitionen in Forschung und Wissenschaft. Die Ansiedlung solcher Institutionen sollte nur noch im Osten der Bundesrepublik stattfinden. Der Solidarpakt II für Ostdeutschland darf nicht ausgehöhlt werden.

Der Osten sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Transferhilfen nicht zu investieren, sondern zu konsumieren.

Die Debatte läuft schief: Bislang gilt als Investition nur, was in Beton gegossen wird. Diese sklavische Kopplung stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Warum ist die Bezahlung eines Professors im Wissenszeitalter keine Investition? Ist die Asphaltierung der letzten zehn Kilometer Straße in ein Dorf im Osten wirklich sinnvoller für den Aufbau Ost als ein guter Hochschullehrer?

Warum regen Sie nicht ein wirklich visionäres Projekt an, nämlich eine Neuordnung der Länder jenseits der tradierten Ost-West-Grenzen – also durch Fusionen etwa von Hessen und Thüringen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass acht bis zehn starke Bundesländer ausreichen. Jetzt kommt bestimmt wie immer der Vorwurf, ihr habt ja nicht mal den Mut mit Berlin…

…richtig.

Zunächst einmal: Berlin und Brandenburg haben in den letzten zwei Jahren immerhin die Rundfunksender, zehn Ämter und alle Obergerichte gegen viele Widerstände zusammengelegt. Wo passiert das noch? Wenn aber weniger als 30 Prozent der Brandenburger für ein gemeinsames Land sind, fühlen sich die Leute verschaukelt, wenn man ihnen eine Volksabstimmung über die Fusion im Jahr 2006 aufzwingen will.

Warum sagen Sie nicht, dass es in diesem Jahrzehnt keine Fusion mehr geben wird?

Das sage ich doch. Es bleibt ein sinnvolles Projekt, aber ich sehe derzeit kaum eine Chance. Berlin wird auf absehbare Zeit keinen Haushalt haben, der vom Innenminister eines gemeinsamen Landes genehmigt werden kann.

Also wird es die Fusion nur über den Umweg einer Neuordnung der Bundesrepublik geben können?

Ich bin nicht Jesus. Die Länder-Neuordnung ist sinnvoll. Ich sehe Mecklenburg mit seinen 1,7 Millionen Einwohnern nicht mehr 30 Jahre allein existieren.

Was haben Sie in letzter Zeit für Fehler gemacht, Herr Platzeck?

Da muss ich überlegen. Aber ich würde niemals sagen, ich mache keine.

Einige Genossen sind so schlecht auf Sie zu sprechen, dass sie Ihnen die Stimme bei der Wahl zum Ministerpräsidenten verweigerten?

Wir haben einen radikalen Erneuerungskurs in der Landesregierung, in der Landtagsfraktion eingeschlagen. Ich versuche auch bei Personalien, klar, ehrlich und offen zu sein. Das ist mit Enttäuschungen und Verletzungen verbunden.

Sind Sie kälter und härter geworden?

Härter ja, kälter nicht. Ich habe meine schlaflosen Nächte. Ich bin kein Politiker mit Elefantenhaut, obwohl mir manche raten, mir eine zuzulegen. Ich möchte nicht unnahbar werden …

…wie Manfred Stolpe?

Sie wissen, ich respektiere seine Person, seine politische Leistung. Er hat die Fundamente für unser Land gelegt.

Wie fremd ist Ihnen Jörg Schönbohm, der einzige Westdeutsche im Kabinett?

Fremd war er mir nie, trotz seiner doppelt anderen Prägung – in Westdeutschland und als Soldat. Ich habe immer respektiert, dass er es ernst meint mit seinem Einsatz für Brandenburg.

Ein Mann, ein Wort?

Öfter als andere. Jörg Schönbohm ist ein gerader Typ.

Sie sind geprägt von den Runden Tischen. Wäre es nicht gut, wenn das Volk über so wichtige Fragen wie den EU-Beitritt der Türkei abstimmen könnte?

Ich bin mir da unsicher, im inneren Widerstreit. Die Welt ist komplizierter.

Aber die Gewissheit, dass die eingeleiteten Reformen Deutschland wirklich aus dem Tal holen werden, haben Sie?

Es wäre anmaßend, die absolute Gewissheit zu haben. Wir können nur an verfügbaren Stellschrauben drehen. Niemand weiß hundertprozentig, ob es die richtigen sind. Und wir wissen auch nicht, wie sich die Welt ringsum entwickelt, mit der wir untrennbar vernetzt sind. Manchmal macht mir das Angst.

Sie zweifeln?

Wenn ich keine Zweifel hätte, wäre ich tot. Ich habe mich natürlich gefragt, ob Hartz IV das richtige Konzept ist, ob wir es gesellschaftlich durchhalten, ob es die erhofften Effekte bringt. Doch am Ende musste ich es wie Churchill halten: Zeigt mir etwas Besseres! Das konnte bislang niemand.

Das beruhigt nicht unbedingt.

Wir wandern bei unseren Reformen in Deutschland auf einem ganz schmalen Grat – zwischen der Herstellung volkswirtschaftlich vernünftiger Wettbewerbsbedingungen und der Zerstörung von Binnenkaufkraft. Das sind korrespondierende Röhren. Und wir sind dabei durch die Globalisierung nicht mehr allein Herr der Dinge.

Ihr ganz persönlicher Schluss?

Politik sollte manchmal auch demütiger sein.

Das Interview führten Gerd Appenzeller, Stephan-Andreas Casdorff, Michael Mara und Thorsten Metzner. Das Foto machte Mike Wolff.

DER BÜRGERBEWEGTE

Matthias Platzeck, geboren am 29. Dezember 1953 in Potsdam, ist Bio-Kybernetiker. Er schloss sich 1988 der Bürgerbewegung in Potsdam an, verhandelte 1989 am zentralen Runden Tisch der DDR, war Volkskammerabgeordneter der Bündnis-Grünen und Minister ohne Geschäftsbereich im Modrow-Kabinett.

DER KRONPRINZ

Im Herbst 1990 holte Ministerpräsident Manfred Stolpe ihn als Umweltminister in sein Kabinett. Platzeck verhielt sich loyal, als Stolpe wegen seiner Stasi-Verwicklungen in Bedrängnis geriet. Dieser ließ den inzwischen Parteilosen auch nach dem Bruch der Ampelkoalition mit Bündnis 90/Die Grünen in seinem Kabinett in holte seinen „Kronprinzen“ dann 1994 in die neue SPD-Alleinregierung.

DER OBERBÜRGERMEISTER

1995 trat Platzeck in die SPD ein, wo er schnell zum Hoffnungsträger avancierte. 1997 wurde er als „Deichgraf“ beim Oderhochwasser bundesweit bekannt. 1998 ließ er sich zum Oberbürgermeister von Potsdam wählen, um einen Sieg der PDS zu verhindern. Er sorgte dafür, dass Potsdam aus den Negativ-Schlagzeilen kam.

DER MINISTERPRÄSIDENT

Nach dem Rücktritt Stolpes 2002 erfolgte die Staffelübergabe reibungslos. In seinen ersten zwei Jahren als Ministerpräsident begann Platzeck vorsichtig umzusteuern. Am 19. September 2004 gewann er trotz des Bundestiefs der SPD die Landtagswahl knapp vor der PDS. Platzeck hat für die kommenden Jahren einen Erneuerungskurs angekündigt.

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