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Mauerfall: 20 Jahre danach: Da ist noch was zu tun

Die Mauer ist zeitlich so weit weg, dass viele Berliner nicht mehr wissen, wo sie stand. Längst ist eine Generation erwachsen, die keine eigene Erinnerung daran hat. Jetzt bestaunen wir ein gigantisches Puzzle zwischen Potsdamer Platz und Reichstag, mit dem am Montag, dem 20. Jahrestag des Mauerfalls, symbolisch nachgespielt werden soll, wie sich der Schrecken der Teilung in grenzenlosem Jubel auflöste.

Die Mauer ist zeitlich so weit weg, dass viele Berliner nicht mehr wissen, wo sie stand. Längst ist eine Generation erwachsen, die keine eigene Erinnerung daran hat. Jetzt bestaunen wir ein gigantisches Puzzle zwischen Potsdamer Platz und Reichstag, mit dem am Montag, dem 20. Jahrestag des Mauerfalls, symbolisch nachgespielt werden soll, wie sich der Schrecken der Teilung in grenzenlosem Jubel auflöste.

Gerade weil inzwischen, um eine Formulierung Willy Brandts zu zitieren, vieles zusammenwuchs, was zusammengehört, fällt in all den positiven Wertungen zur Einheit eine Aussage aus dem Rahmen: In beiden Teilen Deutschlands, quer durch alle parteipolitischen Orientierungen, meint eine klare Mehrheit der Menschen, unsere Gesellschaft sei seit der Wiedervereinigung ungerechter geworden. Bei den 35- bis 44-Jährigen glauben das sogar zwei Drittel. Dabei wird die frühere DDR nicht etwa glorifiziert. Im Osten wie im Westen sagen klare Mehrheiten, dieser Staat sei ein Unrechtsstaat gewesen. Die Bürger sind da weiter als Politiker, die weich zeichnen, was jede Erinnerung anders benennen kann.

Einzig die Linke greift das Unbehagen auf, aber die Rezepte, mit denen sie Gerechtigkeit schaffen will, sind jenen ähnlich, deren Scheitern 1989 so offenkundig wurde. Nun ist es leicht, die Ungerechtigkeit der Welt zu beklagen, weil man sich dem Kampf um die vorhandenen Möglichkeiten nicht stellen will, sondern darauf wartet, dass der Staat sie einem zuteilt. Eine solche Anspruchshaltung gibt es, und sie wurzelt beileibe nicht nur in ostdeutscher Sozialisation, sondern war auch in West-Berlin höchst lebendig. Aber als Erklärung des Phänomens greift das zu kurz. Die Zahl der Enttäuschten ist, bis weit in den gerade wieder von Angela Merkel umworbenen Mittelstand hinein, weit größer und alle Parteien überwölbend, als dass man sie so einfach abtun könnte.

In der DDR war der Mangel gleichmäßig – wer möchte, kann sagen: gerecht – verteilt. Chancen hingen vielleicht vom SED-Parteibuch ab, aber auf einem bescheidenen Niveau konnte jeder sein Leben weitgehend frei von Risiken westlicher Gesellschaften gestalten. In der alten Bundesrepublik schuf der kurzzeitig verteufelte und längst wieder zurückgesehnte rheinische Kapitalismus Wohlstand für breite Schichten ohne viele Ausreißer nach unten oder oben. Die meisten Menschen fanden diese Republik im Großen und Ganzen gerecht. Dass sich dieses Empfinden aus objektiv nachvollziehbaren Gründen geändert hat, hängt weniger mit der Wiedervereinigung als mit der Globalisierung zusammen. Unter deren Folgen leiden geringer Qualifizierte mehr als die gut Ausgebildeten. Von den Auswirkungen der jüngsten Krise getroffen werden aber diese wie jene, und die Zahl der Menschen wächst, die sich sicher sind, trotz allen Bemühens um wirtschaftliche Sicherheit einfach keine Chance mehr zu haben.

Bis auf die Linke sind alle Parteien gegenüber diesem Gerechtigkeitsdefizit blind oder hilflos. Eine Gesellschaft jedoch, die von einer wachsenden Zahl ihrer Bürger als ungerecht empfunden wird, hat keine Zukunft. Politik und Parteien müssen sich dazu verhalten. So hilflos allen Einflüssen ausgeliefert, wie viele Akteure uns glauben machen wollen, sind wir nicht. Als es ums Große ging, hat dieser Staat doch gerade bewiesen, dass er handlungsfähig ist.

Gerd Appenzeller

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