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Russland, dem Iran und dem syrischen Regime zufolge ist der IS besiegt. Am Mittwoch starben mehr als 250 Menschen beim Massaker durch ein IS-Todesschwadron.

© AFP

Mehr als 250 Tote und Dutzende Verschleppte: Wie der IS in der syrischen Provinz Suweida wütete

Der Krieg in Syrien ist voller Grausamkeiten. Doch was am vergangenen Mittwoch im Süden des geschundenen Landes passierte, gehört sicherlich zu den schlimmsten Massakern der vergangenen Jahre.

Ein Terrorkommando des „Islamischen Staats“ griff am frühen Morgen in einer koordinierten Aktion die Provinzhauptstadt Suweida und einige Dörfer in der Umgebung an. Mehr als 250 Menschen sollen dem Überfall zum Opfer gefallen sein. Doch es könnten auch deutlich mehr sein. So genau kann noch niemand das Ausmaß des Horrors überblicken.

Klar ist aber: Die Dschihadisten hatten kein Erbarmen. Kinder, Frauen und Alte – keiner wurde verschont. Und wer sich ihnen in den Weg stellte, um andere zu schützen, starb ebenfalls. Wie Muhannad. „Er wurde getötet, als er Menschen in Lebensgefahr zu Hilfe kommen wollte“, sagt Maen Abu Ammar. Muhannad war sein Bruder. 33 Jahre alt ist er geworden.

Der Überfall war offenbar gründlich geplant. Maen Abu Ammar schildert es folgendermaßen: „Gegen vier Uhr morgens klopfte es an vielen Türen der Dörfer. Die Fremden riefen dabei die Namen derjenigen, die in den Häusern wohnten. Sie waren also gut informiert. Als ihnen aufgemacht wurde, begannen die Terroristen sofort, die Menschen zu töten.“ Ganze Familien seien innerhalb weniger Minuten abgeschlachtet worden. „Einige haben die Mörder allerdings verschont, vermutlich damit sie über die Grausamkeiten berichten können – zur Abschreckung.“

IS-Schwadron verschleppt Frauen und Kinder

Maen Abu Ammar war nicht selbst dabei, als die schwer bewaffnete Todesschwadron über die Dörfer und die Stadt herfiel. Er lebt heute in Berlin. Aber alle Verwandten und Freunde haben es ihm übereinstimmend so geschildert. Seine Schwester überlebte mit anderen Frauen und Kindern, weil sie sich verstecken konnten. In sechs Dörfern und der Provinzhauptstadt haben die IS-Fanatiker gewütet. Einschließlich Selbstmordattentaten.

Maen Abu Ammars Bruder Muhannad, Mitglied einer lokalen Notfallgruppe, bekam am Morgen, als der Angriff begann, einen Anruf. Jemand bat verzweifelt um Hilfe. Die „Gotteskrieger“ zogen bereits mordend durch die Straßen. Aber niemand war da, um den Einwohnern beizustehen. Muhannad machte sich sofort auf den Weg. Gegen sechs Uhr traf er in einem der attackierten Dörfer ein. Kurze Zeit später war er Tot, erschossen von IS-Kämpfern.

Die regional organisierten Verteidigungsmilizen brauchten mehrere Stunden, um die Angreifer zu vertreiben. Dutzende Dschihadisten sind zwar getötet worden. Doch einigen gelang es, vor allem Frauen und Kinder zu verschleppen und mit ihnen zu entkommen. Auch Maen Abu Ammar bestätigt das. „Ich weiß allein von 26 Menschen, die dem IS in die Hände gefallen sind.“ Die Täter kamen offenbar aus einer von ihnen beherrschten Enklave nordöstlich von Suweida. Vermutlich haben sie ihre Geiseln dorthin gebracht.

Provinz Suweida war bisher vergleichsweise ruhig

In Suweida und den nahegelegenen Dörfern herrscht jetzt Verzweiflung. Und Angst. Denn viele fürchten, der IS könnte sie erneut überfallen. Von der Regierung fühlten sich die meisten im Stich gelassen, berichtet Maen Abu Ammar. „Das Regime hat verdächtig lange gebraucht, um den Menschen mit der Armee zu Hilfe zu kommen. Die Leute glauben, sie sind auf sich allein gestellt. Und jetzt fragen sich alle: Wie können wir unsere Frauen und Kinder befreien? Wird uns der Staat wirklich helfen. Wir haben doch keine Erfahrung mit Krieg und Terror. Und was man gegen ihn tun kann.“

Die Provinz Suweida gehörte bisher zu den vergleichsweise ruhigen Regionen in Syrien. Hier leben vor allem Drusen, eine Religionsgemeinschaft, die sich aus dem schiitischen Islam entwickelte und eine geschlossene Gemeinschaft bildet. Als Druse wird man geboren. Konvertieren ist nicht möglich. Geheiratet wird nur untereinander. Suweidas Drusen haben es in den vergangenen Jahren geschafft, sich aus dem Krieg weitgehend herauszuhalten. Einen Aufstand gegen Machthaber Baschar al Assad gab es dort nicht. Vielmehr haben die Drusen eine Art Autonomie erlangt. So konnten sich beispielsweise die jungen Männer oft dem Wehrdienst entziehen. Das wurde von der Staatsmacht zumindest in Grenzen toleriert, auch weil die Drusen sich nicht offen gegen die Herrschenden stellten.

IS schlug zu, obwohl er "besiegt" ist

Aber nicht nur das macht sie aus Sicht des IS verdächtig, der ja das Regime seit Langem bekämpft. Drusen gelten aus Sicht der sunnitischen Extremisten vor allem als Ungläubige, die es mit allen Mitteln zu verfolgen gilt. Womöglich war das der ausschlaggebende Grund, die Provinz zu überfallen. Und das gelang den Terroristen, obwohl Russland, das syrische Regime und der Iran übereinstimmend schon mehrfach erklärt haben, der IS sei besiegt.

Daran glaubt in Suweida nach dem Angriff am Mittwoch niemand mehr. Die Einwohner haben Angst. Und sie trauern um ihre Freunde und Angehörigen. Wie Maen Abu Ammar um seinen Bruder Muhannad.

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