zum Hauptinhalt
Die Mutter des sechsjährigen Jakob und des vierjährigen Valentin arbeitet Zuhause an einem Laptop, während ihre Kinder neben ihr malen und ein Buch ansehen.

© dpa

Martenstein: Generation Corona

Die Coronakrise wirkt sich auf die Kinder sehr unterschiedlich aus. Was wird aus dieser Generation werden? Das fragt sich unser Autor.

Auf „jetzt.de“ habe ich den Text einer Journalistenkollegin gelesen, die ihr Corona-Wochenende so beschreibt: „Kochen, Katzenvideos gucken, ausruhen.“ Ich dachte immer, ich sei nicht besonders neidisch. Und nun beneide ich andere sogar darum, dass sie in Ruhe Katzenvideos gucken können.

Leute, die Kinder haben, sind seit Wochen im Dauerstress, das soll jetzt aber bitte nicht als Gejammer rüberkommen. Dank einer großen Wohnung sind wir privilegiert.

Mich wundert, dass nicht jeden Tag einige Berliner Alleinerziehende mit einem Nervenschaden in der Notaufnahme landen. Sie arbeiten zum Beispiel im Homeoffice. Ein Raum ihrer Zweiraumwohnung ist das Office, im anderen Raum dekonstruiert eine wissbegierige Dreijährige die Einrichtung.

Bei alldem sollte man sich sagen: Die Schlacht von Waterloo oder der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull auf Island waren fordernder.

Was brauchen kleine Kinder? Zum Beispiel Bewegung, Spiel, Gleichaltrige, kleine Abenteuer, Lernen, all das, was es früher in den Großfamilien und auf der Straße gab und wofür heute Kitas, Kindergärten und Sportvereine zuständig sind. Besser gesagt: waren, vor Corona.

Einzelkinder sind unausgelastet

Die Kitas werden in Berlin Schritt für Schritt wieder geöffnet, aber die Regeln sind kompliziert. Anfang August sollen die letzten Kinder an die Reihe kommen. Sie haben sich durch die Isolation verändert, vor allem die Einzelkinder. Sie sind unruhiger geworden, aggressiver, sie sind unausgelastet.

Die Angebote im Netz und die Eltern waren kein wirklicher Ersatz, die Großeltern fielen wegen Corona eh aus. Die Kinder haben öfter vor dem Bildschirm gesessen, als ihnen guttut. Erwachsene, die Opfer häuslicher Gewalt werden, können übrigens anrufen, kleine Kinder nicht.

Ob ein Kind bald wieder mit Freunden spielen darf, hängt davon ab, ob die Eltern als „systemrelevant“ gelten. Die Kinder selbst gelten nicht als systemrelevant.

Das Arztkind aus der 150-Quadratmeter-Wohnung durfte sowieso und zu Recht in den Kindergarten, das system-irrelevante Arbeitslosenkind aus den zweieinhalb Zimmern aber darf womöglich Ende Juli immer noch nicht.

Wie Vorschulkinder aus bildungsfernen Familien nach so langer Isolation im Herbst mit der Schule zurechtkommen sollen, ist eines der vielen Coronarätsel. In Nordrhein-Westfalen darf Ikea wieder öffnen, wie alle Möbelmärkte. Begründung: Viele Arbeitsplätze in NRW hängen von der Möbelbranche ab. Da geht man ins Risiko.

Dass in einer völlig neuen Situation auch Fehler gemacht werden, ist unvermeidlich. Und dass es zu den derzeitigen Vorsichtsmaßnahmen keine grundsätzliche Alternative gibt, leuchtet fast allen ein. Wir müssen durchhalten. Die Generation Corona, die Kinder von heute, zahlt einen hohen Preis dafür.

Zur Startseite