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Der Brexit-Unterstützer Boris Johnson.

© AFP

Martenstein über den Brexit und die Folgen: Johnson und Farage sind keine Feiglinge

Die Briten Boris Johnson und Nigel Farage drücken sich keineswegs vor der Macht. Oder würde man auch bei Gauck sagen, dass er sich davonschleicht? Ein Kommentar.

Kennen Sie Johann Peter Hebel? Badischer Autor, gestorben 1826. Er hat schöne Geschichten geschrieben, etwa diese. Ein Vater wandert mit dem halbwüchsigen Sohn und einem Esel durchs Land. Im ersten Dorf rufen die Leute: „Die haben einen Esel, aber sie laufen! Wie blöd!“ Im zweiten Dorf reitet der Vater den Esel. Die Leute schimpfen. Ein böser, schlechter Vater, den armen Jungen lässt er laufen. Im nächsten Dorf machen sie es umgekehrt. Nun sagen die Leute, es sei gemein, dass der kräftige Junge den Älteren zu Fuß gehen lässt. Als sie sich beide auf den Esel setzen, ist das natürlich Tierquälerei. Jetzt binden sie dem Esel die Füße, hängen ihn über einen Ast und tragen den Esel. Das finden die Leute auch nicht gut.

Daran musste ich denken, als der konservative EU-Kritiker Boris Johnson erklärte, dass er sich nicht um das Amt des britischen Premiers bewirbt, und als Nigel Farage als Vorsitzender der Anti-EU-Partei Ukip zurücktrat. Vor der Brexit-Abstimmung hieß es immer, diese beiden seien skupellose Karrieristen, die den Brexit-Zirkus aus Machtgier veranstalten. Jetzt hieß es, sie seien verantwortungslose Feiglinge, die sich vor der Macht drücken. „Die Zündler schleichen sich davon“, so die „Süddeutsche“.

Im Fernsehen bliesen sie in jede verfügbare Fanfare, um die beiden als Charakterschweine darzustellen. Da ging es nicht um Meinungen, sondern darum, Personen menschlich herunterzumachen, woher kenne ich das bloß? Donald Trump? DDR, „Schwarzer Kanal“? Eine demokratische Abstimmung heißt, falls man sie verliert, „Zündeln“, der Verzicht auf eine Kandidatur heißt, wenn der Kerl auf der falschen Seite steht, „Davonschleichen“. Würde man das auch bei Joachim Gauck sagen? Oder bei Ole von Beust, der keine Lust mehr hatte, Hamburger Bürgermeister zu sein?

Johnson sah, dass er keine Chance hatte, in der Partei eine Mehrheit zu finden. Dass man sich eine sichere Niederlage erspart, ist die tausendfach geübte Praxis bei Politikern jeder Couleur und hat nichts Ehrenrühriges. Farage ist krank, hat sein politisches Ziel erreicht und will angeblich noch was anderes im Leben sehen als Parteisitzungen. Man kann diese beiden für alles Mögliche kritisieren, aber doch nicht dafür.

Wenn man bei uns Leute politisch ablehnt, dann können die nichts richtig machen. Wenn sie am Morgen Milch trinken statt Kaffee, dann beweist dies nur, dass sie Weicheier sind. In Wirklichkeit können Leute, die man politisch ablehnt, doch durchaus Menschen sein, vielleicht haben sie in zwei von zehn Punkten auch mal recht. Das Freund-Feind-Denken wird immer schlimmer, vielleicht ist dafür das Wort „Zündeln“ gar nicht so verkehrt. Der Mensch, der den Brexit in Gang gesetzt hat, heißt übrigens nicht Johnson, sondern Cameron.

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