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Marwa El-Sherbini: Schuld ohne Zweifel

Lebenslang lautet das Urteil; die Schuld wiegt besonders schwer; eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren scheint unwahrscheinlich. Die Ermordung von Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal war eine geplante Tat, kein Affekt.

Es ist noch einmal voll geworden im Saal 0.84 des Dresdner Landgerichts. Publikum und Presse, deutsche und arabische, drängen sich vor den Sicherheitsschleusen. Dabei ist bis zuletzt unklar, ob an diesem Tag ein Urteil gefällt wird. Praktisch in letzter Minute hatte ein Schreiben aus der russischen Wehrverwaltung die Möglichkeit eröffnet, der im russischen Perm geborene Angeklagte könne doch, anders als der psychiatrische Gutachter es sah, geisteskrank und damit eingeschränkt schuldfähig sein. Das Wort „Schizophrenie“ steht in den Dokumenten, und die Verteidiger von Alex W., dem 28-jährigen Mann, der vor vier Monaten Marwa el-Sherbini ein paar Türen weiter mit 16 Stichen umbrachte, wollten ein weiteres Gutachten. Doch die Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts, Richterin Birgit Wiegand, schafft wenige Minuten nach 14 Uhr Klarheit: Der Angeklagte ist des Mordes schuldig, er erhält eine lebenslange Freiheitsstrafe. Nach Ansicht der Kammer wiegt seine Schuld zudem besonders schwer – damit wird es ihm unmöglich gemacht, schon nach fünfzehn Jahren das Gefängnis zu verlassen.

Das deutsche Recht kennt mehrere Merkmale, um einen Mord von einem Totschlag zu unterscheiden, darunter Heimtücke und niedrige Beweggründe. Sie sind nach Meinung der Kammer beim Angriff auf Marwa el-Sherbini erfüllt worden. Was die Heimtücke angeht, sagt die Richterin, habe man „selten einen Fall, wo das so klar und eindeutig ist“. Marwa el-Sherbini sei „eindeutig arg- und auch wehrlos“ gewesen, als sich Alex W. am 1. Juli auf sie stürzte. Sie konnte von diesem Angriff „nicht ausgehen, sonst hätte sie ihren Sohn nicht mit zum Gericht genommen“. Als niedrige Beweggründe kommt neben dem ausgeprägten, immer wieder geäußerten Fremdenhass des Angeklagten – die Kammer sieht dieses Motiv „als erfüllt an“ – auch sein Wunsch nach Rache an Marwa el-Sherbini infrage, die ihn wegen seiner massiven Beleidigungen auf einem Spielplatz angezeigt hatte. Als Reaktion auf eine „absolut gerechtfertigte Anzeige“, so stellt Richterin Wiegand fest, sind auch Rache, Wut und Hass nach geltender Rechtsprechung niedrige Beweggründe. Ebenso klar sei sein Vorsatz zur Tat gewesen. Dass W. ein Messer mit einer 18 Zentimeter langen Klinge zu seiner Verteidigung ständig bei sich getragen habe, sei eine Schutzbehauptung, schon weil es dazu völlig ungeeignet sei.

Fast zwei Stunden lang begründet Wiegand das Urteil. Zu Beginn bittet sie den Saal „um etwas Geduld – es ist einiges zu sagen.“ Besonders gründlich hat sich das Gericht mit der Person des Angeklagten und seiner Zurechnungsfähigkeit auseinandergesetzt. Er selbst hat es seinen Richtern schwer gemacht, schwieg und zeigte sich kaum einmal hinter eines Maskerade aus Kapuze, Wollmütze, zeitweise einer Sonnenbrille. Ein Sonderling sei er, der sich vom Leben und insbesondere von „Bürokraten“ ungerecht behandelt fühlte. Er sei selbstbezogen, depressiv, und seine „Verhaltensauffälligkeiten“, die sehe „jeder, der hier im Saal sitzt. Abstriche an seiner Schuldfähigkeit bedeute das alles aber nicht: „Von einer Einengung in seinem Bewusstsein ist nach Meinung der Kammer nichts zu spüren.“ Alex W. hat nach ihrer Auffassung auch nicht im Affekt gehandelt. Er sei planmäßig und zielgerichtet vorgegangen, „völlig ruhig und geräuschlos“ habe er unbemerkt sein Messer mit der angeschliffenen Klinger aus dem Rucksack genommen und den Zeitpunkt abgewartet, zu dem sein Opfer nicht mehr in der Lage war, ihm auszuweichen.

Im Fall von Marwa el-Sherbinis Ehemann geht das Gericht von versuchtem Mord aus – allerdings könne man hier zugunsten des Angeklagten mit Sicherheit nur feststellen, dass er ihn töten wollte, weil er sich ihm in den Weg stellte. Andere Motive, sagt Wiegand, „können wir nicht sicher nachweisen“. Elwy Okaz, kam beim Angriff von Alex W. selbst nur mit knapper Not mit dem Leben davon und wurde durch den irrtümlichen Schuss eines Bundespolizisten so verletzt, dass er möglicherweise nie wieder wie zuvor wird gehen können. Gegen den Beamten wird noch ermittelt.

Okaz, seinem kleinen Sohn und den Eltern von Marwa el-Sherbini hat das Gericht den Ersatz aller „materiellen und immateriellen Schäden“ zugesprochen, die ihnen durch den Tod der Frau, Mutter und Tochter entstanden sind. Das hatten sie als Nebenkläger gefordert. Der Anwalt des Verurteilten kündigte an, eine Revision gegen das Urteil zu prüfen. Die Verteidigung hatte wegen verminderter Schuldfähigkeit eine Verurteilung wegen Totschlags und versuchten Totschlags beantragt. Der Nebenklage-Anwalt Heiko Lesch, der den Ehemann der Getöteten vertritt, zeigte sich mit dem Urteil zufrieden: „Ich bin froh, dass der Täter seiner gerechten Strafe zugeführt wird.“

Auch die ägyptische Regierung begrüßte die Gerichtsentscheidung. Das Gericht habe mit seinemUrteil die nach deutschem Recht härteste Strafe verhängt und warne damit diejenigen, deren Handeln von Hass bestimmt sei. Damit sei „der Gerechtigkeit Genüge getan“, erklärte der Sprecher des Außenministeriums in Kairo, Hossam Saki. Der Bruder des Opfers, Tariq el-Sherbini, kritisierte hingegen, dass Alex W. nach deutschem Recht die Chance habe, wieder freizukommen. „In Ägypten wäre lebenslang auch lebenslang.“ Für die fehlenden Sicherheitskontrollen in dem Beleidigungsprozess am 1. Juli und die zu späte Hilfe für seine Schwester werde niemand zur Verantwortung gezogen. Er wolle vor ein internationales Gericht ziehen, sagte der Bruder von Marwa el-Sherbini, um dort die Bestrafung der Verantwortlichen zu erreichen.mit dpa/AFP

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