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Politik: Markt zwischen Trümmern

Die Menschen von Bagdad fühlen sich ohnmächtig dem Bombenkrieg ausgesetzt – und versuchen tagsüber zum Alltag zurückzukehren

Jetzt ist es deutlich zu sehen, wie heruntergekommen und schmutzig Bagdad ist. Türen hängen schief, Fenster sind zerbrochen, Treppen ausgetreten und Gehsteige haben Löcher. Bagdad ist aber nicht etwa in diesen zwölf Kriegstagen so auf den Hund gekommen, es bietet sich einfach eine bessere Sicht auf alles. Die bunten Straßenhändler sind verschwunden, die vielen herumrennenden Kinder ebenfalls, und weder flatternde Hemden noch lange Gewänder bedecken die grauen Fassaden. Nur wenige Menschen eilen in dieser düsteren Stadt in ihre Stammcafés oder erledigen rasch ein paar Einkäufe.

Aber am Montag hatte es den Anschein, als würde Bagdad wieder zu sich zurückfinden, als habe die Stadt ausgeschlafen und sei wieder zum Leben erwacht und das, obwohl die Bomben die ganze Nacht lang bis zum Morgen gedröhnt hatten. Die Leute haben sich an das Wüten des Krieges und an die Bomben gewöhnt.

„Heute hatte ich es einfach im Gefühl, dass es an der Zeit ist, aufzumachen“, sagt Maithem Hashim. Er steht hinter vollen Körben mit getrockneten Aprikosen, Pistazien, Mandeln und einer Menge Gewürzen in Tüten. „Vor zwei Wochen habe ich alle Waren mit nach Hause genommen. Aber jetzt habe ich das meiste wieder zurückgebracht“, sagt er. „Jetzt habe ich zwei Wochen lang zu Hause gesessen. Das ist noch nie passiert. Die Kinder sind überglücklich und glauben, dass es jetzt jeden Tag ein Picknick mit Papa gibt.“ Maithem lacht, wird aber rasch wieder ernst. „Das ist tagsüber und kann ihre Angst in der Nacht nicht aufwiegen. Wenn die kräftigen Explosionen das Haus erzittern lassen, weinen sie.“

Die meisten Stände in der Nachbarschaft von Maithem und seinem Freund Ali sind immer noch leer. Neun von zehn Buden auf dem Markt in Bagdad sind geschlossen. „Ich glaube, die meisten werden im Lauf der nächsten Tage wieder öffnen. Mehrere der Besitzer der anderen Stände kamen heute nachschauen. Und als sie uns gesehen haben, wollten sie auch nicht zurückstehen“, sagt Maithem. „Aber heute haben wir den Markt für uns“, meint er gut gelaunt und wiegt Erdnüsse in einer Tüte ab.

Noch hat es nicht den Anschein, als gebe es Probleme mit den Lieferungen. Der Obst- und Gemüsemarkt quillt fast vor Waren über. Aber die Preise sind gestiegen. Orangen kosten fast das dreifache, dasselbe gilt für Bananen, Tomaten und andere Frischwaren. „Wer nicht arbeitet, hat nichts zu essen“, meint der Teeverkäufer Haidar gut gelaunt. Um ihn herum stehen mehrere Männer. Haidar gießt starken arabischen Tee in kleine Gläser. „Was sollen wir machen? Wir können nur versuchen, zu leben so gut es geht.“

An einem Gebäude direkt am Markt haben sich die Leute gesammelt. Sie betrachten das Ergebnis des nächtlichen Bombenangriffs. Eine von Bagdads Telefonzentralen hat Totalschaden erlitten. Das Dach ist weg, und nur noch ein paar Mauern stehen. Kabel hängen abgerissen in der Luft. Betonbrocken und kaputte Möbel liegen überall herum. „Ist es etwa das, was die sich unter der Einführung der Demokratie vorstellen?“, fragt ein älterer, gut gekleideter Herr. „Sie sind Monster. Wir Iraker werden es nie hinnehmen, dass uns jemand besetzt.“

Nach der Zerstörung dieser Zentrale funktioniert im ganzen Stadtteil kein Telefon mehr. Das betrifft 25 000 Familien. „Was für ein Krieg soll das sein? Den Leuten die Möglichkeit zu nehmen, miteinander zu kommunizieren?“, fragt ein Mann, der dort arbeitet. „Ein kleiner Junge ist von der Bombe getötet worden. Er wohnte in einer Wohnung direkt nebenan. Ich habe ihn selbst ins Krankenhaus gebracht. Das Blut lief ihm aus der Nase und aus dem Mund. Er ist an inneren Verletzungen gestorben, die der enorme Luftdruck verursacht hatte. Er wurde nur fünf Jahre alt“, sagt der Arbeiter der Telefongesellschaft.

Asne Seierstad[Bagdad]

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