zum Hauptinhalt

Politik: "Matthias Platzeck ist kein Halbtoter"

Manfred Stolpe über die Zukunft seines Nachfolgers und die Probleme der SPD in der großen Koalition

Herr Stolpe, können die Brandenburger sicher sein, dass ihr Ministerpräsident bis zum Ende der Wahlperiode immer noch Matthias Platzeck heißt?

Ja, da bin ich sicher. Und ich wünsche mir, dass er 2009 die Landtagswahl überzeugend gewinnt und weitere fünf Jahre als hochanerkannter Ministerpräsident wirken kann.

Kann sich ein Land im Umbruch einen Ministerpräsidenten leisten, der mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat?

Wir reden über einen Hörsturz. Das ist ja nicht so ganz ungewöhnlich, und das kann man auch behandeln. Bei der Heilung hilft in aller Regel auch der Faktor Zeit. Ich kenne jedenfalls niemanden, der wegen eines Hörsturzes das politische Geschäft aufgegeben hat.

Platzeck hat auch einen Nervenzusammenbruch erlitten, wie wir inzwischen wissen. Ursprünglich hatte es geheißen, er habe nur eine Grippe.

Wir sollten hier nicht über Matthias Platzeck reden, als ginge es um einen Halbtoten. Er hatte unter der Doppelbelastung in Potsdam und Berlin zu leiden, dazu kam der Hörsturz, und dann kann man schon verzagen. Wahrscheinlich war das gemeint, als er von Nervenzusammenbruch sprach. Aber die Doppelbelastung ist ja jetzt vorbei.

Als Platzeck Bundesvorsitzender der SPD wurde, hieß es in der Landespartei, daraus ergäbe sich eine große Chance für Brandenburg. Muss man jetzt im Umkehrschluss von einem Bedeutungsverlust für das Land reden?

Nein, denn die Gründe des Rücktritts spielen eine große Rolle bei der Bewertung. Wäre er politisch und in Sachfragen gescheitert, könnte man vielleicht von einem Bedeutungsverlust sprechen. Aber da Matthias Platzeck gesagt hat, dass er seine Kräfte überschätzt hat und sich deshalb jetzt auf seine Aufgaben im Land konzentriert, ergeben sich für Brandenburg und die hiesige SPD daraus keine Nachteile. Überhaupt registriere ich im Land viel Respekt für Platzecks Entscheidung, auch wegen seiner Ehrlichkeit. Es hat ihn ja niemand gezwungen, seine Situation mit dem Wort Nervenzusammenbruch zu benennen.

Sie sehen ihn als Ministerpräsident nicht geschwächt?

Ich erlebe nur, dass alle froh sind, dass er da ist. Selbst die Opposition in Brandenburg hat ja mit großer Zurückhaltung reagiert. Das zeigt, wie fest er hier im Sattel sitzt.

Kann Platzeck in Brandenburg so weitermachen wie bisher – als Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzender in einer Person?

Vieles spricht dafür.

Sie haben Matthias Platzeck immer gefördert, man könnte auch sagen, Sie haben ihn ein bisschen getrieben. Haben Sie sein Stehvermögen überschätzt?

Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Platzeck ist wesentlich schneller als ich, er ist viel gründlicher und außerdem direkter im Umgang mit den Menschen. Das sind große Vorzüge, aber sie fordern einen Menschen auch stark. So jemand braucht hin und wieder Auszeiten, und er braucht Sport als Ausgleich. Beides hat es nach der Übernahme des SPD-Bundesvorsitzes im November 2005 nicht mehr gegeben.

Vielleicht wäre es besser gewesen, den SPD-Vorsitz von vornherein dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck zu überlassen?

Dann hätte Beck die Wahl in Rheinland-Pfalz möglicherweise verloren. Deshalb stand er gar nicht zur Verfügung, und deshalb hatte Matthias Platzeck auch keine Wahl. Insofern war der SPD-Vorsitz für ihn auch ein Opfergang. Dazu kam, dass man als SPD-Vorsitzender kurzfristig schwer einen Blumentopf gewinnen und kaum greifbare Erfolge erzielen kann.

Warum kann Angela Merkel erfolgreich CDU-Vorsitzende und Kanzlerin sein, Matthias Platzeck aber nicht SPD-Vorsitzender und Brandenburger Ministerpräsident? Ist die CDU pflegeleichter als die SPD?

Das glaube ich nicht. Merkels Vorteil ist, dass sie seit 1990 durch eine harte Schule gegangen ist und sich in der Regierung Kohl und als Oppositionsführerin alle Machttechniken auf Bundesebene angeeignet hat. Diese Erfahrung hat Matthias Platzeck gefehlt.

Platzeck wollte als Vorsitzender mit Vizekanzler Franz Müntefering und Fraktionschef Peter Struck in einem Team arbeiten. Wurde er von den beiden anderen Genossen in dieser Troika ausreichend unterstützt?

Vielleicht hat er den Teamgedanken zu sehr aus einer Art Gutmenschenhaltung entwickelt. Es mag da bei ihm auch unterschwellige Enttäuschungen gegeben haben.

Sie sagen, als SPD-Vorsitzender könne man derzeit keinen Blumentopf gewinnen. Woran liegt das?

Die Kanzlerin agiert geschickt, sie kommt im Zusammenspiel mit Franz Müntefering immer wieder zu Ergebnissen, während der SPD-Vorsitzende einerseits den Erfolg der großen Koalition wollen, andererseits die Meinungen an der SPD-Basis genau beachten muss. Das ist keine komfortable Situation.

Hat die Schwäche der Sozialdemokratie nicht auch tiefergehende Gründe?

Die Lage meiner Partei hat sicher mit der Sorge der Menschen zu tun, dass die SPD in der großen Koalition eine konservative Politik light machen könnte, bei der die kleinen Leute mehr und mehr die Verlierer werden.

Heißt das, die SPD muss ihren Kurs korrigieren?

Nein. Aber sie muss den Menschen erklären, was sie bei der Agenda 2010 versäumt hat: nämlich dass die Reformen alternativlos sind. Ich würde auch bei der Gesundheitsreform dringend empfehlen, erst ausführlich zu erläutern, warum Veränderungen notwendig sind, und die Menschen nicht wieder vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Müsste die SPD den kleinen Leuten nicht sagen, dass sie ihnen in Zeiten der Globalisierung nur noch eingeschränkt Schutz bieten kann?

Wir können schon manche Härten vermeiden. Aber das macht es für die SPD nicht leichter. Sie ist in der großen Koalition auf die Rolle festgelegt, Schlimmeres zu verhindern, und das ist undankbar, zumal auch die Kanzlerin in diesem Teich fischt.

Matthias Platzeck hat der SPD vor seinem Rücktritt ein paar Thesen für das neue Grundsatzprogramm hinterlassen, denen sich auch Kurt Beck verpflichtet fühlt. Da heißt es zum Beispiel, der Sozialstaat müsse erneuert werden, bevor er von denen aufgekündigt werde, die meinten, sie könnten ganz auf ihn verzichten. Was muss denn für die Erneuerung des Sozialstaates getan werden?

Wir werden nicht umhinkommen, einige bestehende Regelungen zu ändern, die unter den Bedingungen des brutalen internationalen Wettbewerbs nicht mehr zu halten sind. Es ist ja nicht nur ein böser Trick, wenn Unternehmen über Abwanderung reden. Viele sind eben an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit angelangt.

Ist die große Koalition für die SPD, was für Matthias Platzeck der Parteivorsitz war: ein Opfergang?

Beide Seiten müssen Opfer bringen, auch die CDU. Bundeskanzlerin Angela Merkel macht in der Koalition ja eine im Grunde sozialdemokratische Politik, die sie vor der Wahl noch bekämpft hat.

Trotzdem rufen viele in der SPD nach einem klareren Profil.

Das ist in der Tat merkwürdig. Es hat sicher mit den schlechten Umfragen für die SPD zu tun. Dann sucht man nach einer einfachen Erklärung, ruft nach mehr Profil und macht so einen Vorsitzenden kaputt.

Herr Stolpe, Sie haben 2002 vorhergesagt, Matthias Platzeck sei in spätestens zehn Jahren Bundeskanzler. Damit ist es jetzt vorbei, oder?

Das ist nicht vorbei. Erstens hat die SPD nicht so viele Talente von seinem Kaliber. Die Fähigkeit, auf Menschen zugehen zu können und ihnen zu verstehen zu geben, dass man ihre Belange ernst nimmt und sich darum kümmert, ist eine ganz besondere Gabe, über die manche andere, die jetzt über eigene Kanzlerkandidatur-Ambitionen nachdenken mögen, nicht verfügen. Und zweitens setze ich darauf, dass sich der ehrliche Politikstil von Politikern wie Matthias Platzeck durchsetzen wird.

Sie glauben wirklich an eine zweite Chance?

Jetzt lassen Sie Matthias Platzeck mal eine weitere Wahlperiode erfolgreich regieren. Das war doch kein Rückzug auf Lebenszeit.

K ann jemand, der einen Nervenzusammenbruch eingestehen musste, in Deutschland Bundeskanzler werden?

Aber sicher. Nicht morgen und nicht übermorgen. Aber nach einem starken Vertrauensbeweis bei der Landtagswahl 2009 ist das durchaus möglich. Die Tür für Berlin ist jedenfalls nicht zu.

Herr Stolpe, mehr als anderthalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung melden sich verstärkt ehemalige Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit zu Wort und verklären ihre einstige Rolle als Ausdruck einer Rechtsstaatlichkeit der DDR. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Man hat diese Leute fünfzehn Jahre untereinander reden lassen und keine echte Auseinandersetzung mit ihnen geführt. Eine Debatte, die ihnen eine andere Sicht hätte nahelegen können, hat es nicht gegeben. Stattdessen haben sie sich untereinander beweihräuchert. Jetzt wird man einfach zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie als wahlberechtigte Mitglieder dieser Gesellschaft von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen, ob uns das passt oder nicht. Wenn uns das nicht gefällt, dann müssen wir uns eben stärker mit diesen Leuten auseinander setzen.

Das Gespräch führten Gerd Appenzeller, Stephan Haselberger und Michael Mara.

Zur Person

KIRCHENMANN

Nach seinem Jurastudium arbeitete der 1936 in Stettin geborene Manfred Stolpe in der DDR jahrzehntelang als Kontaktperson der evangelischen Kirche zum Staat.

GENOSSE

Nach der Wende waren Pfarrer und Kirchenfunktionäre in der aktiven Politik gefragt, und so trat der Ehrendoktor der Theologie 1990 der SPD bei. Umstritten waren immer wieder die einstigen Beziehungen des DDR-Kirchenjuristen zur Stasi, deren tatsächliches Ausmaß bis heute ungeklärt ist.

REGIERUNGSCHEF

1990 wurde er erster Ministerpräsident des neu geschaffenen Landes Brandenburg. Zwölf Jahre lang blieb er Landesvater, bevor er am 26. Juni 2002 überraschend zurücktrat und das Amt an Matthias Platzeck übergab, mit dem ihn bis heute ein besonderes Vertrauensverhältnis verbindet. Nach der Bundestagswahl 2002 wurde er Verkehrsminister im Kabinett Schröder. Heute ist er Ehrenvorsitzender der Brandenburger SPD. has

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false