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Rezepte gegen den Ärztemangel? Die niedergelassenen Mediziner sind vom Gesetzentwurf des Gesundheitsministers gar nicht begeistert.

© dpa

Mediziner kritisieren geplantes Versorgungsgesetz: Diagnose mangelhaft

Per Gesetz will Gesundheitsminister Hermann Gröhe nun dem Ärztemangel auf dem Land begegnen. Doch die Mediziner attestieren ihm: Dadurch wird alles nur schlimmer.

Der Konvolut hat fast 200 Seiten, man könnte es schon vom Umfang her Hermann Gröhes Meisterstück nennen. Außerdem ist das „Versorgungsstärkungsgesetz“, das den Bundestag am Donnerstag in erster Lesung beschäftigen wird, nicht nur der Versuch des Gesundheitsministers, alles zusammenzupacken, was sein Beritt routinemäßig so an Runderneuerung benötigt. Es ist auch seine Antwort auf zwei der drängendsten Systemprobleme: den immer bedenklicher werdenden Ärztemangel in strukturschwachen Regionen und die Benachteiligung von gesetzlich Versicherten gegenüber Privatpatienten, die sich in überlangen Wartezeiten manifestiert.

"Niederlassungen werden erschwert"

Ausgerechnet die Ärzte jedoch, denen das Gesetz Anreize liefern soll, laufen Sturm gegen Gröhes Vorhaben. Der Gesetzentwurf drücke „an vielen Stellen das Gegenteil von dem aus, zu dem sich die Politik eigentlich bekannt hat“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, dem Tagesspiegel. Er sei „geprägt von einem Geist, der Niederlassung erschweren wird“.

Ideen wie der Aufkauf von Praxen in Großstädten oder die Öffnung der Kliniken für ambulante Behandlungen schreckten junge Ärzte eher ab, in eigene Praxen zu investieren. Und mit den geplanten Terminservicestellen schaffe die Politik nur „die Illusion, dass ein vermeintliches Problem, nämlich das von Wartezeiten, gelöst würde“.

Auch künftig kein "Wunschtermin beim Wunscharzt"

Dass Kassenpatienten zu lange auf Facharzttermine warten müssen, bestreitet der Funktionär rundheraus. Eigene Umfragen zeigten, dass es „meistens objektiv kein Problem ist, einen Termin schnell zu erhalten, in zwei Drittel der Fälle nach maximal drei Tagen oder sofort“. Wenn es für Vorsorgetermine einige Wochen oder Monate dauere, sei dies auch „vertretbar“. Akute Fälle würden ja schneller berücksichtigt. International besehen seien die Wartezeiten hierzulande „sensationell kurz“. Und das Problem, dass Patienten „am liebsten einen Wunschtermin bei ihrem Wunscharzt haben wollen“, könnten auch Servicestellen nicht lösen. „Sie können nur Termine vermitteln bei Ärzten, die freie Zeiten anbieten können.“

Gleichwohl räumte Gassen ein, dass man über „Elemente der Patientensteuerung“ nachdenken müsse. Die KBV erarbeite dazu gerade ein Konzept „ mit unterschiedlichen Tarifmodellen in der Krankenversicherung“. Was aus Kritikersicht aber nicht weiterhilft, weil dann auch wieder nur die besser und teurer versicherten Kassenpatienten schneller dran kämen.

Gesetz verspricht Behandlung binnen vier Wochen

Gröhes Gesetz sieht vor, dass sich Patienten bei Terminproblemen an die Kassenärztlichen Vereinigungen wenden können und von diesen dann binnen vier Wochen medizinisch erforderliche Facharzttermine zugewiesen bekommen müssen. Gelingt dies nicht, dürfen sie sich ambulant im Krankenhaus behandeln lassen – finanziert aus dem Gesamthonorar der niedergelassenen Ärzte. Und um mehr Mediziner aufs Land zu bekommen, „sollen“ Ärztevereinigungen Praxen in Großstädten aufkaufen – allerdings nur, wenn der bisherige Betreiber in den Ruhestand geht, kein Partner oder Familienangehöriger weitermachen will und es dort für die Patienten immer noch mehr als genug Mediziner aus der jeweiligen Fachgruppe gibt.

Die Funktionäre wehren sich auch gegen diesen überaus vorsichtig formulierten Steuerungsversuch. Etwa, indem sie die Definition von angeblich überversorgten Gebieten infrage stellen. „Viele Patienten aus Brandenburg kommen zum Beispiel nach Berlin, um sich behandeln zu lassen“, sagt Gassen. Zudem sei es „ein Irrglaube anzunehmen, nur weil es in der Großstadt keinen Sitz mehr gibt, ließe sich der junge Mediziner auf dem Land nieder“. Gassens Gegenvorschlag: Alle sollten sich „eingestehen, dass nicht mehr jedes Dorf seinen Hausarzt haben wird“.

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