zum Hauptinhalt
Farbenspiele im Nordosten. Erwin Sellering (SPD), Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, und der Spitzenkandidat der CDU, Lorenz Caffier (rechts).

© dapd

Mecklenburg-Vorpommern: Wahlsieger Sellering hat die Wahl

Der sozialdemokratische Regierungschef will sich politisch nicht eindeutig verorten lassen. Jetzt kann er sich zwischen der CDU und der Linkspartei als Koalitionspartner entscheiden.

Von Matthias Schlegel

Das lässt er sich nicht nehmen. Schon zehn Minuten nach Schließung der Wahllokale, nachdem im Restaurant „Brinkama’s“ vor dem großen Bildschirm der Jubel über den Wahlsieg ausgebrochen ist, kommt Erwin Sellering zu seinen Genossen hinüber zur Wahlparty. Beschützend den Arm um seine junge Frau Bettina gelegt, drängt er sich durch die Schar der Fotografen und Kameraleute, um dann das kleine Podium zu erklimmen. Nicht nur parteipolitisch ist das hier ein Heimspiel für ihn. Die Gegend ist ihm vertraut, er wohnt nicht weit weg, in diesem Restaurant isst er auch wochentags gern mal italienisch zu Mittag.

Er musste sich nicht Zeit nehmen, eine Ansprache vorzubereiten. Was er am Sonntag in Schwerin seinen Genossen und dann in die Kameras zu sagen hat, konnte er sich seit Wochen zurechtlegen. Denn lange schon war klar, dass der 61-jährige Ministerpräsident für die SPD diese Wahl mit deutlichem Abstand gewinnen würde. „Das habt ihr wunderbar gemacht“, ruft er seinen Wahlkämpfern zu. Und um ein Tröpfchen Demut in den Triumph zu gießen, erinnert er an die Bundestagswahl 2009, als seine Partei in Mecklenburg-Vorpommern „durch ein tiefes Tal gegangen“ sei: 16,6 Prozent. Nun hat sie das Ergebnis mehr als verdoppelt. Und die da unten im Saal wissen, dass sie das vor allem dem Mann da oben mit dem schwarzen Anzug und der roten Krawatte zu verdanken haben. Der als Wessi so wundersam die Ost-Seele zu streicheln vermag, indem er immer wieder darauf pocht, die Lebensleistung der einstigen DDR-Bürger anzuerkennen.

Als sich das Ehepaar Sellering nach dem kurzen Auftritt im Schutze der Bodyguards wieder hinausdrängt, um rechtzeitig in den Fernsehstudios zu sein, schwenkt Sellering noch kurz links ab ins Bierzelt. Ganz hinten sitzt einer, den er rasch umarmt und dem er zuruft: „Wir sehen uns noch“, dann ist er weg. Harald Ringstorff, Sellerings Vorgänger und Ziehvater, bleibt im Schatten des Zeltes zurück.

1994 war Sellering vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nach Greifswald gewechselt. Vier Jahre später holte ihn der damals frisch gewählte Ministerpräsidenten Ringstorff als Abteilungsleiter in die Schweriner Staatskanzlei. Es war der Beginn des bundesweit überaus kritisch beäugten ersten rot-roten Bündnisses auf Landesebene in Deutschland. Auf den pragmatischen Sellering war Verlass, zwei Jahre später wurde er mit dem Posten des Justizministers belohnt. Es sind auch diese politischen Lehrjahre aus der Anfangszeit, die ihm heute zugute kommen – am Kabinettstisch saß er jahrelang mit dem damaligen Arbeitsminister Helmut Holter von der PDS zusammen, der nun als Spitzenkandidat der Linkspartei erneut versucht, seine Partei in die Regierung zu führen.

Im Oktober 2008 schließlich wurde Sellering Ministerpräsident, weil sich Harald Ringstorff mitten in der Legislaturperiode zurückzog. 2006 hatte die SPD den Regierungspartner gewechselt, weil Rot-Rot nach der Landtagswahl nur eine Mehrheit von einer Stimme gehabt hätte, das war den Sozialdemokraten zu unsicher. Also hatte Sellering es als Regierungschef nun mit der CDU zu tun.

Der Spitzenkandidat der CDU, Sellerings Innenminister Lorenz Caffier, hatte sich als loyaler, durchsetzungsfähiger Mitstreiter erwiesen. Das will er gern auch bleiben. Dass die CDU auf das bisher schlechteste Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern zurückgeworfen wurde, löste bei den Christdemokraten keinerlei Selbstkritik, sondern nur mühsam unterdrückten Groll auf den Koalitionspartner aus. „Unser Part in dieser Koalition war mit der Verwaltungsreform der schwierigste“, sagt der 70-jährige Armin Jäger, gebürtiger Berliner, langjähriger Landtagsabgeordneter in Schwerin und Kurzzeit-Innenminister.

Am Wahlabend mögen solche atmosphärischen Störungen noch nachvollziehbar sein. In den nächsten Tagen, wenn es um die Sondierungen für Koalitionsverhandlungen geht, werden sowohl CDU als auch Linkspartei der SPD eher kratzfüßig begegnen. Was Lagerwahlkämpfern kalte Schauer über den Rücken jagt, nämlich mit zwei gegensätzlichen politischen Richtungen zu kokettieren, ist für den Regierungschef, der sich weder rechts noch links verorten lassen mag, eine rein pragmatische Frage, nämlich die nach den Inhalten. Und so sagt er auch an diesem Abend zu dieser Frage nur das, was er seit Wochen sagt: Ob er weiter mit der CDU oder doch mit der Linkspartei gemeinsam regieren werde, hänge davon ab, mit wem er die meisten sozialdemokratischen Anliegen durchsetzen kann: mehr Arbeitsplätze, vernünftige Löhne, einen Mindestlohn, keine neuen Schulden.

Während die Grünen an diesem Abend im „Seglerheim“ ausgelassen ihren Einzug in den Landtag feiern, ist bei den Liberalen Katzenjammer angesagt. Im vornehmen Ambiente des Weinrestaurants Krömer kämpfen sie ihren Frust nieder. Ihren sensationellen 9,6-Prozent-Erfolg von vor fünf Jahren haben sie leichtfertig selbst verspielt. Ein jahrelanger erbitterter Machtkampf zwischen Landeschef Christian Ahrendt und Fraktionschef Michael Roolf hatte die Partei an den Rand des Abgrunds gebracht. Die Basis wählte daraufhin mit dem 38-jährigen Gino Leonhard, früherer Bürgermeister der Insel Hiddensee, einen weithin Unbekannten zum Spitzenkandidaten. Am Ende musste er eine bittere Niederlage eingestehen. Doch an diesem Abend suchen die Nordost-Liberalen den Schuldigen woanders. „Der bundespolitische Trend hat voll durchgeschlagen“, sagte Landesvorstandsmitglied Stev Ötinger. Er gibt dem „Auf und Ab“ um Westerwelle und den sonstigen Berliner Kapriolen die Schuld daran, dass man nun wieder von vorn beginnen müsse.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false