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Politik: Marokko: Der "König der Armen" kämpft für Reformen - Vor einem Jahr bestieg Mohammed VI. den Thron

"Mohammeds schwierigste Aufgabe besteht darin herauszufinden, wieviel Reformen unser Land verträgt", sagten Intellektuelle bei der Thronbesteigung des marokkanischem Königs vor einem Jahr. Offenbar verträgt Marokko eine Menge.

"Mohammeds schwierigste Aufgabe besteht darin herauszufinden, wieviel Reformen unser Land verträgt", sagten Intellektuelle bei der Thronbesteigung des marokkanischem Königs vor einem Jahr. Offenbar verträgt Marokko eine Menge. Der 36jährige Monarch brach mit der eisernen Herrschaft seines Vaters Hassan II, der am 23. Juli 1999 mit 70 Jahren gestorben war. Noch in der Nacht des Todes wurde Mohammed VI. als neuer König ausgerufen. Kaum war sein Vater beerdigt, machte sich der Sohn an die Herkulesaufgabe, sein heruntergekommenes Königreich umzukrempeln.

Er versprach mehr Menschenrechte, mehr Freiheiten, sagte der Armut den Kampf an. Folter und politische Morde, die während der 38jährigen Gewaltherrschaft von Hassan II. an der Tagesordnung waren, werden seitdem untersucht, noch lebende Opfe entschädigt. Inhaftierte Regimegegner wurden freigelassen, zuletzt sogar der bisherige Staatsfeind Nummer eins, Islamistenführer Abdessalam Yassine, den Hassan II 1989 unter Hausarrest gestellt hatte.

Mohammeds spektakulärster Schritt war die Entlassung des mächtigen Innenministers Driss Basri, der gleich nach Hassan II. einflussreichster Mann im Königreich war. Basri galt im Volk als "Marokkos Henker", des Königs Vollstrecker der Unterdrückung von Demokratie und Menschenrechten. Mit Basri mußten gleich Dutzende Ewiggestrige gehen: Der junge König besetzte im Handstreich alle Schlüsselpositionen im Land mit seinen Vertrauten. Großreinemachen am Hof, der in Marokko politisch wie wirtschaftlich bis heute die Fäden zieht.

Die Nagelprobe, wie ernst es der König mit dem demokratischen Aufbruch meint, steht in zwei Jahren an: Die Parlamentswahlen, deren Ergebnisse in der Vergangenheit nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten. "Marokko hat eine Menge zu tun in Hinsicht auf die Demokratie", gestand der König jüngst zu und warnte vor zu großen Erwartungen. "Es wäre ein Fehler zu versuchen, ein westliches demokratisches System auf ein Land des Maghrebs zu übertragen." Mohammed ließ offen, wohin die politische Reformreise gehen soll.

Mohammeds größtes Problem mit demokratischen Wahlen dürfte sein, dass die Islamisten zum entscheidendem politischen Faktor aufsteigen könnten. "Wir sind Missionare des Islam", sagt ihr Führer Scheich Yassine. Seine Parolen vom Kampf gegen Armut, Korruption und Ungerechtigkeit fallen im zerrütteten Marokko auf fruchtbaren Boden. Ein Land vor der Tür Europas mit 30 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte Analphabeten sind, keinen Trinkwasser- und Stromanschluss haben, ein gutes Drittel lebt nahe der Armutsgrenze.

"Wenn wir mit unserer Mission der Reformen scheitern", sagt Marokkos sozialistischer Regierungschef Abderrahman Youssoufi, "könnte die Tendenz, den Islam als politisches Programm zu benutzen, explodieren." Noch zehrt der junge König von seinem Ruf, ein Modernisierer und Reformer zu sein. "König der Armen", wird er gar zuweilen genannt, weil er sich im Unterschied zu seinem Vater für das Schicksal des Volkes interessiert. Doch in der Zukunft wird Mohammed VI vor allem beweisen müssen, dass er den verarmten Koloss Marokko wirtschaftlich auf die Beine bringen kann.

Ralph Schulze

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