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Folterspuren. Ein Syrer zeigt seine Wunden, nachdem das Assad-Regime ihn freiließ. Die Bundesanwaltschaft hat jetzt einen Arzt angeklagt, der für den Diktator Gefangene misshandelt haben soll

© James Lawler Duggan/AFP

Massive Menschenrechtsverletzungen in Syrien: Bundesanwaltschaft klagt syrischen Arzt und deutsche IS-Frau an

Der Orthopäde Alaa M. soll für das Assad-Regime Gefangene gefoltert haben. Die IS-Frau Leonora M. war offenbar an der Versklavung einer Jesidin beteiligt.

Von Frank Jansen

Beide Geschichten künden von der extremen Brutalität im syrischen Bürgerkrieg. Die Bundesanwaltschaft hat jetzt gegen einen Arzt, der in Militärkrankenhäusern in Syrien eingelieferte Häftlinge gefoltert haben soll, Anklage wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Das ist ein Novum. Erstmals klagt die Bundesanwaltschaft einen Syrer an, der eigenhändig für das Regime von Diktator Assad gefoltert haben soll.

Im zweiten Fall geht es um eine deutsche Dschihadistin, die sich bei der Terrormiliz „Islamischer Staat“ an der Versklavung einer gefangengenommenen Jesidin und ihrer zwei Kinder beteiligt haben soll. Hier lautet die Anklage der Bundesanwaltschaft unter anderem auf Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die Behörde teilte am Mittwoch in beiden Fällen mit, dass Anklage erhoben wurde. Eine Verbindung zwischen den mutmaßlichen Verbrechen des Arztes und der Islamistin gibt es nicht. Die Fälle zeigen indes wieder einmal, dass im syrischen Bürgerkrieg fast überall Menschenrechtsverletzungen üblich sind.

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Der Arzt Alaa M. wurde im Juni 2020 in Hessen festgenommen. Er war 2015 in Deutschland eingereist - nicht als Geflüchteter, sondern mit einem Visum der deutschen Botschaft in Beirut. Die Bundesrepublik benötigt Ärzte, Alaa M. war als Orthopäde willkommen . Er praktizierte in Kliniken in Bad Wildungen und Hessisch Lichtenau, dort galt er als unauffällig. Doch die Bundesanwaltschaft kam dem Mann durch Aussagen syrischer Folteropfer auf die Spur. Auch zwei ehemalige Kollegen von M. aus dem Militärkrankenhaus in der syrischen Stadt Homs belasteten Alaa M. Die Bundesanwaltschaft nennt nun 18 Fälle von Folter.

Schläge und Tritte ins Gesicht, ein Opfer zu Tode gespritzt

Der Arzt soll von April 2011 bis Ende 2012 in Militärkrankenhäusern in Homs und Damaskus Gefangene gequält haben. Die Bundesanwaltschaft spricht von Schlägen in Gesicht und Körper von Opfern, von Stiefeltritten, von gequetschten Körperteilen, von angezündeten Wunden. Einem Häftling soll der Arzt eine Substanz gespritzt haben, an der das Opfer nach wenigen Minuten starb. Ein weiterer Gefangener, der an epileptischen Anfällen litt, soll von Alaa M. eine Pille erhalten haben und kurz darauf verstorben sein. In dem Fall sei die Todesursache aber nicht eindeutig geklärt, sagt die Bundesanwaltschaft. Alaa M. bestreitet alle Vorwürfe.
Im Februar hatte das Oberlandesgericht Koblenz einen syrischen Geheimdienstler, der Gefangene der Folter zugeführt hatte, zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Prozess gegen einen mitangeklagten Geheimdienstmann läuft noch.
Der Fall der Islamistin Leonora M. gehört mutmaßlich zu jenen Verbrechen der Terrormiliz IS, an denen Deutsche beteiligt waren. Die Frau aus Sachsen-Anhalt kam 2015 als Jugendliche nach Syrien. Mit gerade mal 15 Jahren heiratete sie den deutschen Dschihadisten Martin L., der auch aus Sachsen-Anhalt kam und für den Geheimdienst des IS tätig war.

Jesidin und ihre Kinder "mit Gewinn" verkauft

Martin L. kaufte nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft im Juni 2015 eine 33-jährige Jesidin und deren Kinder. Die Terrormiliz hatte bei ihren Eroberungen im Nordirak die als ungläubig geltenden Jesiden angegriffen. 5000 Männer wurden getötet, mehr als 7000 Frauen und Kinder verschleppt. Die Vereinten Nationen sprechen von Völkermord.
Leonora M. und ihr Mann sollen in ihrer Wohnung im syrischen Rakka eine Jesidin und deren Kinder untergebracht haben. Die Frau sei „gepflegt“ worden, damit sie „mit Gewinn weiterverkauft werden konnte“, sagt die Bundesanwaltschaft. Das soll auch geschehen sein. Eine Summe nennt die Bundesanwaltschaft nicht. Leonora M. wird auch vorgeworfen, sie habe für den IS-Geheimdienst die Frauen von IS-Kämpfern ausgeforscht. Außerdem soll M. eine Frau in Deutschland aufgefordert haben, sich dem IS anzuschließen. Leonora M. stellte sich 2019 kurdischen Einheiten, Ende 2020 kam sie nach Deutschland zurück und in Untersuchungshaft. Einen Monat später kam sie unter Auflagen frei.

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